Eine Nacht auf Streife in Eschwege

Die Wenigsten nehmen gerne auf dem Rücksitz eines Polizeiautos Platz. Diesen habe ich aber für einige Stunden freiwillig gegen den bequemen Redaktionsstuhl eingetauscht, um Eschweges Ordnungshüter eine Nacht lang zu begleiten.
Eschwege – Eine zertretene Glasscheibe, überall liegen Scherben auf dem klebrigen Fußboden eines verlassenen Hausflures, ein schmales, dunkles Treppenhaus, irgendwo läuft eine Waschmaschine, ein defekter Roller steht in der Ecke, an den Wohnungstüren fehlen die Namen. Wenn die Polizisten Grubbe und Walter zu Einsätzen rausfahren, wissen sie nie, was sie hinter der Wohnungstür erwartet.
Meistens werden sie auch erst hinzugezogen, wenn schon etwas Schlimmes passiert ist. Wie an diesem Freitagabend: Gegen 20 Uhr brechen sie Richtung Bad Sooden-Allendorf wegen der kaputten Eingangstür auf. Diese soll ein Mann mittleren Alters bereits am Vormittag zerstört haben – mutmaßlich im Alkohol- und Drogenrausch. Vom selben Mann hatten die Kollegen aus dem Tagdienst bereits berichtet: Nach dem Glasbruch soll dieser noch das Auto eines Paketboten gestohlen und damit einen Unfall verursacht haben.
Inzwischen ins Klinikum gebracht, kann der Verdächtige mit Diebstahl, Unfallflucht und Sachbeschädigung eine ordentliche Ansammlung von Delikten für sich verbuchen. Die Einsatzkräfte versuchen Ordnung in die Geschehnisse zu bringen, sprechen mit Anwohnern und Nachbarn über mögliche Tathergänge und werden im Nachgang mehrere Anzeigen schreiben.
Als Streitschlichter, Freund und Helfer, Problemlöser, aber auch Durchsetzer von Recht und Ordnung sind sie stets hautnah dabei und erleben die Bandbreite menschlichen Handelns unverfälscht und ohne Filter. Anfang 30 sind die beiden Schutzmänner und es gibt kaum etwas, was die beiden in ihrer Karriere nicht schon gesehen haben oder noch sehen werden.
Nicht selten ernten sie für ihre Arbeit respektlose Anfeindungen. Dennoch üben die beiden Beamten ihren Beruf mit Leidenschaft und Optimismus aus. „Wir können Menschen helfen, die wirklich in Not sind, das ist ein gutes Gefühl“, sagt Polizeioberkommissar Grubbe, der bereits einige Jahre Polizeidienst in Offenbach und Frankfurt hinter sich hat. „Das ist natürlich ein ganz anderes Arbeitsaufkommen als im Werra-Meißner-Kreis. Hier kennen wir unsere Pappenheimer ja inzwischen schon.“
Insgesamt gesehen sei die Einsatzdichte im Werra-Meißner-Kreis zwar geringer als beispielsweise in einer Großstadt, dafür übernehmen die Beamten im Schicht-und Streifendienst in vielen Fällen die Sachbearbeitung von einzelnen Ermittlungsvorgängen bis zur Abgabe an die zuständige Staatsanwaltschaft selbst, was bei den Dienststellen in den Großstädten oftmals so nicht der Fall sei.
Als „Dienst an der Gesellschaft“ beschreibt auch die 26-jährige Polizeikommissarin Kreit, die zuvor bereits eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich absolvierte, ihren jetzigen Beruf. Der Bürojob sei ihr zu monoton und vorhersehbar gewesen, nun gehe sie einer sinnvollen und aufregenden Aufgabe nach. In der Regel ist sie mit ihrem Streifenkollegen Eisenhut unterwegs, sie sind ein eingespieltes Team, können sich aufeinander verlassen: „Ich weiß, wie er tickt.“
Dass man das Klientel hier kenne, helfe, die Lage gut einzuschätzen. Zur Vorbereitung checkt sie zum Beispiel den WhatsApp-Status ihrer Kontakte, weiß so, wo und wann was los ist und welche Veranstaltung möglicherweise mit einem Polizeieinsatz enden könnte.
Der Vorteil an einem ruhigen Abend wie diesem läge darin, dass man auch mal präventiven Aufgaben nachkommen könne, etwa der mobilen Drogenkontrolle. Hierfür sei ein Freitagabend geradezu ideal.
Ein Auto, das sich auf verlassener Landstraße bei Altenburschla allzu genau an die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometer pro Stunde hält? Das sei per se schon einmal auffällig, finden die beiden Polizisten. Eine gesunde Portion Humor gehöre auch zum Berufsalltag. Mit Leuchtanzeige wird das Auto zur allgemeinen Verkehrskontrolle an den Seitenstreifen bestellt. Ein kurzer Blick auf Führer- und Fahrzeugschein, die obligatorische Frage, ob Alkohol getrunken wurde. Er komme gerade von der Arbeit, fahre jetzt nach Hause, versichert der Fahrer, der alsbald auch in den Feierabend verabschiedet wird.
Inzwischen ist es weit nach Mitternacht, die Fahrt geht weiter. Bei Schwebda sehen die Polizisten einen kleinen Sprinter, der etwas schlingernd fährt. Im Kofferraum liegen Reste von Strohballen, am Steuer sitzt eine Frau, Sie sucht hektisch in ihren Unterlagen nach dem Führerschein, er müsse doch hier sein. „Ach, ich wäre jetzt einfach gerne nach Hause gefahren“, murmelt sie müde und resigniert, man kann ihr fast nachfühlen, wie unwillkommen die Situation gerade für sie ist. So eine Polizeikontrolle ist für die meisten Fahrerinnen und Fahrer unangenehm, lastet das Damoklesschwert des Generalverdachts doch über einem.
In der Tat sei auch die Verkehrskontrolle, eigentlich eine der klassischen Aufgaben im Streifendienst, nicht ungefährlich. „Man weiß nie, wer hinter dem Steuer sitzt, ob jemand kooperativ ist, ausfallend wird oder gar gewaltbereit reagiert“, erklärt die Polizeikommissarin.
Im Vorhinein verständigen sich die beiden Beamten, wer die Ansprache des Fahrzeugs übernimmt, wer die Hintergrundabfrage tätigt, kommuniziert wird hierbei viel über Blickkontakt. Man müsse schon ein dickes Fell haben. Manche Menschen seien wirklich unverschämt. Anders die Sprinterfahrerin – Sie hat inzwischen ihre Papiere gefunden und ist erleichtert, als die Polizistin sie zur Weiterfahrt auffordert.
Weiterfahren, das werden auch die verschiedenen Streifenteams noch in dieser Nacht. Bis zum Dienstschluss um 7 Uhr haben sie noch ein paar Dinge abzuarbeiten. Eine Schlägerei mit Verletzten, eine Frau, die Batterien geschluckt hat, eine Ruhestörung mit Drogenfund. All das, und noch viel mehr, passiert, wenn in Eschwege die Lichter längst ausgegangen sind. Und egal, wie aufreibend die Schicht war, „am Ende hat man immer das Gefühl, dass sich die langen Stunden gelohnt haben“, resümiert Polizeioberkommissar Grubbe.
Insgesamt, so der Eindruck nach dem Nachtdienst, gelingt es den Polizisten mit viel Souveränität, Geduld und Zugewandtheit auf die unterschiedlichen Herausforderungen der Nacht zu reagieren – dazu zählen auch die unzähligen Fragen der Reporterin, die zwar dankbar für die Erfahrung ist, aber trotzdem nicht so schnell wieder auf dem Rücksitz des Polizeiautos Platz nehmen will. (Maren Schimkowiak)