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„Das böse Wort Zukauf“: Diskussion in Breuna zur schwierigen Situation der Tafeln

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Von: Paul Bröker

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Diskutierten zur schwierigen Lage der Tafeln: Die Ehrenamtlichen (vorne von links) Gisela Meyer (Hofgeismar), Helga Kepper (Wolfhagen), Ingrid Humburg (Hofgeismar), Reiner Schartel (Bad Karlshafen) sowie (hinten von links) Pfarrerin Tamara Morgenroth (Geschäftsführerin DWRK), Silke Engler (Erste Kreisbeigeordnete), Michaela Landgrebe, Silvia Stricker, Erich Lindner (Stellvertretender Vorsitzender Tafel Hessen), Frauke Wiegand (Koordination Tafelarbeit im DWRK), Pfarrer Uwe Seibel (Vorstandsmitglied Tafel Hessen) sowie Pfarrerin Ulrike Bundschuh (DWRK).
Diskutierten zur schwierigen Lage der Tafeln: Die Ehrenamtlichen (vorne von links) Gisela Meyer (Hofgeismar), Helga Kepper (Wolfhagen), Ingrid Humburg (Hofgeismar), Reiner Schartel (Bad Karlshafen) sowie (hinten von links) Pfarrerin Tamara Morgenroth (Geschäftsführerin DWRK), Silke Engler (Erste Kreisbeigeordnete), Michaela Landgrebe, Silvia Stricker, Erich Lindner (Stellvertretender Vorsitzender Tafel Hessen), Frauke Wiegand (Koordination Tafelarbeit im DWRK), Pfarrer Uwe Seibel (Vorstandsmitglied Tafel Hessen) sowie Pfarrerin Ulrike Bundschuh (DWRK). © Paul Bröker

Die Lage der Tafeln ist prekär: Auf immer mehr Bedürftige kommen immer weniger Lebensmittel. Wie lässt sich damit umgehen, fragte eine Podiumsdiskussion am Montag (20.03.2023) in Breuna.

Breuna – Immer mehr Menschen in Not und gleichzeitig immer weniger Lebensmittel zum Verteilen: Dies ist die Situation, in der sich auch im Landkreis Kassel die Tafeln befinden. In Hofgeismar und Bad Karlshafen mussten die Tafeln bereits Aufnahmestopps verhängen. Wie geht man mit dieser schwierigen Lage um? Dies war Thema bei einer Podiumsveranstaltung am Montagabend im Dorfgemeinschaftshaus in Breuna.

In ihrem Impulsvortrag dankte die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Region Kassel (DWRK), Pfarrerin Tamara Morgenroth, den Ehrenamtlichen. „Sie erfüllen Gottes Willen“, hob sie hervor. Denn durch die Verteilung von überschüssigen Lebensmitteln sorgten sie dafür, dass die Schöpfung weniger seufzt, wie sie an einem Bibelwort des Apostels Paulus festmachte.

Dann trug Pfarrer Uwe Seibel zur schwierigen Situation der Tafeln vor. Der Referent für Gemeinwesenarbeit bei der Diakonie Hessen betonte die Hauptaufgabe der Tafeln: überschüssige Lebensmittel an Bedürftige abzugeben. 724 Tonnen gäben die Tafeln in Deutschland täglich aus, sagte er. „Das sind 32 Lkw aneinandergereiht.“

Lebensmittelspenden rücklaufig: Problem für Tafeln auch in Nordhessen

Die Tafeln seien herausgefordert, da die Lebensmittelspenden im besten Fall, wie in Hessen, stagnierten oder gar rückläufig seien. Gleichzeitig sei die Hilfsbedürftigkeit gestiegen. Zuletzt durch die nach Deutschland geflüchteten Ukrainer.

„Da befinden wir uns in einem programmatischen Dilemma“, sagte Seibel. Denn: „Wir begrüßen den Rückgang der Lebensmittelverschwendung.“ Dadurch, dass der Einzelhandel selbst die Verschwendung eindämme, fehlten den Tafeln aber die zu verteilenden Lebensmittel.

„Da fällt dann das böse Wort Zukauf“, sagte Seibel. Denn ein Zukauf von Lebensmitteln sei laut den Statuten der Tafeln eigentlich ausgeschlossen. An diesem Punkt setzte auch die anschließende Diskussion an, an der sich auch die Erste Kreisbeigeornete Silke Engler beteiligte. Denn im vergangenen Jahr hatte die Crespo-Foundation der Tafel Hessen 800 000 Euro gespendet, um Versorgungslücken zu überbrücken.

Gleichzeitig würden Spender zum Teil im Unklaren gelassen, dass ihr Geld nicht für Lebensmittel, sondern für die Infrastruktur und laufende Kosten genutzt wird, so ein Vorwurf aus dem Publikum. Die Tafeln stehen somit vor einem Dilemma: Handeln sie gegen ihre Grundsätze – kaufen also Lebensmittel zu – oder lassen sie mangels Lebensmitteln Bedürftige im Stich?

Vorwurf der Tafeln: Bürgergeld trägt nicht zur Überwindung von Armut bei

Das grundsätzliche Problem sei jedoch, so Seibel, dass auch mit dem neuen Bürgergeld ein auskömmliches und würdevolles Leben nicht möglich sei. Die Tafeln seien jedoch kein Instrument zur Überwindung gesellschaftlicher Armut und Ungleichheit. „Das ist Aufgabe und Ziel des Staates.“

Die Ehrenamtlichen merkten die schwierige Lage zuerst. „Die Leute verstehen nicht, dass wir kein Grundversorger sind“, erzählte etwa Ingrid Humburg, Ehrenamtliche der Tafel Hofgeismar. Es sei dann auch nicht hilfreich, dass offenbar manche Ämter empfählen: „Dann gehen Sie doch zur Tafel!“ Mittlerweile werde man bereits mit Fragen zu Wohnen oder Schwangerschaft behelligt, die mit der eigentlichen Arbeit nichts zu tun hätten.

Auch unter den Bedürftigen sei die Stimmung teils gereizt, erzählte ihre Kollegin Gisela Meyer. Es sei für viele unverständlich, dass sie nicht an die Reihe kämen oder nicht das bekommen, was sie haben möchten. „Dass wir das dann zum Teil abbekommen ist schade, denn das Ehrenamt macht eigentlich Spaß.“ Die auffälligen Kunden stellten die Minderheit, aber diese Fälle nehme man in Gedanken mit nach Hause, sagte auch Helga Kepper, Ehrenamtliche in Wolfhagen.

Zum Stichwort staatliche Tafeln warb Silke Engler dafür, dass die Tafeln kein fester Teil der Daseinsfürsorge werden. „Es ist toll, dass Sie sich engagieren, aber das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagte sie in Richtung der Ehrenamtlichen. (Paul Bröker)

Auch im Schwalm-Eder-Kreis sind die Tafeln an der Belastungsgrenze angelangt. Sie mussten Ende 2022 einen Aufnahmestopp verhängen.

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