Ähnlich sieht es Jörg Kramm, stellvertretender Vorsitzender des Regionalbauernverbandes Kurhessen und Kreislandwirt. Der Flächenfraß sei durch Straßenbau und Wohnbebauung ohnehin schon enorm und regionale Ernährungsproduktion nun mal auch klimaschützend. Der Bau von Fotovoltaikanlagen müsse auf landwirtschaftlich schlechte Standorte begrenzt bleiben. Hier könne man im Idealfall auch den Naturschutz und landwirtschaftliche Interessen kombinieren. Kramm schlägt vor, dass auf entsprechenden Arealen Blühwiesen für Insekten entstehen oder Tiere wie Schafe und Hühner gehalten werden könnten.
Das werde zum Teil schon so umgesetzt, erklärt Marek Grimmelbein von der BLG Project GmbH aus Wolfhagen, die im Landkreis viele Fotovoltaikprojekte umsetzt. „Wir haben ja jetzt schon Flächen, auf denen Schafe grasen oder sich Bodenbrüter, Igel, Hasen und andere Wildtiere angesiedelt haben.“ Der Gesetzgeber fordere schon jetzt, dass Freiflächenanlagen vorzugsweise an Autobahnen oder Bahntrassen zu realisieren sind. Neue Systeme mit aufgeständerten Anlagen ermöglichten sogar die Doppelnutzung von Landwirtschaft und Stromerzeugung.
Landwirtschaft in Deutschland steht vor der Herausforderung, dass Ackerflächen zunehmend rar werden. Der Straßenbau und Neubaugebiete schlucken immer mehr Fläche. Aus diesem Grund steigen die Pachtpreise für Ackerland.
Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat sich das Fraunhofer Institut deshalb mit der Agri-Fotovoltaik beschäftigt, bei der landwirtschaftliche Flächen doppelt genutzt werden können. Aus Sicht der Forscher könnte diese Technologie die sogenannte Resilienz (Widerstandskraft) des landwirtschaftlichen Betriebs auf klimatische Veränderungen erhöhen.
Denn die aufgeständerten Fotovoltaik-Module bieten Schutz vor zu hoher Sonneneinstrahlung, Hitze, Trockenheit und Hagel. Dies könne für sehr heiße und trockene Sommer sogar überdurchschnittliche Ernteerträge – zusätzlich zum Ertrag aus der Solarstromproduktion – bedeuten. Aus Sicht der Forscher des Institutes wäre dies ein klassischer Win-Win-Effekt.
Der Kreisbauernverband in Kassel bezweifelt allerdings, dass diese Doppelnutzung uneingeschränkt möglich ist. „Pflanzen benötigen Licht für die Fotosynthese. Die dauerhafte Beschattung der Fläche wird sich also auf das Pflanzenwachstum und die Erträge auswirken“, erklärt dazu Sprecherin Stefanie Wittich-Vogel. Deutschland sei einer der wenigen landwirtschaftlichen Gunststandorte weltweit, wenn es um wertvolle Ackerböden und somit um gute Erträge und die Ernährungssicherheit gehe. „Gerade zu Beginn von Corona haben wir am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn Supermarktregale leer bleiben.“
Immer weniger Fläche zu haben heiße jedoch auch, immer mehr auf Exporte aus Ländern, die nicht unsere hohen Standards und Auflagen haben, angewiesen zu sein. „Hochwertige Ackerböden müssen für die Landwirtschaft erhalten bleiben“, so die Sprecherin des Kreisbauernverbandes.
Die Flächenkonkurrenz sei ohnehin hoch: Täglich würden deutschlandweit 52 Hektar Fläche versiegelt, das entspreche jeden Tag der Fläche eines kleineren Familienbetriebes.
„Im Jahr summiert sich das auf 18 980 Hektar. In Hessen werden 2,8 Hektar täglich versiegelt. Im Jahr 1022 Hektar, also fast 20 landwirtschaftliche Betriebe oder 1400 Fußballfelder“, rechnet Wittich-Vogel vor.
Für ihren Kollegen vom Regionalbauernverband Kurhessen, Jörg Kramm, ist es wichtig, dass wenn schon Flächenvoltaik geschaffen werde, alle Belange von Jägern, Naturschützern, Landwirten und der Kommunen im Einklang seien. Von Erträgen der Fotovoltaik sollten nicht ortsfremde Unternehmen profitieren. „Das Kapital muss in der Region bleiben“, so Kramm. (Bea Ricken)