Agrarscout auf der Grünen Woche: „Wir brauchen mehr Wertschätzung“

Auf der Grünen Woche in Berlin hat Sven Mares als Agrarscout des Forums Moderne Landwirtschaft den Dialog mit Verbrauchern gesucht.
Werra-Meißner – Wir sprachen mit dem Landwirt aus dem Nachbarkreis Hohenroda (Hersfeld-Rotenburg) über seine Erfahrungen und Beweggründe.
Bereits zum dritten Mal waren Sie Agrarscout auf der Grünen Woche. Was ist Ihre Motivation?
Meine Motivation ist, auf dieser Verbrauchermesse direkt mit den Verbrauchern ins Gespräch zu kommen. Es geht mir um einen gesunden Dialog zwischen Produzent und Konsument, der in den letzten Jahren leider zu kurz gekommen ist.
Was genau war Ihre Aufgabe?
Am Wochenende habe ich überwiegend interessierte Besuchergruppen und Politiker über den Erlebnisbauernhof des Forums Moderne Landwirtschaft geführt. Unter der Woche haben in erster Linie Schulklassen die Ausstellung besucht. An den Ständen wurden den Kindern unterschiedliche Themen nahegebracht – beispielsweise die Bedeutung der Honigbiene.
Der Erlebnisbauernhof ist Anziehungspunkt für ein überwiegend städtisches Publikum. Mit welchen Vorurteilen wurden Sie in den Gesprächen konfrontiert?
Viele Besucher waren überrascht, dass wir Agrarscouts selbst Landwirte sind. Wir haben offenbar nicht dem gängigen Klischee vom verkommenen Eigenbrötler mit Stiefeln und Latzhose entsprochen, der seinen Hof nie verlässt.
Sie waren auch als Gesprächspartner an Podiumsdiskussionen beteiligt. Welche Themen standen im Fokus?
Mein Kernthema war das sogenannte Trilemma – also die Frage, ob man Rohstoffe wie Raps als Nahrungsmittel, Futtermittel oder als Treibstoff verwendet. Mir war dabei wichtig, dass das nicht zwingend ein Interessenskonflikt sein muss. Beim Pressen von Rapsöl – egal ob für den menschlichen Verzehr oder für Bio-Kraftstoff – fallen Rückstände in Form von Presskuchen an, die als Tierfutter im Trog landen. Außerdem bin ich zum Thema Crispr/Cas, also der sogenannten Gen-Schere eingesprungen – einer relativ neuen Art der Pflanzenzüchtung, bei der einzelne DNA-Bausteine eingefügt, entfernt oder verändert werden.
Welche Rolle spielten die Themen Ernährungssicherheit und Klimaschutz auf der Grünen Woche?
Mein Eindruck war, dass Klimaschutz auf der Messe eine größere Rolle spielt als Ernährungssicherheit. Dabei steht beides im Zusammenhang: Ein regional erzeugtes Produkt wie das Schwein sollte auch in der Region verwertet und nicht weit transportiert werden. Der Klimaschutz wurde an jedem Stand aufgegriffen. Dass es in Deutschland noch – wenn auch immer weniger – Landwirte gibt, die zur Ernährungssicherheit beitragen, war leider nur beiläufig Thema.
Dem Forum Moderne Landwirtschaft gehören auch Landmaschinen-, Chemie- und Düngemittelhersteller an. Lassen Sie sich als Agrarscout vor den Karren großer Konzerne spannen?
Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass das ein Problem ist. Die 68 Mitgliedsverbände und -unternehmen sind breit gefächert. Außerdem setzt jeder Agrarscout eigene Schwerpunkte und berichtet aus seinem Berufsalltag. Die Industrie ist nicht grundsätzlich in allen Bereichen schlecht und ohne finanzielle Unterstützung wäre diese Form des Dialogs nicht möglich.
Wie waren die Reaktionen der Besucher – ist es Ihnen gelungen, mehr Verständnis für die Landwirtschaft zu vermitteln?
Mein persönlicher Eindruck war, dass der Wissensstand vieler Besucher weit von der Realität entfernt ist. Aber die Menschen, mit denen wir ins Gespräch gekommen sind, waren sehr interessiert und standen uns sehr offen gegenüber.
Können Sie umgekehrt nachvollziehen, dass manche Praxis in der Landwirtschaft nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht?
In den Medien wird häufig nur ein Schnipsel der Realität gezeigt. Beim Thema Gülle ist beispielsweise immer nur von der Nitrat-Verseuchung des Grundwassers die Rede. Dass die Ausbringtechnik inzwischen sehr präzise ist und umfangreiche gesetzliche Vorgaben Belastungen verhindern, wird leider kaum kommuniziert. Da ist es dann nicht verwunderlich, wenn Verbraucher ein falsches Bild haben und Kritik äußern.
Unter dem Titel „Wir haben es satt“ haben zur Grünen Woche mehrere Tausend Menschen – darunter auch Landwirte – gegen die Agrarpolitik protestiert. Ist ein „Weiter so“ möglich, oder bedarf es einer grundlegenden Agrarwende?
In vielen dort geäußerten Positionen finde ich mich durchaus wieder. Wir brauchen mehr Wertschätzung für Lebensmittel und vor allem gleiche Bedingungen. Wenn für die Aufzucht von Ferkeln in Deutschland hohe Auflagen gelten, tut das dem Tierwohl gut. Die gleichen Standards müssen dann allerdings auch für importierte Produkte gelten, mit denen wir sonst nicht konkurrieren können.
Was ist in diesem Zusammenhang Ihr Appell an Politik und Verbraucher?
Verbraucher sollten einseitige Darstellungen hinterfragen und das Gespräch mit Landwirten aus ihrem Umfeld zu suchen. Mein klarer Appell an die Politik ist, dass es einheitliche Standards für importierte und im eigenen Land erzeugte Lebensmittel geben muss. Außerdem brauchen wir Landwirte endlich Planungssicherheit für Investitionen. Wenn von Legislaturperiode zu Legislaturperiode neue Vorgaben formuliert und wieder über den Haufen geworfen werden, können sich familiär geführte Betriebe unmöglich darauf einstellen.
Wie ist es aktuell um Ihren Berufsstand bestellt?
Der Krieg in der Ukraine sorgt für starke Schwankungen. Die Düngerpreise sind Ende letzten Jahres enorm in die Höhe geschossen und jetzt wieder stark gefallen. Auch die Getreidepreise sinken inzwischen wieder, was für die Schweinemäster positiv ist. Der Milchpreis ist noch gut, der Markt durch die große Menge inzwischen aber zunehmend unter Druck. Bei den Bullenmästern sind die Erzeugerpreise so hoch wie nie. Das gemeinsame Problem in allen Bereichen ist die fehlende Planungssicherheit. Entsprechend verhalten ist derzeit die Stimmung bei den Landwirten.
Können Sie jungen Menschen noch guten Gewissens empfehlen, den Beruf des Landwirts zu ergreifen?
Unser aktueller Lehrling ist im zweiten Ausbildungsjahr und kommt selbst von einem Betrieb. Er brennt förmlich für die Landwirtschaft. Wer solche Leidenschaft mitbringt, dem würde ich – auch ohne diesen familiären Hintergrund – seinen Berufswunsch niemals ausreden. Zumal es mit dieser fachlichen Grundlage auch noch die Möglichkeit gibt, in den vor- oder nachgelagerten Branchen zu arbeiten. (Jan-Christoph Eisenberg)