Das bringt die Stilllegung des Waldes bei Wanfried mit sich

Das Land Hessen will zehn Prozent der Staatswaldfläche aus der Bewirtschaftung herausnehmen. Betroffen sind rund 1000 Hektar rund um Wanfried und Weißenborn.
Wanfried/Weißenborn – Das Verständnis, warum so eine große zusammenhängende Fläche wie bei Wanfried zu einem Urwald umfunktioniert werden soll, ist in den vergangenen Monaten bei der Stadt Wanfried nicht größer geworden. Im Gegenteil: Nach der jüngsten Post zu diesem Thema ist das Unverständnis eher gewachsen. Das bestätigte Bürgermeister Wilhelm Gebhard auf Anfrage unserer Zeitung. In einem „Verordnungsentwurf“ deutet das Regierungspräsidium (RP) an, was in Zukunft in den stillgelegten Waldflächen erlaubt sein wird und was nicht.
Auflagen durch das Regierungspräsidium
Es dürfen hier keine baulichen Anlagen mehr errichtet werden, Schrifttafeln ebenso wenig. Gewerbliche Tätigkeiten sind verboten. Radfahrer und Reiter dürfen die ausgewiesenen Fahrwege nicht mehr verlassen. Geocaching, Klettern oder Zelten ist hier ebenso untersagt. Hundeleinen dürfen nicht länger als acht Meter sein. Jäger dürfen hier keine Luderplätze mehr anlegen.
Gründe für die Flächenstilllegung im Staatswald bei Wanfried
Die Hessische Landesregierung hatt beschlossen, insgesamt 32 000 Hektar Wald, das entspricht zehn Prozent der Staatswaldfläche, vollständig aus der Bewirtschaftung zu nehmen. Das bedeutet, dass in diesen Wäldern keine Forstwirtschaft mehr betrieben wird. Von diesem auch „Stilllegung der Wälder“ genannten Verzicht auf jegliche, regulierende, forstliche Eingriffe sollen vor allem seltene und gefährdete waldbewohnende Tier- und Pflanzenarten profitieren. Dies wird eine natürliche Waldentwicklung gemäß der bundesweit geltenden Definition für solche Naturwaldentwicklungsflächen einleiten. Die Landesregierung sieht in dieser Maßnahme einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der nationalen und der hessischen Biodiversitätsstrategie (Förderung der Artenvielfalt), zur Ermöglichung einer ganzheitlichen Umweltbildung und eines Erlebens von unberührter Natur.

Auswirkungen auf den Wald bei Wanfried
Der nahezu vollständige Verzicht auf jeden forstlichen Eingriff ist unter Naturschützern nicht unumstritten. „Viele der heute bereits so artenreichen und schützenswerten Wälder rund um Wanfried und im Ringgau beherbergen nur deshalb so viele Orchideen, seltene Baumarten und bestandbedrohte Vögel, weil über Jahrhunderte eine nachhaltige forstliche Nutzung den Wald aufgelockert hat“, sagt Dr. Jörg Brauneis, Sprecher des Eschweger Jagdvereins. Die Befürchtung des Jagdvereins: Nach dem Ende der Forstwirtschaft wird in kurzer Zeit die Buche auf großer Fläche dominieren und dunkle, kühle Wälder mit einer geringen Bodenvegetation entstehen lassen. Auch, weil es heute viel weniger Großtiere im Wald gibt als früher.
Das sind die Forderungen des Jagdverbands
Der Jagdverein Hubertus plädiert indes für eine schonende Jagd in den „Urwäldern von morgen“. „Es sollten zwingend große Wildruhezonen ausgewiesen werden, in denen höchsten an wenigen Tagen im Jahr gejagt werden darf, um dem Ruhebedürfnis der Tiere Rechnung zu tragen“, sagt Brauneis. Die meisten Großtiere, die in früheren Urwäldern in der Lage waren, einen nachhaltigen, gestaltenden Einfluss auf die Waldentwicklung zu nehmen, sind fast alle ausgerottet. Schwergewichte wie Wisent, Auerochse, Elche und das Europäische Wildpferd sind aus Mitteleuropa verschwunden. Geblieben sind nur der Rothirsch und die kleinste, europäische Hirschart, das Reh. „Diese beiden Arten sind aber allein nicht in der Lage, einen ökologisch relevanten Einfluss auf die geplante Urwaldentwicklung auszuüben“, schätzt Brauneis die Lage ein.
Die Anwesenheit möglichst vieler Pflanzenfresser sei eine unabdingbare Voraussetzung für Biodiversität im Naturwald. Deswegen der Wunsch nach schonender Bejagung. In den Randgebieten der Waldstilllegungsflächen müsse weiter gejagt werden, um übermäßige Wildschäden zu vermeiden.
Auswirkungen auf den Wildbestand
Dem Rotwild soll nach Willen des Jagdvereins gestattet werden, in diesen Naturwaldgebieten wieder heimisch zu werden. Bisher muss jeder Rothirsch, der hier leben will, abgeschossen werden. Besonders in die Wälder um Wanfried könnten schon bald Rothirsche aus dem angrenzenden Eichsfeld einwandern. „Dies wäre im Interesse eines genetischen Austauschs zwischen den stark verinselten Rotwildvorkommen“, sagt Brauneis.
Auch die bei Wanfried vorkommenden Mufflons, die ebenfalls in Kontakt mit der benachbarten, thüringischen Muffelwildpopulation stehen, sollen hier toleriert werden. Diese Tiere stellten eine Genreserve für das in seiner Heimat (Korsika und Sardinien) bedrohte Wildschaf dar.
Sollte sich der Luchs im geplanten Naturschutzgebiet nachhaltig etablieren, wird dies die Muffelpopulation auf natürliche Weise begrenzen. Die Schafe können sich dennoch weiterhin bei Gefahr in die steilen Felspartien der Muschelkalkhänge rund um Wanfried zurückziehen. ts
Touismus befürchtet keine Einschränkungen
Marco Lenarduzzi, Geschäftsführer des Geo-Naturparks glaubt, dass die Chancen durch die Flächenstilllegung überwiegen werden. „Der Mensch soll keinesfalls ausgesperrt werden, sondern gelenkt und informiert werden.“ Für den Geo-Naturpark hat das Waldgebiet rund um Wanfried eine hohe Bedeutung. „Die Flächen weisen eine hohe Biodiversität auf und sind damit von hohem Naturschutzwert“, sagt Lenarduzzi. Gerade auch in Verbindung mit dem Grünen Band.
Der Premiumwanderweg P5 Plesse, der X24 (Dietemannpfad) und der Rundweg 2 Elfengrund führen dort entlang. Der Plesseturm sei von besonderem touristischen Wert. Der Geo-Naturpark habe die Zusicherung des Landes, dass die bestehenden Wanderwege erhalten und auch gepflegt werden können. Auch der Plesseturm und seine unmittelbare Umgebung seien nicht durch Restriktionen betroffen. „Natur ist eine Megathema im Tourismus“, sagt Lenarduzzi. Der stillgelegte Wald soll Teil des geplanten Naturmonuments Grünes Band werden. Der Naturpark-Chef hofft, dass das Land möchte Mittel für Naturschutz, Tourismus, Umweltbildung und Regionalentwicklung in die Region fließen lässt. „Davon kann die Region profitieren.“
Brennholz
Neben den Auflagen für die Waldnutzung sieht Gebhard ein wirtschaftsethisches Problem auftreten. „Die Ukraine-Krise wirft neue Fragen der Energieversorgung auf“ sagt Gebhard. Teil der Flächenstilllegung ist es auch, dass kein Brennholz mehr entnommen werden darf. „Bestes Brennholz verrottet vor sich hin, während viele Wanfrieder durch Selbstwerbung ihre Häuser heizen könnten.“ Das richtige Maß sei bei weiteren Überlegungen der Flächenstilllegung wichtig. „Wir brauchen Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und unsere heimische Forstwirtschaft ist da vorbildlich.“