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Berliner Autor liest aus Luther-Buch: Kurz vorm jüngsten Tag

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Von: Kristin Weber

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Begeisterte mit seiner Lutherinterpretation: Der Berliner Journalist und Autor Bruno Preisendörfer war zu Gast beim Heimatverein Datterode. Foto: Weber

Datterode. Die Lesungen des Heimatvereins Datterode begannen vor einigen Jahren mit Veranstaltungen, bei denen regionale Autoren aus ihren Werken vortrugen. Jetzt war Bruno Preisendörfer zu Gast und trug aus seinem Luther-Buch vor.

Friedrich Barbarossa, Napoleon und Luther – alle sind sie mal durch den Ringgau gezogen. Schon ist der lokale Bezug hergestellt, und Autor Bruno Preisendörfer kann aus seinem Luther-Buch „Als unser Deutsch erfunden wurde – Reise in die Lutherzeit“ lesen. Aber Hand aufs Herz, wer einen glänzenden Autor wie den Berliner Journalisten gewonnen hat, der sein Publikum sehr belesen, kritisch und zugleich humorvoll unterhält, braucht keine regionalen Bezüge mehr, um sich zu rechtfertigen. Und außerdem: Im Umfeld der Wartburg ist ja sowieso alles Luther-Land.

Längst sind die Lesungen dank des Engagements von Thomas Beck, dem Vorsitzenden des Vereins, zu einer Institution geworden, die bekannten Sachbuchautoren eine Bühne bietet. Damit bespielt die Lesung eine Nische im kulturellen Angebot des Kreises, die dringend besetzt werden wollte. Denn das große Publikumsinteresse zeigt es, nicht nur für den Göttinger Literaturherbst ist das Erfolgsrezept eine Mischung aus Literatur, Wissenschaft und Unterhaltung, auch auf dem Dorf suchen die Zuhörer den intellektuellen Kitzel.

Und das am liebsten auch mal live. Somit war der Saal im Marktwert in Datterode einschließlich des letzten Platzes besetzt. Und Bruno Preisendörfer nahm die Zuhörer wahrlich mit auf eine Reise, tauchte tief ein in die Mentalität der Lutherzeit, wie sie sich in Luthers Schriften widerspiegelt: Gerne mal derb, gerne mal brutal. Besondere Feinsinnigkeit kann man diesem Luther wohl nicht vorwerfen. So hatte er ein sehr patriarchalisches Familienbild, in dem die Frau nur dazu da war, Kinder zu gebären, und er sich fast beschämt rechtfertigen musste, als er zu seinem Erstaunen beim Tod der Tochter Trauer empfand.

Auch sein Antisemitismus ist weidlich bekannt. Politische Korrektheit: Fehlanzeige. In seinen Schriften polterte er gerne wortgewaltig, hatte aber schon einen sehr guten Sinn für Publizistik, der letzten Endes zu seinem Erfolg beitrug. Gewissermaßen kann man ihn so als Erfinder des Mainstreams ansehen, denn Luther wollte, dass seine Schriften über alle regionalen Dialekte hinweg in ganz Deutschland gleichermaßen verstanden werden. Dazu bediente er sich der sächsischen Kanzleisprache und polierte sie mit dem Duktus der Leute auf der Straße auf. Daraus entwickelte sich unser Hochdeutsch, eine lebendige, verständliche Sprache. Nur bei Luther ist noch längst nicht Schluss in Preisendörfers Zeitreise in eine faszinierende Epoche, nicht mehr Mittelalter und noch nicht ganz Neuzeit. Es war sozusagen das letzte Mal, dass die Menschen voll tiefster Überzeugung in unmittelbarer Erwartung des Jüngsten Gerichts lebten. Aber das sollte man im Buch selber nachlesen.

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