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„Anspruch, nicht Kriegspartei zu werden“: Pistorius verteidigt Scholz-Kurs bei Panzer-Lieferungen

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Der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei Anne Will am Sonntag.
Der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei Anne Will am Sonntag. © Screenshot ARD

Im „Anne Will“-Talk im Ersten geht es um die zögerlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius wird vor der Sendung zum Interview zugeschaltet. 

Berlin - Bei Anne Will geht es am Sonntag vor allem um ein Thema: die stockenden Waffenlieferungen an die Ukraine im Krieg gegen Russland. Dazu ist der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Vorab-Gespräch zugeschaltet. „Also nochmal gefragt - für uns erklärt“, setzt die Moderatorin an, „was hält den Bundeskanzler davon ab, Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern?“.

Nach einer Kunstpause antwortet Pistorius, Olaf Scholz halte nichts „grundsätzlich“ von jenen Panzerlieferungen ab und er wiederholt das Argument der „internationalen Abstimmung“ - innereuropäisch als auch transatlantisch. Die Briten hätten mit ihrer Entscheidung der Panzerlieferungen eine eigenständige Entscheidung ohne Europa getroffen, ergänzt Pistorius, Deutschland wolle es anders machen. Und er verweist darauf, dass es bei dem Leopard-Panzer um „eine schwere Panzerwaffe“ gehe, die eben auch für „offensive Zwecke genutzt werden könnte und muss“. Der Zeitpunkt der Lieferung sei daher abzuwägen.

Pistorius verhehlt die sicherheitspolitischen Bedenken der Bundesregierung nicht. Es sei weiterhin wichtig, so der Minister, „sorgfältig“ abzuwägen und „behutsam“ vorzugehen. Es ginge, so Pistorius weiter, um das Abwägen von „Sicherheit für die eigene Bevölkerung“ und andererseits von den Konsequenzen für die sicherheitspolitische Lage und die Ukraine bei einem „Nichthandeln“. Es bleibe bei dem „Anspruch der Bundesregierung, nicht Kriegspartei“ zu werden, so der Minister.

„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:

„Bedingt abwehrbereit – schafft Deutschland so die Zeitenwende?“, betitelt Anne Will ihre aktuelle Sendung und nimmt Bezug auf die Spiegel-Affäre 1962, die nach einem Bericht über die mangelnde Ausstattung der Bundeswehr, zunächst die Journalisten des Nachrichtenmagazins in Haft genommen, am Ende aber den damaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß zum Rücktritt gezwungen hatte.

Auch der Angriffskrieg Russlands, der seit nun fast einem Jahr in der Ukraine auf brutale Art und Weise tobt, hat die enormen Defizite der Bundeswehr offengelegt. Das Problem, ausgelöst durch jahrzehntelange militärische Einsparungen, wurde längst erkannt, die Aufrüstung beschlossen. Doch wie viel wurde bereits umgesetzt und in die Wege geleitet?

CDU-Abgeordneter warnt: Stillstand in der Ukraine erhöht das Risiko eines neuen Angriffs

CDU-Abgeordneter und Oberst a.D. Roderich Kiesewetter thematisiert, was drohen könnte, wenn der militärischen Dominanz Russlands in der Ukraine nicht Einhalt geboten werden kann: „Wenn der Krieg für die Ukraine in einem Stillstand endet, dann wird sich Russland erholen und gegen Moldau und gegen das Baltikum fortsetzen. Deshalb müssen wir alles tun, dass die Ukraine gewinnt.“ Später setzt er noch ein weiteres Argument hinzu: „Es sterben jeden Tag in der Ukraine Hunderte an Menschen.“ Und mahnt: Deutschlands Zögerlichkeit könnte für die Ukraine auch ein „zu spät“ bedeuten. 

„Nach vielen Jahrzehnten der Einbettung“, so Lars Klingbeil, könne man sich heute „nicht mehr verstecken hinter den Amerikanern“. Wir sind noch lange nicht in der Situation, dass wir ohne die Amerikaner könnten. Das sei Illusion, sich heute hinzustellen und zu behaupten, „dass wir heute ohne die Amis können“. Die Aufgabe des neuen Verteidigungsministers sei es, einen Pakt mit der Rüstungsindustrie zu schließen, „dass wir schneller produzieren. Und dass in Deutschland eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Militär erreicht wird“, das habe man verlernt.

Man brauche auch mehr Forschung und mehr Wissenschaft zu der Aufarbeitung. Das freut Militärhistoriker Prof. Sönke Neitzel von der Universität Potsdam, „Deutschlands einzigem“, so Anne Will, „Professor für Militärgeschichte in Deutschland“, der sich bei dem Stichwort sofort anbietet. „Es wird zu viel geredet“, befindet der Professor, Deutschland sei „nun einfach mehr gefordert“, als derzeit beispielsweise die Niederlande.

Lars Klingbeil fordert mehr Tempo in Sachen Verteidigung: „Da mache ich Druck.“

In Lateinamerika versuchen die Russen und die Chinesen derzeit, Bündnisse aufzubauen: „Das haben wir als Europäer und als Deutschland sträflich vernachlässigt, auch diese strategischen Partnerschaften zu bauen.“ Man müsse in Europa riesige Schritte vorankommen, so der Generalsekretär weiter. Und er warnt in Bezug auf die anstehenden US-Wahlen, zu denen auch Donald Trump seine erneute Kandidatur angekündigt hat: „Wir wissen nicht, wer ab ‚24 im Weißen Haus sitzt. Es kann sein, dass wir dann schon viel stärker ohne die Amerikaner können müssen.“

„Dieser Anspruch einer Führungsmacht und das andere Denken, das muss jetzt kommen in Deutschland“, so Klingbeil und Kieswetter ergänzt durch Zwischenruf: „Auch im Kanzleramt.“ Klingbeil verspricht, er mache da als Parteivorsitzender bereits „Druck“. Man dürfe das Vorankommen allerdings auch nicht an der Frage eines „Waffenmaterials“ festmachen. 

Klingbeil sagt, dass seine Partei die Verantwortung nicht scheut: „Wir werden doch als Politik an dieser Zeitenwende gemessen“. Man habe in der Tat ein wenig Zeit verloren, gibt er zu, doch es sei „das große Thema, die Wende zu schaffen. Wir müssen eine andere Geschwindigkeit reinbekommen, es braucht den Pakt mit der Rüstungsindustrie und Investitionsgarantien und europäische Abstimmungsprozesse“.

Kieswetter mahnt, vom „Ende her zu denken“, bedeute nicht, einen Atomkrieg zu befürchten, sondern darüber nachzudenken: „Was wollen wir in der Ukraine strategisch erreichen?“. Dazu zähle, zu schauen, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Amt bleibe, damit die alten Eliten nicht in die Ämter zurückdrängen. Dazu gehöre aber auch, dass wir als westliche Länder das Land wiederaufbauen und, so Kiesewetter, die Möglichkeit, dass die Ukraine ihre Gebiete befreien könne.

Roderich Kiesewetter bei „Anne Will“
Roderich Kiesewetter bei „Anne Will“ © Wolfgang Borrs/NDR

Fazit des „Anne Will“-Talks

Eine rasante Sendung mit viel Kritik an der Zögerlichkeit des Bundeskanzlers - auch vonseiten der SPD. Klingbeil positioniert sich bei Anne Will als progressive Kraft. Die Runde befürwortet einheitlich mehr militärischen Einsatz in dem bedrängten Land. (Verena Schulemann)

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