Interview mit Gesundheitsminister Philippi: Das Land schließt keine Kliniken

Niedersachsens neuer Gesundheits- und Sozialminister Andreas Philippi äußert sich im Interview. Er arbeitet am System mit gerechten Vergütungen mit.
Göttingen/Hannover – Dr. Andreas Philippi ist Mediziner, Chirurg und einer, der weiß, was im Gesundheitssystem funktioniert und was schiefläuft. Jetzt ist er ein Multi-Minister mit so weitreichenden wie unterschiedlichen Aufgaben in den Bereichen Gesundheit, Gleichstellung, Soziales und Arbeit. „Gesundheit“, sagt er, „Das ist der Hauptgrund dafür gewesen, warum mich Stephan Weil gefragt hat, ob ich Minister in Niedersachsen werden will.“
Gleichstellung findet er aber „sehr spannend“, auch, weil es ihn als Vater einer erwachsenen Tochter beschäftigt. Wir sprachen mit Philippi in seinem Büro in Hannover – über die Gesundheitspolitik.
Wie weit sind Sie prozentual beziffert denn drin in Ihren Arbeitsgebieten, Herr Minister?
Bei Gesundheit zu mehr als 90 Prozent, bei Gleichstellung – wie es sich gehört – zu 50 Prozent (schmunzelt), bei allen anderen Themen bin ich dran, mich gut einzuarbeiten.
Sie haben eine Blitz-Karriere gemacht, beim ersten Versuch sofort den einstigen Thomas-Oppermann-Wahlkreis-Göttingen gewonnen - gegen Leute wie Jürgen Trittin, Konstantin Kuhle und Fritz Güntzler. Nach einem Jahr der Wechsel nach Hannover. Was ist dort anders im Vergleich zu Berlin?
Vorher hatte ich 7 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, jetzt habe ich 400. In Berlin war ich Legislative. Dort konnte ich von mir präferierte Themen in der Gesundheitspolitik einbringen. Hier in Hannover sind es fünf Abteilungen unter einem Dach, vielfältige Themen, viel Tiefe. Ich bin in der Exekutive auch mehr der Öffentlichkeit ausgesetzt – und den politischen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern. Man muss es mögen, sich mit Menschen auseinandersetzen, auch voranzugehen, zu sagen, ich habe eine Idee, die ich umsetzen möchte. Aber das ist ja als Arzt nicht anders.
Welche Ziele nehmen Sie im Gesundheitsbereich mit in die Landespolitik?
Wir brauchen ein System – und daran arbeiten wir –, mit gerechten Vergütungen für medizinische Leistungen. Die Krankenhäuser müssen raus aus dem ökonomischen Hamsterrad kommen, indem sie eine höhere Grundfinanzierung erhalten – zwischen 40 und 60 Prozent des Etats. Gleichzeitig soll mehr in die ambulante Versorgung gehen. Ambulante Leistungen bei niedergelassenen Ärzten müssen aber besser honoriert werden. Die Unterschiede zwischen Klinik und Ambulanz sind in der Honorierung zu groß und ungerecht.
Welche Ziele stecken noch hinter den Plänen zur neuen Krankenversorgung?
Es geht darum, eine zukunftsfeste Gesundheitsstruktur zu entwickeln. Wir haben nicht erst in der Corona-Pandemie gemerkt, dass uns der Personalmangel vor Probleme stellt. Die DRG-Reform vor 20 Jahren – mit neuen Vergütungsregeln für medizinische Leistungen – hat deutliche wirtschaftliche Fehlanreize gesetzt, bestimmte Gesundheitsleistungen zu erbringen und abzurechnen, dafür andere, weniger lukrative wegzulassen. In Deutschland werden so mehr Endo-Prothesen wie Hüften und Knie implantiert, als in anderen europäischen Ländern, aber auch mehr Herzkatheter gesetzt. Die Folge ist eine Schieflage, denn andere, weniger lukrative Behandlungen wurden vernachlässigt, so in der Kinder- und in der Palliativmedizin. Beide Bereiche haben wir vernachlässigt, weil die Leistungen dort nicht ausreichend bezahlt wurden.
Wie verändert sich die Gesundheitslandschaft und Versorgung im Land?
Wir wollen in erster Linie, dass Patientinnen und Patienten die richtige Behandlung bekommen und optimal versorgt werden. Und wir wollen die abnehmenden Ressourcen – Stichwort Personalmangel – besser verteilen, durch Konzentrierung. Für eine hochwertige Medizintechnik wie eine Computertomografie brauche ich entsprechend qualifiziertes Personal. Es geht darum, die Krankenhäuser so stabil aufzustellen, dass qualitativ hochwertige Arbeit gleichzeitig sinnvoll verteilt und wirtschaftlich ist.
Die Rede ist von Krankenhausschließungen, Menschen haben Angst davor. Verstehen Sie das, als Mediziner und Minister?
Ja. Die Angst verstehe ich, denn krank wird jede und jeder mal. Aber: Die Leute gehen nicht immer in das nächste Krankenhaus – und da greift ja wieder unsere Umstrukturierung.
Erklären Sie das bitte …
Wir werden ein Netz der Versorgung über Niedersachsen legen, das auch Bremen und Hamburg berührt. Dieses Netz hat Knoten, die ganz dicken sind die Maximalversorger mit vielen Fachbereichen. Dann gibt es die etwas dicken Knoten, die Schwerpunktversorger, die sechs bis acht medizinische Schwerpunkte bieten. Die kleinen Knoten sind die Grund- und Regelversorger. Hinzu kommen neu geschaffene Regionale Gesundheitsversorgungszentren. Sie halten die Versorgung 24 Stunden, sieben Tage die Woche aufrecht. Unter einem Dach sollen ambulante und pflegerische Versorgung mit einem kleinen Krankenhaus mit bis zu 25 Betten kombiniert werden. Man kann dort von einem Haus- oder Facharzt und auch über Nacht stationär versorgt werden.
Teilt der Bund diese Überlegungen?
Ja, er hat unsere Planungen in die eigenen aufgenommen. Wichtig ist eine Einigung. Gesundheit eignet sich nicht, um politische Auseinandersetzungen auszutragen und Wahlkampf damit zu machen. Gesundheitspolitik muss immer von den Menschen aus gedacht werden. Deshalb ist es so wichtig, den Bund als Krankenhausfinanzierer und das Land als Krankenhausplaner an einem Tisch zu haben. Denn, das Gesundheitssystem muss langfristig unabhängig von der politischen Mehrheit zukunftsfähig gemacht und erhalten werden. Diese Thematik kann so, wie sie in den vergangenen 20 Jahren gelaufen ist, nicht weitergehen. Wir müssen Krankenhausleistungen konzentrieren und die Qualität nach vorne stellen. Niemand möchte in einem Krankenhaus behandelt werden, in dem man mangels Personals nicht optimal versorgt werden kann. Nicht immer ist der kürzeste Weg in die Klinik für den Kranken der richtige, sondern der Weg in die Klinik mit der besten Versorgung für seinen speziellen Fall.
Sagen Sie das als Politiker, Minister und Mediziner?
Ja, ich stehe hinter diesen Plänen. Ich komme aus der Praxis, kenne das System mit allen Stärken und Schwächen, ob als Auszubildender, Arzt, Leitender, Niedergelassener und Operateur in Praxen und Versorgungszentrum.
Werden in Niedersachsen Krankenhäuser geschlossen?
Die Landesregierung schließt keine Krankenhäuser. Solch eine Entscheidung kann nur der Träger eines Krankenhauses treffen. Sie können sich an uns wenden, wenn sie Hilfe brauchen. Nicht überall werden Krankenhäuser, wie wir sie kennen, bestehen bleiben. Kliniken können sogar von einer niedrigen Versorgungsstufe in eine höhere gehen, aber auch dort, wo es sinnvoll ist, zu einem Gesundheitszentrum werden. Dabei wird es auch Förderungen geben. Die Kliniken, die zum Regionalen Gesundheitszentren umgewidmet werden, können eine Förderung beantragen. (Thomas Kopietz)
Zur Person: Dr. Andreas Philippi
Dr. Andreas Philippi (57), geboren in Wehrda/Marburg, aufgewachsen in Bad Zwesten, ist seit 2023 Sozialminister des Landes Niedersachsen. Ministerpräsident Stephan Weil holte den Sozialdemokraten in sein Kabinett. Philippi war vorher Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Göttingen, den er 2021 direkt gewonnen hatte. Philippi ist Chirurg und arbeitete sslbst als Abgeordneter noch in seinem Beruf. Philippi studierte Medizin in Göttingen, war seit 2011 Kreistagsabgeordneter. Er lebt in Herzberg, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Philippi ist Fußball-Fan und fährt gern Fahrrad. (tko)