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Ein Sieg der Solidarität - 1987 besetzte die Spänex-Belegschaft den Betrieb

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Uslar – Der 6. August 1987 war ein warmer Sommertag. Gegen 11 Uhr formierte sich vor dem Gebäude der Firma „Spänex – Wilhelm & Sander“ im Uslarer Industriegebiet ein Demonstrationszug mit mehreren Hundert Teilnehmern. Männer, Frauen und Kinder führten Transparente mit. Diese Protestaktion gegen die Schließung eines florierenden Industrieunternehmens war der Beginn einer spektakulären Betriebsbesetzung, die in ganz Deutschland für Aufsehen sorgen sollte.

Demonstration: Bei dem Marsch durch Uslar wurde die Firma Spänex symbolisch zu Grabe getragen.
Demonstration: Bei dem Marsch durch Uslar wurde die Firma Spänex symbolisch zu Grabe getragen. © Stadtarchiv Uslar

Die Geschichte der Spänex-Werke ist eng mit der Person des Firmengründers und langjährigen Leiters Günter Sander verknüpft, der mit seinen Mitarbeitern unterschiedlichste Abfall-Entsorgungsgeräte wie Absaug- und Filteranlagen für Holzabfälle, Brikettierungs- und Feuerungsanlagen, Ventilatoren und Rauchgasgebläse entwickelte, die auf einem expandierenden Markt einen guten Absatz fanden. Die Tüftler-Werkstatt entwickelte sich in wenigen Jahren zu einem mittelständischen Industriebetrieb mit bis zu 232 Arbeitnehmern.

Der in der Belegschaft beliebte Sander sah sich als sozialer Unternehmer, der auch seine Arbeiter und Angestellten am Erfolg seiner Firma teilhaben ließ und überdurchschnittlich hohe Löhne und Gehälter zahlte. Seit 1976 gewährte er seinen Leuten zudem eine Gewinnbeteiligung.

Betriebsbesetzung: Die Belegschaft der Firma Spänex kämpfte auf diesem Wege für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und kam bundesweit in die Schlagzeilen.
Betriebsbesetzung: Die Belegschaft der Firma Spänex kämpfte auf diesem Wege für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und kam bundesweit in die Schlagzeilen. © Stadtarchiv Uslar

Wilhelm übernimmt

Als das Unternehmen 1984 zum ersten Male in Konkurs geriet, zog sich Sander aus dem Betrieb zurück, und Richard P. Wilhelm bezog als geschäftsführender Gesellschafter die Spänex-Chefetage. Der umtriebige Marketing-Experte, der in der Uslarer Gegend als innovativer Unternehmer galt, avancierte in nur zwei Jahren bei seinen Arbeitnehmern zum „bestgehassten Mann“ der Firma, der sowohl Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats als auch Liquiditäts- und Rohstoff-Engpässe ignorierte.

Im Frühjahr 1987 versuchte die Belegschaft mehrfach, ausstehende Löhne und Gehälter durch Arbeitsniederlegungen zu erzwingen. Am 30. Juli 1987 erfuhr sie aus der HNA Sollinger Allgemeinen: „Spänex meldet Konkurs an.“

Demo und Wachdienst

Nach der Demonstration vor dem Rathaus richteten die Spänex-Arbeitnehmer einen Wachdienst im Betrieb ein, um den Abtransport von Maschinen und Material zu verhindern. In den folgenden Tagen entwickelte sich aus dieser Notwehrmaßnahme eine Betriebsbesetzung, welche schnell Schlagzeilen machte.

Die Besetzer, von denen etliche anfangs mit großen Vorbehalten dem Arbeitskampf zugestimmt hatten, wollten keine Randale, sondern sie wollten einen Liquiditätskonkurs ihrer hoch verschuldeten Firma verhindern, um deren Fortbestand zu sichern. Ihr Protest richtete sich auch gegen die in ihren Augen unseriöse Geschäftspolitik des Mehrheitseigners und Firmenchefs Wilhelm, der das Unternehmen trotz ausgezeichneter Auftragslage und staatlicher Subventionen in den Ruin geführt hatte.

Die Besetzung

An der Betriebsbesetzung beteiligte sich zunächst die gesamte 140-köpfige Belegschaft. Viele dieser Frauen und Männer glaubten, dass sich innerhalb weniger Wochen ein Käufer für das renommierte, gut eingeführte Unternehmen finden würde. Dieser Optimismus wurde durch eine nicht vorhersehbare Solidarisierung vieler Menschen mit den Besetzern und eine zumeist unterstützende Presseberichterstattung bestärkt.

Während der langen Tage und Wochen in der besetzten Fabrik, in der die Spänex-Leute den jeweiligen Stand der Verhandlungen zwischen dem Konkursverwalter und dem potenziellen Aufkäufern diskutierten und Aktionen vorbereiteten, wuchs die Belegschaft zusammen.

Vor allem die Kluft zwischen Arbeitern und Angestellten, die in der Vergangenheit oft ein gemeinsames Handeln erschwert hatte, war nach ein paar Tagen kaum noch wahrzunehmen. Während die Initiative zur Besetzung von einigen jüngeren Arbeitern ausging, übernahm im Laufe des Arbeitskampfes der Betriebsrat mehr und mehr die Leitung. Sein wichtigster Berater war der damalige Sekretär der IG Metall, Gerd-Uwe Boguslawski.

Kreativer Protest

Die Kampf- und Aktionsformen der Belegschaft zeichneten sich durch Kreativität und Disziplin aus. Ein Demonstrationszug durch die Stadt zum Rathaus, zwei Solidaritätsfeste vor der Fabrik, eine Protestfahrt zum niedersächsischen Landtag in Hannover und verschiedene Flugblattaktionen sowie eine Aktion „5 vor 12“, welche die Bürger der Stadt zu einer fünfminütigen Solidaritätspause aufforderte, wurden bis ins Detail vorbereitet und konzentriert durchgeführt.

Verkauf scheitert

Nach etwa drei Wochen, als sich vielversprechende Verkaufsverhandlungen mit einem Schweizer Konzern zerschlugen, kippten Hoffnung und Zuversicht bei vielen Besetzern in Frustration und Resignation um. Als am 24. September 1987 das Konkursverfahren „mangels Masse“ eingestellt wurde, räumten die letzten 35 Besetzer ihr Werk.

Allerdings nahm Reinhard Brunner unter dem Namen Spänex GmbH die Arbeit auf, in dem etwa die Hälfte der alten Belegschaft unterkam. Heute sind rund 100 Arbeiter und Angestellte in dieser Firma beschäftigt. Die Erinnerung an die Tage der Betriebsbesetzung ist bei vielen von ihnen noch immer lebendig, meint der frühere Betriebsratsvorsitzende Matthias Rieger.

Quellen: Sollinger Allgemeine, Jahrgang 1987, Michael Brockhaus/Wolfgang Schäfer: Betriebsbesetzung: Der Traum von der Solidarität? Voraussetzungen, Verlaufsformen und Auswirkungen einer spektakulären Arbeitskampfform am Beispiel der Firma Spänex - Wilhelm & Sander in Uslar, Göttingen 1990.

Von Wolfgang Schäfer

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