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Michael Loskant ist alten Naumburger Spitznamen auf der Spur

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Von: Norbert Müller

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Einer der Größten seiner Generation in Naumburg: der lange Henner. Das Foto des damals 23-Jährigen wurde 1928 in der Schreinerwerkstatt der Naumburger Kleinbahn aufgenommen.
Einer der Größten seiner Generation in Naumburg: der lange Henner. Das Foto des damals 23-Jährigen wurde 1928 in der Schreinerwerkstatt der Naumburger Kleinbahn aufgenommen.  © Repros: Norbert Müller

Schneischuhhenner, Postjupp, Zähjenhannes, Bräderich oder kleiner Landrat – bei manchem Naumburger ist der Spitzname geläufiger als sein Taufname.

Naumburg – Das Haus vom Muff, das steht gleich neben dem vom Katzoff. Na klar, sagt der Naumburger Ureinwohner. Später Geborene werden dagegen beim Lokalisieren des Beschriebenen erst mal komplett auf dem Schlauch stehen. Muff und Katzoff sind die Spitznamen zweier längst verblichener Naumburger. Diesen ganz speziellen Namen und jenen, die sie tragen oder trugen, ist Michael Loskant seit Kurzem auf der Spur.

Der stellvertretende Vorsitzende des Geschichtsvereins war eigentlich in einer ganz anderen Mission in der Naumburger Altstadt unterwegs. Er beschäftigt sich seit einiger Zeit intensiv mit den alten Gewölbekellern, die unter den Häusern im Stadtkern schlummern. Und bei einem Gespräch über die gemauerte Unterwelt eines bestimmten Hauses kam der Hinweis auf ein nahe stehendes Gebäude, bei dem die Chancen gut stünden, ein weiteres, noch aus dem Mittelalter stammendes Gewölbe zu finden: nämlich im Haus vom Muff.

Vielfalt an Vornamen war früher überschaubar

Das frisch geweckte Interesse an dem Spitznamen, sagt Michael Loskant, sei dann mindestens so groß gewesen, wie die Neugier wegen des Kellers. Noch vor wenigen Jahrzehnten, sagt Loskant, trugen die meisten der Bewohner im kleinen Städtchen ihren individuellen Titel, und das aus ganz praktischen Gründen: Bis weit in die Nachkriegszeit war die Vielfalt an Vornamen überschaubar. Franz, Anton, Willi, Heinrich beispielsweise dominierten bei den Männern, Änne, Maria, Elisabeth, Martha waren bei den Frauen weit verbreitet. Die ebenfalls geringe Bandbreite bei den Nachnamen machte es in Kombination mit den Vornamen kompliziert, weil es oft Personen mit identischem Tauf- und Familiennamen gab.

Michael Loskant
, Heimatforscher
Michael Loskant, Heimatforscher © Norbert Müller

Wie wollte man zwei Josef Loskants auseinanderhalten, die zudem beide noch den gleichen Beruf, den des Wirts, ausübten? Und so kannte man den einen mit der Kneipe an der Unteren Straße als Appel, den anderen, der die Bahnhofswirtschaft betrieb, nannte man das Fässchen. Zumindest bei Letzterem, seinem Onkel, sagt Heimatforscher Michael Loskant, liege auf der Hand, wie er zu seinem Namen kam. Der Spitzname habe exakt Größe und Leibesfülle beschrieben.

Auch bei vielen anderen habe die äußere Erscheinung die Vorlage für den Spitznamen geliefert: Der lange Henner brachte es auf ein Gardemaß von 1,92 Meter, beim roten Günst leuchtete in jüngeren Jahren die Haarpracht entsprechend, und der Schwere war eben alles andere als eine halbe Portion.

Spitznamen gaben teils Hinweise auf die Berufe

Oft gaben die Spitznamen aber auch einen Hinweis auf die ausgeübten Berufe: Steinebrechers Jupp war unter all den Josef Jacobis, zu denen auch der Quetschenjupp zählt, mit seinem Spitznamen einzigartig, sein Bruder Willi Jacobi, konnte sich das Durchnummerieren eigentlich sparen: Dessen Spitzname Farmer wurde sogar andie folgenden Generationen vererbt. Außerdem gab es das Bäcker-Ännchen, die Eiermagreda vom Geflügelhof, den Miesemetzger, den Rechnerfranz, den Vivo.

In Erinnerung sind neben vielen anderen auch die Schnuddsoffie, der Prälat (der nie ein geistliches Amt innehatte), Hahnen Henner, der Zinsenfritz, Pachsch Anna, Dubenmöllersch, der Stubb, der Schlachte-Herrmann, der Küster-Schorsche und die Scheibe Hose.

In der Glockenstube der Stadtpfarrkirche: Georg Rabanus, alias Küster-Schorsche. Archi
In der Glockenstube der Stadtpfarrkirche: Georg Rabanus, alias Küster-Schorsche. © Norbert Müller

Michael Loskant sammelt alte Spitznamen

Inzwischen hat das Sammeln so richtig Fahrt aufgenommen, sagt Michael Loskant. Seit sich bei den alten Naumburgern rumgesprochen hat, dass die alten Zusatzbezeichnungen gesammelt werden, klingele bei ihm öfter noch als sonst das Telefon, um Nachschub für die Dokumentation durchzugeben. „Es kommen immer neue Hinweise.“

Und auch ihn selbst hat das Spitznamen-Fieber voll erwischt. „Ich bin auch schon mitten in der Nacht aufgestanden, weil mir wieder ein Name eingefallen ist und ich ihn gleich aufschreiben musste“, sagt der 70-Jährige. Im Übrigen seien inzwischen „auch ein paar ehrenrührige Spitznamen“ aufgetaucht, die kommen aber nicht auf seine Liste.

Buchbinder Hahnen Henner hieß eigentlich Heinrich Loskant. Seine Mutter war eine geborene Hahn. Mit auf dem Foto Tochter Maria.
Buchbinder Hahnen Henner hieß eigentlich Heinrich Loskant. Seine Mutter war eine geborene Hahn. Mit auf dem Foto Tochter Maria.  © Repro: Norbert Müller

Was Loskant bei seinem neuen Sammelgebiet antreibt, ist „die Erkenntnis, dass diese Namen bald verloren gehen könnten“, aber auch der Forscherdrang herauszubekommen, wer sich hinter einem bestimmten, noch nicht geklärten Spitznamen verbirgt. Dazu gehört auch, wie der Kaufmann Wiegand zum Muff wurde.

Dagegen sei die Bezeichnung Katzoff eine klare Sache. Jeder in Naumburg wisse, dass es dabei um die Metzgerei Dux gehe. Katzoff, sagt Michael Loskant, „ist die hebräische Bezeichnung für einen Metzger, wie sie auch die Naumburger Juden gebraucht haben“ und diente als Hausbeschreibung jener Fleischerei, aber auch als Spitzname für den Seniorchef und damit zur eindeutigen Unterscheidung von den zahlreichen anderen Naumburgern mit dem Nachnamen Dux. Eben genau so, wie man seinerzeit die Spitznamen schätzte.

Von sehr robuster Art: Schnuddsoffie Sophie Meier, ein Naumburger Original ohne Furcht vor großen Tieren.
Von sehr robuster Art: Schnuddsoffie Sophie Meier, ein Naumburger Original ohne Furcht vor großen Tieren. © Norbert Müller

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