Todesfahrt von Gertenbach: Nur Schizophrenie ist bei Täter plausibel

Es ist nicht klar beweisbar, so wie beispielsweise ein Knochenbruch anhand eines Röntgenbildes, sondern lässt sich nur durch auf Erfahrungen beruhenden Indizien wie Puzzleteile zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen.
Gertenbach/Kassel – Der 31-jährige Todesfahrer von Gertenbach leidet unter einer Schizophrenie und handelte bei seiner – unstrittigen – Tat unter Einfluss irgendeiner Wahnvorstellung, als er den VW Polo auf den Gehweg und in die Kindergruppe lenkte. Eine andere Erklärung hält nicht nur Birgit von Hecker, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, nach dem Verfolgen des Prozesses und dem Begutachten von Akten für nicht plausibel.
Zu Beginn des siebten Verhandlungstages vor der Großen Strafkammer am Landgericht Kassel hatte auch schon die Oberärztin der Kriseninterventionsstation der Klinik für forensische Psychiatrie in Haina als Sachverständige dargelegt, dass der auf dieser Station vorläufig untergebrachte 31-Jährige mit Sicherheit eine Schizophrenie ohne manische Komponenten habe, was sein vorheriges aufbrausendes und gereiztes Verhalten erklären könnte. Ansonsten hätte er nach mittlerweile einem Jahr mit einem in hoher Dosis verabreichten Medikament, einem speziellen Antipsychotikum, schon längst auffallende Nebenwirkungen gehabt, so die Psychiaterin. Taten von an Schizophrenie leidenden Menschen geschehen für Außenstehende unlogisch, völlig grundlos. Sie lebten in einer eigenen Wahn- beziehungsweise Wahrnehmungswelt.
Bei der Todesfahrt, so die Psychiatrische Sachverständige, deute alles auf eine Wahnvorstellung, ein Verfolgungserleben, eine innere, befehlenden Stimme bei dem Beschuldigten hin. Solange er zu der Tat schweige, lasse sich Näheres nur spekulieren.
Bei dieser schweren Erkrankung mit diesen Auswirkungen liegen laut der Expertin die Voraussetzungen für eine dauerhafte Einweisung in die Psychiatrie vor. Sie sieht, wenn der 31-Jährige nicht auf Dauer behandelt wird, die Gefahr, „dass es zu weiteren schweren Delikten mit Personenschaden kommen kann“. Schizophrenie, erläuterte sie, bleibe wie beispielsweise Diabetes, durch Medikamente könnten nur die Symptome unterdrückt werden.
Beim Durchgehen des Lebenslaufs des Mannes, der nach Feststellung von Staatsanwalt Töppel schon als Jugendlicher kriminell war, wurde auch deutlich, dass er spätestens 2014 psychiatrisch auffällig war – schnell gereizt, in der Konzentration gestört, unter Verfolgungswahn leidend und 2018 erstmals in Behandlung wegen Schizophrenie. Später brach er eine Behandlung ab und immer, wenn er sein Medikament nicht mehr einnahm, kam es zu Gewaltausbrüchen sprich Körperverletzungen an anderen Menschen.
Nach der auch auf Berichten des medizinischen Personals basierenden Einschätzung der Leitenden Ärztin aus Haina erhob die Verteidigerin Widerspruch gegen das Verwerten deren Aussage, da der Beschuldigte sie nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden habe. Das hatte die Anwältin auch schon am fünften Tag des Verfahrens in Bezug auf die Aussage des Arztes getan, der den 31-Jährigen am Tag nach der Tat in einer forensischen Klinik aufgenommen hatte.
Ferner stellte die Verteidiger zwei Beweisanträge: Durch Aussage eines verkehrspädagogischen und psychiatrischen Sachverständigen sollte nachgewiesen werden, dass die Einschätzungen von befragten Kindern zur Geschwindigkeit der Todesfahrt falsch seien; das lehnte das Gericht nach Beratung ab. Zum anderen forderte sie, um die von einem Zeugen vorgetragene „gefährliche Fahrweise“ zu relativieren, eine Auskunft aus dem Kraftfahrtbundesamt. Denn er sei bis auf einen Verstoß nicht aufgefallen.
Letzteres bestätigte Vorsitzender Richter Dreyer nach einer Stunde: Weil er innerorts 40 km/h zu schnell war, hatte der 31-Jährige ein dreimonatiges Fahrverbot auferlegt bekommen.
Der achte Verhandlungstag findet am Freitag, 17. Februar, ab 9 Uhr statt, allerdings diesmal in einem Ausweichraum im „Office-Point“, dem Neubau der alten Hauptpost. Dann soll plädiert werden. Dazu kündigten die Nebenkläger am Montag schon einen Antrag an. Der dürfte auf die Überlegung abzielen, den Beschuldigten doch rechtlich zur Verantwortung ziehen zu können.