Vier Generationen der Familie Reitz leben in Philippinenthal unter einem Dach

Am Anfang war die Landwirtschaft: In Philippinenthal lebt eine Großfamilie, in der sich vier Generationen ein Haus teilen.
Philippinenburg/-thal – Noch bis in die 1950er- und 60er-Jahre war es auch in den landwirtschaftlich geprägten Dörfern im Wolfhager Land keine Seltenheit, dass mehrere Generationen einer Familie gemeinsam unter einem Dach lebten. In Philippinenthal, wo zusammen mit Philippinenburg 164 Menschen leben, ist eine solche Großfamilie noch zu finden. Vier Generationen teilen sich dort ein Haus.
Mit der 85-jährigen Elisabeth Reitz, ihren Kindern Petra (58) und Wolfgang (56), Enkel Jean-Pierre (32) mit Ehefrau Nina (30) sowie deren zehn Monate alten Tochter Alisa ist das große Familienglück perfekt. Etwas Besonderes ist auch, dass der gemeinsame Nachname Reitz als einziger seit 245 Jahren ohne Unterbrechung in der Kolonie, wie beide Dörfer in der Region genannt werden, bis heute erhalten blieb. Für sie sei es ein Geschenk Gottes, dass sie als Großfamilie zusammen seien, sagt Elisabeth Reitz. Jede Generation könne in dem großen Haus dennoch ihren Freiraum genießen. „Ich jedenfalls bin glücklich darüber und habe nie das Gefühl, allein zu sein.“

Von 1776 bis 1778 entstanden in Hessen 16 neue Dörfer, darunter Philippinenthal
Die Geschichte der Familie Reitz in Philippinenthal beginnt vor etwa 250 Jahren. Als die Region nach dem Siebenjährigen Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen war und die Bewohner unter großer Armut litten, kam es für den damaligen hessischen Landgrafen Friedrich II. darauf an, durch eine gezielte Wirtschaftspolitik die Lebensbedingungen zu verbessern.
Dabei setzte er auf eine beispielhafte Siedlungspolitik. Mit Menschen überwiegend aus Süd- und Mittelhessen sollte das unbebaute und brach liegende Land wieder landwirtschaftlich genutzt werden. So entstanden von 1776 bis 1778 in Hessen 16 neue Dörfer. Für die drei sogenannten Kolonien Philippinenburg/-thal und Philippinendorf erfolgte dafür die landgräfliche Genehmigung am 23. März 1779.
Philippinenthal im Jahr 1778: Michael Reitz bewirtschaftete 37 Äcker
Bereits wenige Tage später trafen die ersten Siedler im Wolfhager Land ein – jeder bekam Geld, ein Haus und Land. Unter den Kolonisten, die im April 1778 in Philippinenthal eine neue Heimat fanden, war auch der damals 46-jährige Michael Reitz, ein Bauer aus Messel nahe Darmstadt, mit seiner Ehefrau, drei Töchtern und drei Söhnen. Er brachte zwei Pferde sowie je einen Wagen, Pflug und Egge mit und bewirtschaftete 37 Äcker, was heute einer Fläche von etwa 15 Hektar entsprechen dürfte.
Elisabeth Reitz erzählt aus der Familiengeschichte: „An unser 1778 erbautes Haus wurden 1956 ein Stall und eine Scheune angebaut. 1980 wurde das gesamte Gebäude bis auf die Grundmauern abgerissen und unser jetziges Domizil neu errichtet.“ Als einziges Andenken an den Hausbau 1778 bewahrt sie noch drei beschriftete Ziegeln auf.
Elisabeth Reitz stammt aus Oberelsungen, wo ihr Vater eine Schmiede betrieb. Dort lernte sie auch ihren 2015 verstorbenen Ehemann Karl Reitz kennen und folgte ihm nach Philippinenthal. Geheiratet wurde 1959 in der Kolonie. Die Landwirtschaft existiert noch heute, Sohn Wolfgang betreibt sie aber nur noch im Nebenerwerb. (Reinhard Michl)