Dem Geheimnis der Höhlen und Quellen im Werra-Meißner-Kreis auf der Spur

Die Höhlen und Tuffkalksteinquellen des vom Muschelkalk geprägten hessischen Berglandes sind voller Geheimnisse. Sie erforscht und kartiert der Höhlenforscher Stefan Zaenker.
Werra-Meißner – Manchmal ist er allein, meist mit seiner Forschermannschaft unterwegs. Stefan Zaenker ist mindestens 1,90 Meter groß. Aber wenn der große Mann mit einer feinen Stahlfederpinzette Lebewesen, die meist nicht größer als einen Millimeter sind, aus dem feuchten Laub einsammelt, tut er das mit einer überwältigenden Zartheit und Vorsicht.
Die besondere Pinzette sorgt dafür, dass auch dem kleinsten Springschwanz kein Bein gekrümmt wird, obgleich das Tierchen im nächsten Augenblick in einem Behälter mit reinem Alkohol verschwindet, wo es für alle Zeit konserviert ist. „Das schaue ich mir heute Abend unter dem Mikroskop an, um es genau zu bestimmen“, sagt Zaenker und freut sich.

Der 57-Jährige erforscht seit mehr als 30 Jahren Höhlen in Hessen, er ist Vorsitzender des Landesverbandes für Höhlen- und Karstforschung Hessen, und sein Kernland ist eigentlich die Rhön. Deshalb ist er eigens nach Fulda gezogen. Doch gerade war Zaenker im Werra-Meißner-Kreis unterwegs, um östlich von Bad Sooden-Allendorf hoch oben im Buchenwald Kalktuffsteinquellen zu finden und vor allem zu kartieren.
Es regent in Strömen und Zaenker freut sich und sagt: „Gestern noch Grundsteuerreform, heute Quellen erforschen.“ Denn Zaenker ist eigentlich Finanzbeamter und im Moment zuständig für die Umsetzung der Grundsteuerreform. Weil er aber in den vergangenen Jahrzehnten eine enorme Expertise zu Höhlen und seinen Bewohnern wie die zahlreichen Fledermausarten, aber auch unzählige Kleinstlebewesen angesammelt hat, teilen sich die Oberfinanzdirektion Hanau und das RP Kassel, wo die Hälfte der Woche für den Naturschutz zuständig ist, den Mann.
Seit er 16 ist, ist er in Höhlen unterwegs, hat inzwischen seine ganze Familie mit seiner Leidenschaft angesteckt und bei seinen Touren in Höhlen schon das eine oder andere bisher unbekannte Tier entdeckt, wie zum Beispiel eine weiße Spinne ohne Augen.
Über seine Leidenschaft für Höhlen ist Zaenker auch zu den Quellen gekommen. Denn der Muschelkalk wird vom Wasser ausgespült, wobei sich nicht nur Höhlen bilden, sondern auch zahlreichen Quellen sprudeln. „Die Quellen sind ein Grenzlebensraum mit einer ungeheuren Artenvielfalt“, schwärmt Zaenker und freut sich, dass diese wertvollen Biotope nun nach den neuen Naturschutzrichtlinien einen Schutzstatus haben.
Für den ungeübten Laien sehen die Kalktuffsteinquellen im Wald einfach nur wie Rinnsale oder winzige Bäche aus. Doch Zaenker erkennt die Quellen, in denen es in unseren Wäldern reichlich gibt, sofort. Hauptmerkmal ist das quietschgrüne Moos, das sich an den Randbereichen bildet. Damit vor allem die Leute vom Forst Bescheid wissen, gibt Zaenker die kartierten Daten dorthin. „Die müssen ja vor allem lernen, die Quellen überhaupt zu erkennen“, sagt der Forscher und will sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn eine Holzrückmaschine durchfährt. „Da würden uralte Dinge unwiederbringlich zerstört werden.“
Im Wald oberhalb des Dorfes Asbach parkt Zaenker seinen Wagen und packt erst mal aus. Ein Stativ mit einem digitalen GPS, das zugleich im Umkreis von 400 Metern ein Wlan herstellt, einen Rucksack mit Bechern, Behältnissen, Thermometer, Messgerät für elektrische Leitfähigkeit, einen Insektenkescher und eine weiße Brotdose (ohne Brot).
Viel Technik für die Quellkartierung
Am Austritt der Quelle baut Zaenker das GPS auf, dann schiebt er etwa Laub beiseite, wühlt das Sediment ein bisschen auf und sammelt davon in einen Minikescher. Und gleich wird er fündig. „Toll, mit einem Strudelwurm hab ich hier nicht gerechnet.“ Dann entdeckt er die Larve eine Nadelsteinfliege. Er macht Fotos, nimmt Wasserproben, misst die Temperatur und die Leitfähigkeit des Wassers und dann kommt die Brotdose zum Einsatz: Zanker greift sich ein paar Handvoll feuchtes Laub vom Rand der Quelle, legt es in die Dose und schüttelt es dann mit der Hand wieder raus. Zum Vorschein kommen der Kurzflügelkäfer, der wegen der Pinzette um sein Leben rennt, die gefleckte Schüsselschnecke, die kleinen Springschwänze, eine Sumpfassel, eine Mauerassel, ein Erdläufer (eine Art Tausendfüßler) eine Zwergassel (die hat auf jeder Seite drei Augen).

Der Forscher ist begeistert. Doch Richtung in Verzückung gerät er, als er einen Alpenstrudelwurm entdeckt. „Das ist ein Relikt aus der Eiszeit“, sagt Zaenker. Und das sei eine Sensation, denn der Urwurm könne nur in allersauberstem Wasser überleben. Was an dem Tag wegen des strammen Dauerregens ausfallen muss, ist die Dokumentation der Fluginsekten, die sich gern über den Quellen tummeln. Denn die wollen bei Regen nicht fliegen.
Ergebnisse werden in Datenbank eingepflegt und Behörden zur Verfügung gestellt
Zaenker gibt alle erfassten Daten zu der ersten Quelle in eine App ein, die sein Sohn eigens entwickelt hat und auf die alle Höhlenforscher zugriff haben und so eine wertvolle Datenbank aufbauen. Ergänzt wird die Dokumentation noch durch eine Gefährdungseinschätzung der Quelle. Das kann die Nähe zu Forstwegen sein, aber auch dass Quellen eingefasst wurden. Das verhindert nämlich zum Beispiel das nachtaktive Tierchen – sind sie erst mal ausgespült – nicht zurück ins Dunkle können. Diese Einfassungen der Quellen sollen nun wieder zurück gebaut werden.
Und auch optisch haben die Quellen, von denen es Sicker-, eine eigene Schönheit. Denn der Kalk, der mit dem Wasser aus dem Muschelkalboden dringt, setzt sich um Moose, Pflanzen und Tiere und versteinert sie zu wunderschönen Gebilden.