Ein Dorf kümmert sich um ukrainische Familie und erfährt dabei selbst Gutes

Anstatt in Schockstarre zu fallen, trafen sich zahlreiche Mäckelsdorfer Bürger und berieten, wie sie mögliche Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Waldkappel unterstützen könnten.
Mäckelsdorf/Friemen – Im eigenen Haus mochte niemand eine Familie aufnehmen, aber bei Torsten Hatt und Ulrike Giesen waren gerade die Praxisräume ihrer Hebammenpraxis in Friemen frei geworden, sodass eine kleine, teilweise eingerichtete Wohnung zur Verfügung stand. Bereits im März/April kamen zwei Familien, die jedoch bald eine Wohnung in Waldkappel fanden.
Im Mai folgte dann Familie Sereda/ Bubnova, bestehend aus Großmutter Irina (59), Mutter Marina (37) und Tochter Arina (8) nach Waldkappel. Ihre Wohnung in Staryy Saltov, östlich von Charkiw, war ausgebombt worden. Sie waren froh, in Friemen eine Unterkunft zu bekommen.
Nun zeigte das Mäckelsdorfer Netzwerk der Hilfe und Integration, wie gut alles ineinandergriff. Norbert Rust besorgte aus dem Dürerhof in Gehau fehlende Möbel. Carolin Lenz-Wahl sammelte Kinderkleidung für Arina und kümmerte sich um eine Nähmaschine, damit die beiden ukrainischen Frauen, professionelle Näherinnen, schneidern konnten. Bernd Hirschfelder-Wittenbrink und Maria Willms unterstützten die drei bei den Papieren, Ämterbesuchen und Arztbesuchen. Carola Burkert und viele Menschen aus den beiden Dörfern durchforsteten ihre Schränke nach Handtüchern, Töpfen und was eben so gebraucht wurde, und halfen auch finanziell aus.
„Bei Not helfen alle aus dem Dorf“, sagt Ulrike Giesen, die alle Fäden in der Hand hält. Die Organisatorin ist ständige Ansprechpartnerin für die ukrainischen Flüchtlinge. Es gibt viele kleine und große Herausforderungen zu bewältigen, die für nur russisch Sprechende ohne Hilfe schlichtweg unmöglich sind: Einrichtung eines Bankkontos, Abschließen einer Haftpflichtversicherung, die Anmeldung bei der Stadt, die Beantragung des Kindergeldes und Bildung und Teilhabe, Teilnahme am Ferienprogramm für Arina, die Meldung beim Amt für Migration und Krankenkasse, die Schulanmeldung mit Arztuntersuchung für Arina, die Sprachkurse für die beiden Frauen und dann noch der Nahverkehr per Landbus. In Friemen wird die Buslinie durch ein Anrufsammeltaxi ergänzt.
Ein schönes Beispiel. Dafür muss man eine 0800-Nummer anrufen und hat ein Band oder einen Menschen am anderen Ende. Das Verstehen einer Bandansage und das Sich-Verständlich-Machen für Deutschunkundige ist schier unmöglich. Hier springt das Mäckelsdorfer Hilfenetzwerk ein, erklärt Fahrpläne, zeigt die Bushaltestellen und immer findet sich jemand für Fahrdienste.
„Eigentlich läuft’s gut,“ meint Maria Willms. „Wenn Briefe kommen, kopieren Oma und Mutter sie und schicken sie per WhatsApp zu mir. Dann kann ich sie gleich beantworten und zur Post oder direkt zum Jobcenter bringen. Mit dem Jobcenter läuft’s super. Nur mit dem Amt für Migration und Integration hakt’s.“

Um finanzielle Unterstützung beim Jobcenter beantragen zu können, ist eine Aufenthaltserlaubnis notwendig. Dafür braucht man eine Fiktionsbescheinigung vom Amt für Migration. Trotz einigem Hin und Her sowie Einschalten der Stadt Waldkappel hat Großmutter Irina den Aufenthaltstitel erst jetzt nach elf Monaten Wartezeit erhalten.Die Konsequenz war, dass Miete, Krankenkasse, Tafel und Bürgergeld noch nicht gewährt wurden und alle drei vom Bürgergeld von Mutter Marina leben mussten.
Gelungene Integration zeigte sich, als Weihnachten die drei Flüchtlinge in Mäckelsdorf mitfeiern, mit anderen Mäckelsdorfern gemeinsame Ausflüge unternehmen oder wenn an Silvester auf der Brücke zusammen ausgelassen getanzt, gelacht und mal der Ernst vergessen werden kann. „Ihr Strahlen und ihre Dankbarkeit zu erleben, das ist eine richtige Bereicherung für uns,“ bekennt Ulrike Giesen.
Gefragt, wie es ihnen in Friemen gefällt – das ist nur mittels eines Übersetzers auf dem Handy möglich – so ist alles „gut, gut, gut!“ Doch die Heimatlosigkeit, die traumatischen Erlebnisse, das Warten auf das Kriegsende und vor allen die Angst um die Zurückgelassenen, sind überwältigend. Natürlich ist der Sprachkurs schwer für Mutter und Großmutter, dagegen spricht Tochter Arina, die in Waldkappel in die 2. Klasse geht, schon akzentfrei deutsch. Sie ist im Fußballverein Waldkappel integriert und hat in der Schule Freunde gewonnen. Nachmittags lernt sie Ukrainisch am Computer oder sie geht zu Torsten Hatt in die benachbarte Autowerkstatt. Über ihr Hilfsangebot sind sich Hatt, Willms und Giesen einig: „Das ist so schön! Weil sie so ungeheuer dankbar sind,“ konstatiert Torsten Hatt. (Ellen Schubert)