Wolfhager und Arolserin fotografieren verlassene Orte

Der Wolfhager Michael Langer fotografiert verlassene Orte. Seit gut einem Jahr wird er bei seinen Streifzügen begleitet von Katja Linke aus Bad Arolsen.
Wolfhagen – Der Verfall und die Stille, die das alte Gemäuer umgeben, machen es zu einem Ort voller Mysterien und Geheimnisse. Es ist, als ob das Fachwerkhaus unweit des Wolfhager Marktplatzes im Dornröschenschlaf liegt. Fast ein wenig gespenstisch mutet es an, wenn die alten Holzdielen ausdauernd unter den Füßen knarzen und Spinnenweben auf der Haut kitzeln, während es Stufe für Stufe im Licht der Taschenlampen durchs dunkle Treppenhaus rauf in eine Welt geht, in der die Zeit stehen geblieben scheint. Genau darum geht es Michael Langer und Katja Linke, wenn sie ausschwirren, um die oft besondere Atmosphäre verlassener Orte mit ihren Kameras einzufangen.
Der Produktionsleiter aus dem Fahrzeugbau und die Vertrieblerin teilen in ihrer Freizeit die Leidenschaft für sogenannte Lost Places. Das sind verlassene Gebäude oder Anlagen, wo Fotografen nicht selten interessante Motive und die Herausforderung vorfinden, diese in Bildern einzufangen.
Viele Jahre und seit 2021 nun auch gemeinsam, sind die beiden in ganz Deutschland und im benachbarten Ausland als Urbex-Fotografen unterwegs, wobei Urbex als Abkürzung für „urban exploration“ steht, was so viel bedeutet wie „Erkundung der Stadt“. „Ein bisschen ist es wie Geocaching ohne Schatz“, sagt Linke, die nicht genug bekommen kann von verlassenen Orten. Fabriken, Krankenhäuser, alte Villen – es sei kaum vorstellbar, wo die Zeit überall eingefroren sei. „Wir waren einmal zusammen in einer Mühle, in dem einst ein Labor untergebracht war“, schwärmt die 52-Jährige und berichtet von Zentrifugen, Reagenzgläsern und Apparate, die zusammen ein „extrem schönes Bild“ ergeben hätten. „Was andere eher gruselt, finden wir faszinierend“, sagt Linke und strahlt übers ganze Gesicht, wenn sie von den Geschichten spricht, die sie sich zu den Bildern ausdenkt oder aber recherchiert hat. Das sei aber nicht immer so, vor allem dann, wenn es unschöne Vermutungen gebe, zu denen man gar nicht mehr wissen wolle.

„Oftmals geht man mit einer ordentlichen Portion Respekt ans Werk“, sagt Langer, Gänsehaut sei ebenso ein treuer Begleiter. So auch beim Besuch eines Krematoriums in Dessau oder einer Leichenhalle bei Berlin. „Respekt sollte man vor jedem Ort haben“, findet er und bedauert, dass viele bekanntere Lost Places mit der Zeit schwer in Mitleidenschaft gezogen worden sind. „Das liegt daran, dass es immer mehr ,Urbexer‘ gibt, die sich nicht an die Regeln halten“, sagt der Wolfhager und nennt die wichtigsten: „Was verschlossen ist, bleibt verschlossen; hinterlasse nichts, außer die eigenen Fußabdrücke und nimm nichts mit, außer deine Fotos.“ Nicht zu vernachlässigen sei der Aspekt der eigenen Sicherheit. „Oft sind diese Orte nicht mehr bewohnbar und können gefährlich sein“, mahnt der 50-Jährige und weiß, wie wichtig es ist, sich immer genau über den Zustand der Gebäude zu informieren sowie Gesetze und Vorschriften zu beachten und die Eigentümer um Erlaubnis zu fragen, bevor man sie betritt.
Warum es zu teils spektakulären Lost Places kommt, können sich die zwei selbst nicht erklären. So beispielsweise die Villa Nachtigall bei Celle, die einer berühmten Operndiva gehört haben soll. „Wir haben gedacht, die ist gerade beim Einkaufen und kommt jede Sekunde zur Tür rein“, sagt Langer. Ihre Kleidung habe noch am Schrank gehangen, der Vorratskeller sei noch gut gefüllt gewesen. Ein Erbschaftsstreit habe das stattliche Gebäude wohl zum Lost Place werden lassen, so, wie es an vielen Orten der Fall sei. Für den bekanntesten Lost Place Deutschlands übrigens müssen die beiden gar nicht weit fahren. Die verlassene Villa der Anna L. mit einst prächtigem Flügel und Arztpraxis im Keller steht mitten in der Kurstadt Bad Wildungen. Ganz so spektakulär ist das alte Haus unweit des Wolfhager Marktplatzes zwar nicht, eines wirkt aber auch hier: die Faszination von Verfall und Stille.