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Perfektionistin am Pinsel: Nachruf auf Künstlerin Marianne Heinemann (107)

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Von: Sandra Rose

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2010 zog Marianne Heinemann zu ihrer Nichte in die Nähe von Karlsruhe, hier ein
2010 zog Marianne Heinemann zu ihrer Nichte in die Nähe von Karlsruhe, hier ein Foto vom 100. Geburtstag. © Dorle Thielmann-Ludwig

Künstlerin Marianne Heinemann (107) ist gestorben.

Wllingshausen – Die Landschaft rund um Willingshausen war es, die Marianne Heinemann nicht nur en Detail mit allen Sinnen erfasste – sie floss ihr quasi auch aus dem Pinsel. Die Künstlerin, die zusammen mit ihrem Mann Günter Heinemann Anfang der 1970er-Jahre Malkurse für Hobbykünstler anbot, prägte die jüngere Geschichte Willingshausens maßgeblich. Jetzt ist die Tochter von Wilhelm und Alexandra Thielmann im Alter von 107 Jahren gestorben. 2010 zog sie zu ihrer Nichte Dorle Thielmann-Ludwig in die Nähe von Karlsruhe, wo sie zuletzt in einer Seniorenresidenz lebte.

Im Ort gilt Marianne Heinemann – ihr Vater gehörte als Maler zur Willingshäuser Malerkolonie und ihre Mutter beherrschte die Kunstfertigkeit der Stickerei – als äußerst bescheiden. Ulli Becker-Dippel, die sich in und für die Kunsthalle engagiert, spricht über sie von „Tante Marianne“. Ein verwandtschaftliches Verhältnis gab es nicht, aber es sei für sie als Kind das Schönste gewesen, ins Atelierhaus der Heinemanns an der Neustädter Straße zu spazieren. „Noch der Vater ließ dieses sehr besondere Haus errichten“, erzählt Becker-Dippel. Die Atmosphäre sei zu jener Zeit sehr offen und herzlich gewesen – „in anderen Häusern ging es da deutlich konservativer zu“. Es sei die „kleine Freiheit“ gewesen, die sie stets genossen habe.

Um die Mutter wirtschaftlich zu unterstützen, kehrte Marianne Heinemann nach dem frühen Tod des Vaters zurück nach Willingshausen

Marianne Heinemann, ihr Patenonkel war Maler Carl Bantzer, absolvierte in den 1930er-Jahren eine Lehre zur Schneiderin in der Werkstatt ihrer Mutter, dann besuchte sie eine private Kunstschule in Düsseldorf, wo sie sich nicht nur dem Malen, sondern auch dem Zeichen, vornehmlich Modezeichnen, widmete. Zu weiteren Studien besuchte Heinemann die Akademie in Berlin, wo der Maler und Illustrator Franz Eichhorst ihr Mentor wurde. Schwerpunkte ihrer Arbeit bildeten Porträts und Landschaftsmalerei.

Um die Mutter wirtschaftlich zu unterstützen, kehrte sie nach dem frühen Tod des Vaters zurück nach Willingshausen und arbeitete in der Schneiderwerkstatt mit. Ihre beiden Brüder, ebenfalls künstlerisch begabt, erhielten Stipendien. Mutter Alexandra Thielmann richtete eine Pension für Gäste ein, um ein Nebeneinkommen zu haben.

Maler, Familie und Freunde: Dieses
Maler, Familie und Freunde: Dieses Foto entstand um 1930 am Thielmann-Haus, es zeigt vorne von links Alexandra Thielmann, Helene Bantzer, Agnes Waldhausen, Reinhard Giebel (Sohn), Martin Giebel (Sohn), Wilhelm Thielmann (Sohn) und Conrad Thielmann, in der Mitte Frau Giebel, Lehrer Brückel, Marianne Heinemann, geborene Thielmann und Henriette Schmidt-Bonn sowie dahinter die Maler Wolfgang Zeller, Karl Hanusch, Carl Bantzer, Heinrich Giebel und Hermann Metz. © Familie Thielmann

Nach der Heirat von Marianne und dem Kasseler Maler Günter Heinemann entstand Anfang der 1970er-Jahre die Idee, Laien das Malen beizubringen. Die Kurse sollten auch dazu dienen, ein sicheres Einkommen für die Familie zu ermöglichen. Und das Unterrichten lag beiden am Herzen, berichtet Dorle Thielmann-Ludwig. Während Günter auch anderen künstlerischen Strömungen gegenüber offen war, vertrat Marianne Heinemann die eher klassische Malweise. Man habe die Schüler stets in Atelierhaus eingeladen, die eigenen Arbeiten ausgebreitet und erläutert und sei sehr schnell mit ihnen ins Gespräch gekommen, erklärt die Nichte, die häufig in Willingshausen zu Besuch war. „Es war familiär und menschlich und nicht selten ging Günter abends noch rüber zur Pension, wo der Kurstag feuchtfröhlich ausklang.“ Bis 1992 unterrichteten Heinemanns Malschüler.

Marianne Heinemann wird im Familiengrab in Willingshausen beigesetzt

Marianne Heinemann gab das Malen nach einer Grauen Star-Operation auf, weil sie auf einem Auge nicht mehr gut sah, berichtet die Nichte: „Sie war perfektionistisch in ihrer Malweise und hat dann auch keine Auftragsarbeiten mehr angenommen.“ Zu ihren Arbeiten erläutert Thielmann-Ludwig, dass die Tante viele Aquarelle gearbeitet hätte, oft in kräftigen, teils düsteren Farben. „Was sie nicht mochte, war, wie sie es nannte, bonbonfarbene Töne.“

2010 verließ Marianne Heinemann dann aus Altersgründen Willingshausen, das Atelierhaus ging auf Leibrentenbasis an Prof. Dr. Bernd Küster, den früheren Direktor der Museumslandschaft Hessen-Kassel. Testamentarisch festgelegt wurde, dass eine Stiftung ins Leben gerufen und das Atelierhaus geöffnet werden möge, um es der Nachwelt zu erhalten. Marianne Heinemann wird im Familiengrab in Willingshausen beigesetzt.

Mit Ausschnitten aus den Arbeiten der Heinemanns wird die Kunsthalle vom 4. Juni bis 16. Juli an das Künstlerehepaar gedenken. (Sandra Rose)

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