Alina Hehling: „Mein Körper hat total versagt“

Seit die 27-jährige Alina Hehling im vorigen Frühjahr an Corona erkrankte, ist in ihrem Leben nichts mehr wie zuvor. Die ehemalige erfolgreiche Handballerin ist an Post-Covid erkrankt.
Jestädt – Die junge Ergotherapeutin ist erfolgreiche Handballerin beim HSG Datterode/Röhrda, sie macht fünf Mal in der Woche Sport, geht klettern und fast jedes Wochenende auf lange Wandertouren. Im Frühjahr vorigen Jahres infiziert sie sich mit Corona, und trotz dreier Impfungen verläuft die Krankheit außergewöhnlich schwer. Heute, ein gutes Jahr später, sagt sie: „Ich weiß gar nicht mehr, wie es sich überhaupt anfühlt, gesund zu sein, nicht an einem einzigen Tag seitdem.“
Vier Wochen liegt die durchtrainierte Leistungssportlerin mit ihrer Coronainfektion im März 2022 flach, hat über Wochen ständig Fieber, Atemnot, Glieder- und Kopfschmerzen, riecht nichts, schmeckt nichts.
Mitte April vergangenen Jahres beginnt sie wieder zu arbeiten, obwohl sie sich noch schlapp und nicht wirklich leistungsfähig fühlt. „Ich hab an der Arbeit mehr gesessen als was anderes gemacht“, schildert sie. „Aber ich wollte damals nicht akzeptieren, dass ich krank bin.“ Deshalb ist sie auch bei ihrem letzten Handballspiel ihrer Mannschaft im Mai mit am Start, bei dem die Truppe in die Landesliga aufsteigt.
Und dann ist für Alina Schluss. Ende Mai schafft sie es nicht mal mehr, den Weg vom Bett zu Toilette zu bewältigen. Schmerzen, Fieber, ständiger Schwindel und Herzrasen werden zu ihren alltäglichen Begleitern. „Ich war nicht mehr in der Lage zu laufen. Mein Körper hat total versagt.“
Sie ist wieder für zunächst zwei Monate krankgeschrieben, ihre Hausärztin stellt in Alinas Blut aber lediglich einen Mangel an Vitaminen und Nährstoffen fest. „Sie hat mich sehr unterstützt, war aber auch hilf- und ratlos“, sagt die 27-Jährige. Parallel konsultiert Alina eine Heilpraktikerin, die sie inzwischen seit einem Jahr mit hoch dosierten Vitamininfusionen behandelt.
Der Ärztemarathon
Und dann beginnt für die junge Frau ein Ärztemarathon – denn das Krankheitsbild infolge der Coronainfektion ist nach den Erfahrungen von Alina noch relativ wenig bekannt und erforscht. Neben ständigen Schmerzen, dauerhafter Erschöpfung und Fiebrigkeit kommen Licht- und Geräuschempfindlichkeit hinzu, sie kann sich schlecht konzentrieren und ist vergesslich.
Im Eschweger Krankenhaus wird die Patientin auf den Kopf gestellt, ihr wird ein Termin bei einem Spezialisten am Rotenburger Herzzentrum vermittelt, der dort Post-Covid-Sprechstunden anbietet. „Es war der erste Arzt, der verstand, wovon ich rede.“ Er verschreibt ihr Betablocker gegen ihr rasendes Herz und empfiehlt eine Reha. Sechs Wochen verbringt Alina Anfang des Jahres in der kardiologischen Reha. Ihr Trainingsplan muss immer wieder angepasst werden, weil sie das Programm nicht bewältigt. „Ich muss sehr mit meinen Ressourcen haushalten, weil es sonst zum Crash kommt.“
Ein Zustand, der sich bis heute nicht verändert hat. Denn die lähmende Erschöpfung hält unvermindert an. Zwar arbeitet die junge Frau inzwischen an zwei oder drei Tagen in der Woche für einige Stunden, „weil das ein bisschen Normalität ist“, doch nur noch am PC, zwischendurch muss sie sich immer wieder für eine Stunde hinlegen, um auszuruhen.
„Verzweiflung, Überforderung und Ängste waren und sind oft noch tägliche Begleiter.“
An ihrem Kühlschrank hängt ein Wochenplan. Auf dem sind Tagesprogramme eingetragen. An einem Tag Atemübungen machen, an einem anderem Tag Wäsche, an wieder einem anderen arbeiten. „Wenn ich mich für Wäsche entschieden habe, muss der zehnminütige Gang mit Hund Lenni ausfallen“, beschreibt sie. Wenn sie sich doch mal mit zwei Freundinnen treffen will, sind alle anderen Aktivitäten für den Tag gestrichen. Zum Spazierengehen hat sie inzwischen einen Rollator, damit sie sich setzen kann, wenn es nicht mehr geht. „Aber ich kann nicht mehr über meine Grenzen gehen.“
In ihren Tagesabläufen ist Alina Hehling diszipliniert. Die einstige Leistungssportlerin, die über sich sagt, dass sie früher „eher eine wilde Sau“ war, ist blass und erschöpft. Manchmal, sagt sie, kommt sie gut mit ihrer Erkrankung zurecht, weil sie versucht, sie zu akzeptieren. Aber das ist nicht immer so: „Verzweiflung, Überforderung und Ängste waren und sind oft noch tägliche Begleiter.“
Ihre Familie unterstützt Alina, die Beziehung zu ihrem Lebensgefährten sei intensiver geworden. Und auch ihre Sicht aufs Leben habe sich verändert: „Man lebt die guten Momente intensiver.“
Eine Selbsthilfegruppe
Weil es für Post-Covid derzeit als Therapie nur die Linderung von Symptomen, aber keine echte Heilung gibt, will Alina Hehling eine Selbsthilfegruppe im Werra-Meißner-Kreis gründen, ein Netzwerk schaffen, über das sich Betroffene austauschen können. Dabei geht es auch darum, Erfahrungen zu vermitteln, was Linderung verschafft, „weil es fast das Einzige ist, das wir tun können“, wohin sich Menschen wenden können. „Denn oft noch wird Post-Covid als eine psychische Krankheit abgetan“, sagt Alina Hehling. Einsetzen will sie sich auch dafür, die Forschung auf dem Gebiet voranzutreiben.
Der Kontakt
Wer sich für die Selbhilfegruppe „Post Covid“ interessiert, mitmachen und mithelfen will, ein Netzwerk aufzubauen, kann sich an Alina Hehling unter folgender E-Mail-Adresse wenden: alina.hehling@gmx.de (Stefanie Salzmann)