Rettungsaktion: Mit der Drohne auf der Suche nach den Rehkitzen

Die Aktiven des Vereins Rehkitzrettung Nordhessen haben derzeit rund um Naumburg viel zu tun. Ehe die Landwirte ihre Wiesen mähen, gehen die Vereinsmitglieder mit einer Drohne auf die Suche nach den Kitzen im Gras.
Naumburg – „Im vergangenen Jahr haben wir hier vier Kitze eingesammelt und davor bewahrt, ins Mähwerk zu geraten“, sagt Ingo Bandurski. Dass die Tiere überlebten, haben sie vor allem den Aktiven des Vereins Rehkitzrettung Nordhessen zu verdanken. Die hatten die lang gezogene Wiese vor dem Jagdhaus am Hattenhäuser Wald bei Naumburg mit einer ihrer Drohnen abgeflogen und so die im Gras verborgenen Kitze entdeckt und in Sicherheit gebracht, ehe der Landwirt mit seinem mächtigen Mähwerk die Halme rasierte.
Schrecklicher Anblick
Auch in diesem Jahr hat Bandurski, der nicht nur Mitpächter des Reviers Hattenhausen ist, sondern auch Leiter des Hegerings, in Absprache mit dem Landwirt die Truppe um Florian Bayan engagiert, um vor der ersten Mahd die Fläche aus der Luft unter die Lupe zu nehmen. „Wenn man es einmal so gemacht hat und ein Kitz mit Gras in der Hand hatte, dann will man es nicht mehr missen“, sagt Bandurski. „Ein ausgemähtes Kitz ist ein schrecklicher Anblick.“
In Naumburg arbeitet man zum dritten Mal mit den Kitzrettern zusammen. Matthias von Knebel, Jagdaufseher im Revier Alter Wald, organisiert die Aktion für die Hegegemeinschaft und übernimmt auch die Absprache mit den Bauern. Mit dem Landwirt, dessen Flächen heute auf der Liste stehen, ist geklärt, dass er mähen kann, sobald die Kitzretter das Signal geben, dass die Fläche gesichtet ist.
Retter sind Frühaufsteher
Die Rehkitzretter sind Frühaufsteher. Gegen 4 Uhr beginnen die Mitglieder, die wie der Oelshäuser Bayan überwiegend aus der näheren Umgebung kommen, schon am jeweiligen Einsatzort mit der Arbeit. Ihr wichtigstes Hilfsmittel ist die Drohne, ein handliches, ferngesteuertes Fluggerät mit vier Propellern und einer Hochleistungskamera. Ihre Infrarot-Technik macht Objekte, die wärmer sind als die Umgebungstemperatur oder der Boden, auf einem Monitor sichtbar. Selbst Tiere, die in hohem Gras lagern, werden so entdeckt. Sonnenschein, der schnell den Boden erwärmt, schränkt die Zeit für die Suche entsprechend ein.
Arbeitshöhe: 60 Meter
Es dauert auch nicht lange, dann hebt das Fluggerät schon surrend ab und steigt rasant auf die Arbeitshöhe von 60 Meter. Etwa 20 Hektar Grünfläche gilt es im Bereich Alter Wald, Hattenhausen und Elben-Feld für das sechsköpfige Team abzufliegen. „Für einen Hektar brauchen wir drei Minuten“, sagt Florian Bayan. „Wenn du reingehen musst, dann hält es auf.“
Von Naumburg und den Stadtteilen sind inzwischen rund 160 Flächen als Dateien bei den Kitzrettern abgespeichert. Die rund 6000 Euro teure Drohne wird mit der jeweiligen Datei gefüttert und fliegt eigenständig ihre Bahnen. Am Monitor verfolgt das Team die Übertragung der Infrarot-Kamera. Wird ein verdächtiges Objekt entdeckt, stoppt der Pilot, schaltet um auf Echtbild und zoomt ganz nahe heran. Wenn es ein Kitz ist, bleibt die Kamera zur Orientierung über dem Fundort stehen. Zwei Teammitglieder, die zusätzlich von der Basis per Funk geleitet werden, gehen mit einer speziellen Rettungsbox auf die Fläche. Mit Handschuhen und viel Gras wird das Tier angefasst und in die Box gehoben. Die Box wir dann am Rand der zu mähenden Fläche abgestellt, die GPS-Daten abgespeichert. Sie erleichtern nach dem Mähen das Auffinden der Box und der Fundstelle, in deren Nähe das Kitz schnellstens wieder sicher ausgesetzt wird.
Ricken noch kugelrund
Am Alten Wald muss die Drohne nicht gestoppt werden, die Wärmebild-Kamera erfasst nichts, was auch nur ansatzweise auf ein Kitz hindeuten würde. „Viele Ricken sind noch kugelrund“, sagt Jagdaufseher von Knebel, vermutlich wegen der lange andauernden kühlen Witterung haben bislang kaum Ricken ihren Nachwuchs geboren. Aber das sei ja auch gut, sagt Florian Bayan, „dann sind die Flächen schon gemäht, wenn die Ricken ihre Kitze setzen“.
Am Hattenhäuser Wald das gleiche Bild: Die Drohne fliegt über Bocks Wiese autonom Streifen um Streifen ab, Kitze sind weit und breit keine zu sehen. Gegen 7 Uhr hat die Truppe bereits zehn Wiesen abgeflogen, ohne auch nur ein Kitz zu entdecken. Und dabei wird es an diesem Tag auch bleiben. Wichtig sei, sagt Hegeringleiter Ingo Bandurski, dass die Situation auf den Flächen geklärt sei, der Landwirt, ohne Jungtiere zu gefährden, mit dem Mähen beginnen könne.
Jeden Tag unterwegs
Wenn in den kommenden Tagen weitere Flächen gemäht werden sollen, müssten diese dann ebenfalls zuvor abgeflogen werden. Die zwei Teams der Rehkitzrettung Nordhessen sind derzeit entsprechend gefragt. Florian Bayan, von Beruf Notfallsanitäter, sagt: „Wir sind zurzeit jeden Tag unterwegs.“ Wer nicht gerade einen freien Tag oder Urlaub hat, gehe morgens direkt nach dem Einsatz zur Arbeit. Allerdings sei die Aufgabe ja saisonal beschränkt. Die rund 20 Aktiven des Vereins, der sich durch Spenden finanziert, kommen auf etwa 30 Tage für die Suchen im Jahr.
Vergangenes Jahr 150 Kitze gerettet
Man könne weitere Unterstützer gut gebrauchen, sagt der 32-jährige Bayan, denn die Arbeit nehme Jahr für Jahr zu. „Als ich 2018 angefangen habe, bin ich 20 Hektar abgeflogen. Im Jahr drauf waren es knapp 60 Hektar. 2023 kommen wir auf 800 Hektar.“ Und er nennt eine weitere Zahl, die zeigt, wie wertvoll die Arbeit der Vereinsmitglieder ist: „2022 haben wir etwa 150 Kitze gerettet.“ (Norbert Müller)