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Mehr als 1.000 Menschen suchten Schutz im Werra-Meißner-Kreis

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Von: Tobias Stück, Eden Sophie Rimbach

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Großer Ansturm: Gestern kamen Hunderte geflüchtete Ukrainer aus allen Teilen des Kreises zum Landgrafenschloss nach Eschwege. Mit Unterstützung der Sparkasse wurden im Rittersaal 100 Euro pro Person ausgezahlt.
Großer Ansturm: Am Freitag, 1. April, kamen Hunderte geflüchtete Ukrainer aus allen Teilen des Kreises zum Landgrafenschloss nach Eschwege. Mit Unterstützung der Sparkasse wurden im Rittersaal 100 Euro pro Person ausgezahlt. (Archivfoto) © Tobias Stück

Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine vor einem Jahr sind über 1.000 Menschen im Werra-Meißner-Kreis angekommen. Viele sind seit Sommer wieder zurückgekehrt.

Werra-Meißner – Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor exakt einem Jahr haben mehr als 1.000 Menschen aus der Ukraine Zuflucht im Werra-Meißner-Kreis gefunden. Die größte registrierte Zahl lag bei 1.049. Die Zahl könnte noch höher liegen, weil viele Menschen privat untergekommen sind. Seit dem Sommer sind außerdem viele Geflüchtete wieder in die Ukraine zurückgekehrt. In erster Linie sind Frauen und Kinder hier angekommen.

Seit Bekanntwerden der Angriffe am 24. Februar 2022 hatte sich im Landkreis eine Welle der Hilfsbereitschaft breitgemacht. Menschen aus dem Kreis sind teilweise an die polnisch/ukrainische Grenze gefahren, um Ukrainer, die Schutz suchten, abzuholen. Die vielen privat eingereisten Menschen hatten offizielle Stellen vor große Herausforderungen gestellt, weil nicht klar war, wer registriert und hilfeleistungsberechtigt ist. Nach einigen Wochen wurden im März Vereine in der Kreisstadt wie „Eschwege hilft“ oder die Tafeln in Eschwege und Witzenhausen, die Arche in Hessisch Lichtenau überrannt, weil Menschen hier schnelle und unkomplizierte Hilfe einforderten. Die Eschweger Tafel versorgte 2022 beispielsweise zusätzlich 35 ukrainische Familien regelmäßig. „Eschwege hilft“ organisierte Kleidung und Möbel und brachte mehrere Sattelschlepper mit Hilfsgütern auf den Weg in die Ukraine.

Auswirkungen auf Arbeitsmarkt

Ab April hatte der Werra-Meißner-Kreis die Situation wieder unter Kontrolle, bestätigte Landrätin Nicole Rathgeber. Im Haushalt 2023 hat der Kreis fast eine dreiviertel Million Euro für die Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge vorgesehen. Für die Überlaufeinrichtung zur Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge sind 325.000 Euro und für den Stab Migration wegen der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs zusätzliche 400.000 Euro eingeplant.

Ab dem Sommer hatten die ukrainischen Flüchtlinge auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Landkreis. Zwischen Juli und September sorgte der sogenannte Ukraine-Effekt nach Angaben der Agentur für Arbeit für eine steigende Arbeitslosenquote. Mehr als fünf Prozent waren zwischenzeitlich ohne Job. Im November entspannte sich die Situation wieder, im Dezember war der Ukraine-Effekt nicht mehr spürbar.

Auch die Schulen standen vor großen Herausforderungen. Sie mussten Hunderte ukrainischer Kinder integrieren. Teilweise wurden sie aber auch per Video aus der Ukraine heraus unterrichtet. (Tobias Stück)

2022 wurden 351 Flüchtlinge zugewiesen

Insgesamt kamen im vorigen Jahr 351 Flüchtlinge aus anderen Ländern in den Kreis, 2021 waren ihm vom Land Hessen 240 zugewiesen worden. Im ersten Quartal 2023 wird im Werra-Meißner-Kreis mit 146 Flüchtlingen gerechnet. Das entspricht genau 1,92 Prozent der hessenweit aufzunehmenden 7.600 Personen. Bei der derzeitigen Belegung von 479 Plätzen stehen aktuell noch 267 in den insgesamt 13 Gemeinschaftsunterkünften im Kreis zur Verfügung. (sff)

Unterricht im Werra-Meißner-Kreis

Anfang März begann für die ersten Grundschüler, die aus der Ukraine in den Kreis gekommen waren, der Unterricht an der Regenbogenschule in Sontra. Neben der Sprachbarriere habe laut Schulleiterin Silke Genzel das, was die Kinder durch Krieg und Flucht erlebt haben, eine Herausforderung dargestellt.

Das erlebt Andreas Hilmes, Schulleiter der Johannisberg-Schule in Witzenhausen, ähnlich. Die ersten Schüler kamen am 21. März an die Schule. Viele ihrer individuellen Probleme würden erst nach und nach zutage treten: „Hier ist ein behutsamer und einfühlsamer Umgang sehr wichtig, und bei Bedarf werden die Schulsozialarbeit oder auch die Schulpsychologie hinzugezogen.“ Groß sei vor allem die Sorge um Väter und ältere Brüder.

Schüchtern seien viele der Schüler aus der Ukraine anfangs gewesen, erinnern sich Kerstin Ihde, Schulleiterin des Eschweger Standorts der Anne-Frank-Schule, und Alexandra Gödicker, die dort als IKL-Lehrerin (Lehrerin für Intensivklassen) unterrichtet. Die ersten Schüler, die hier im April mit dem Unterricht begannen, wollten sofort wieder zur Schule gehen und da eine Tagesstruktur haben.

IKL-Klassen

Durch die Mutter eines Schülers aus der Ukraine fand in der Regenbogenschule bis Ende Januar viermal wöchentlich ein Ergänzungsangebot statt. Nach dem Mutterschutz der Grundschullehrerin wird das durch das Kultusministerium ins Leben gerufene Angebot fortgesetzt. Durch die Sprache und die Kultur soll der Bezug zur Heimat der Schüler aufrechterhalten werden. An der Anne-Frank-Schule ist die Mutter eines Schülers, die Journalistin ist, nun als Lehrerin tätig. In Witzenhausen unterstützt zusätzliches Personal, das unter anderem russisch spricht, den Unterricht zum Spracherwerb, bei dem die Praxis im Fokus stehe.

Die IKL-Klassen richten sich an alle Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Sie besuchen zusätzlich Regelklassen. An der Anne-Frank-Schule erhält jedes dieser Kinder einen individuellen Stundenplan. An Mathe, Englisch, Kunst und Sport können die Schüler oft problemlos teilnehmen, während sie Deutsch und Gesellschaftslehre erst in den Regelklassen besuchen, wenn sie schon mindestens ein Jahr lang in Deutschland sind.

Digitaler Unterricht und Entwicklung

An der Grundschule gab es für einige der Kinder zusätzliche Aufgaben von ihrer ukrainischen Schule. Hilmes erklärt, dass Schüler, die einen ukrainischen Abschluss anstreben, ein sehr umfangreiches Vorbereitungsprogramm bewältigen müssen. Nach der Schule und im Ausnahmefall auch währenddessen werden sie vonseiten der Schule begleitet. Digitale Endgeräte stellt die Schule zur Verfügung.

Gut in der Schulgemeinde angekommen seien die ukrainischen Schüler laut Alexandra Gödicker. Zu Weihnachten lernten die Kinder der IKL-Klassen ein Lied, das schließlich die ganze Schule sang. Während die Jüngeren oft leiser seien, merke man anderen die Freude am Deutschlernen an, was auch andere motiviere. Die weiterführenden Schulen erleben, dass einige Schüler ihre Zukunft in Deutschland sehen und entsprechend große Lernfortschritt erzielen. Andere hofften auf baldige Rückkehr in ihre Heimat. (Eden Sophie Rimbach)

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