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Gerhard Seliger feiert heute seinen 100. Geburtstag in Gertenbach

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Noch gut drauf: Gerhard Seliger feiert heute 100. Geburtstag.
Noch gut drauf: Gerhard Seliger feiert heute 100. Geburtstag. © Chris Cortis

Eine einzigartig schöne Ehe ist sein Erfolgsrezept für sein Geburtstagsjubiläum

Gertenbach – Die abendliche Tagesschau im Fernsehen muss sein. Für aktuelle Informationen aus der Heimat und der Welt aber greift er am liebsten zu unserer Zeitung, die er täglich „von der ersten bis zur letzten Zeile“ liest. Und zum Bäcker geht er auch noch, um frische Brötchen zu holen – treppab und treppauf. Nichts Besonderes? Von wegen. Der Mann, von dem hier die Rede ist, ist so etwas wie der Unverwüstliche: In seinem Haus im Witzenhäuser Stadtteil Gertenbach blickt Gerhard Seliger heute auf 100 Lebensjahre zurück.

Im niederschlesischen Kraschnitz als ältester von drei Brüdern geboren, war Seliger noch keine 22 Jahre jung, als er gegen Ende des 2. Weltkrieges samt Familie vor den heranrückenden Russen floh. Den Flüchtlingstreck aus Traktoren, Zugpferden und Leiterwagen hatte Graf von der Recke zusammengestellt, der unter mehreren Landsitzen auch einen in Kraschnitz besaß.

Ziel war zunächst Dresden, ehe man sich später, wie vereinbart, bei der Cousine des Vaters Franz in Leipzig wieder traf. Bange Tage lagen dazwischen, weil Gerhards Bruder Horst – er lebt heute 91-jährig bei Ludwigshafen – erkrankte und, versteckt in einer Scheune in Hoyerswerda, von Mutter Ida gepflegt wurde. Glücklicherweise ging alles gut.

Eine spannende Lebensgeschichte

Nicht so für Bruder Erwin. Längst in Sicherheit, kam er vor 70 Jahren bei einem Motorradunfall ums Leben. Gerhard Seliger hatte den Beruf des Tischlers erlernt und war als Wagenmacher beschäftigt, ehe er zum Militär eingezogen, als Soldat auf der Krim verwundet wurde und sich nach einem Lazarettaufenthalt in Rumänien der Marine anschloss, die dringend Leute suchte.

1946 geriet er in englische Gefangenschaft und floh nur ein Jahr später mit einem Kameraden, der gut bekannt war mit Hubertus von Berlepsch und in Hübenthal eine kleine Landwirtschaft betrieb. Auf dessen Vermittlung heuerte er bei dem Schlossherrn an. Als der damals 24-Jährige mit dem Fahrrad bergauf strampelte, um sich vorzustellen, lief ihm eine junge Frau über den Weg, von der er nicht ahnen konnte, dass er sie zwei Jahre später heiraten würde. Irmgard hatte dasselbe Ziel, stand sie doch in den Diensten des Gutsverwalters. Zwei Kinder schenkte sie ihrem Mann, die heute 73-jährige Renate und den vier Jahre jüngeren Horst.

Bis 1964 blieb die Familie in Hübenthal. Als Tischler fertigte Gerhard Seliger für das Schloss Berlepsch unter anderem die gesamte Bestuhlung des heutigen Gastraumes an, außerdem Fenster und Fensterbänke aus Eichenholz. Zwischenzeitlich hatte das Ehepaar in der Bahnhofstraße in Gertenbach sein Haus selbst gebaut, in das es aber erst viel später eingezogen ist. Das gesamte Mobiliar inklusive der schweren Eichentreppe ist Marke Eigenbau.

Seligers Erfolgsrezept für 100 Jahre

Nach Hübenthal wechselte Gerhard Seliger in den Staatsdienst, war an der Außenstelle Hessisch Lichtenau des Staatsbauamtes Kassel bis 1988 zuständig für die Bauunterhaltung von Kasernen und machte sich selbst die größte Freude, als er ein Jahr vor der Pensionierung an der Fachhochschule sein Examen als Architekt und Bauingenieur mit Bravour bestand. Von Ruhestand konnte da immer noch keine Rede sein. 1989 wurde Gerhard Seliger Vorsitzender des Ortsgerichts Witzenhausen und befasste sich 20 Jahre lang ohne Schreibmaschine, geschweige denn Computer, mit der Beglaubigung von Urkunden und der Bewertung von Grundstücken.

Wie er dieses biblische Alter erreichen konnte? „Alles in Maßen und keine Lebensfreude übertrieben.“ Und das Wichtigste: „Eine einzigartig schöne Ehe.“ Liebevolles Dankeschön eines Mannes, der seit 2018 Witwer ist. Seinen Ehrentag feiert er heute im Kreis seiner beiden Kinder, drei Enkeln, vier Urenkeln und weiterer Gratulanten in der Gaststätte des Hofs Kindervatter in Witzenhausen.

Von Chris Cortis

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