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Lützerath-Talk bei „Anne Will“: Wissenschaftler widerspricht Thunberg – „Für Klimawandel irrelevant“

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Klimaaktivistin Greta Thunberg im Einzelgespräch mit Anne Will.
Klimaaktivistin Greta Thunberg im Einzelgespräch mit Anne Will. © ARD Mediathek (Screenshot)

Lützerath wird abgebaggert, Klimaaktivisten protestieren. Doch bei „Anne Will“ ruft ein Wissenschaftler die Jugend zur Mäßigung auf – zum Verdruss von Greta Thunberg.  

Berlin – Fliegende Pyrotechnik, Sitzblockaden und hartes Durchgreifen der Polizei: Die Räumung von Lützerath bewegt Deutschland. Auch die Politik-Talk-Sendung von Anne Will räumte der Frage nach dem Braunkohle-Ausstieg in Deutschland am Sonntagabend ein wenig Raum ein. Doch die Moderatorin musste sich im Vorfeld erst einmal Kritik gefallen lassen – wegen einer vermeintlich politisch unausgeglichenen Gästeauswahl.

Die ehemalige Landwirtschaftsministerin und CDU-Politikerin Julia Klöckner mahnte auf Twitter mehr „Ausgewogenheit und Neutralität“ an. FDP-Politiker Christopher Vogt nahm die Kritik mit Humor und witzelte in Richtung Anne Will: „Finden Sie nicht, dass Sie dieses Mal wieder viel zu wenig Grüne eingeladen haben?“

Räumung von Lützerath: NRW-Minister Reul beklagt mangelnde Distanz zur Gewalt bei den Klimaaktivisten

Vielleicht auch um die Kritiker verstummen zu lassen, lässt Anne Will zu Beginn der Sendung auch erst einmal den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU), und die Klimaaktivistin und Mitglied der Grünen, Luisa Neubauer, über die Vorfälle in Lützerath streiten. Doch die Diskussion verzettelt sich. Daran kann auch ein späteres Interview mit Klimia-Ikone Greta Thunberg nichts ändern.

Als Minister Herbert Reul, der zuletzt die Grünen gelobt hatte, die „mehr als hundert Verletzten auf Seiten der Polizei“ beklagt, macht Studentin Luisa Neubauer ein empörtes Gesicht: Es sei „absurd und schockierend“, wie die Polizei vorgegangen sei, wettert sie dagegen. „Da ist was aus dem Ruder gelaufen – ganz klar!“, befindet die Aktivistin und spricht von einer „hohen zweistelligen Zahl“ an Verletzten, die aufseiten der Demonstranten registriert wurden, die gegen den Kohleabbau wettern. Will ergänzt die Darstellung Reuls und berichtet von von Pyrotechnik und vereinzelten Molotowcocktails, die auf die Einsatzkräfte geworfen wurden. Neubauer kontert mit schweren Vorwürfen gegen die Staatskräfte, die bei ihren Räumungen die Demonstranten hart attackiert haben sollen.

„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:

Eine Viertelstunde diskutieren die beiden Gäste wenig überraschend und mit verhärteten Positionen über die Umstände des Protests. Reul schließt schließlich Fehlverhalten seiner Mannschaften nicht gänzlich aus: „Wenn ein Polizist Fehler macht, dann bekommt er ein Problem“, so der Minister und ergänzt etwas belehrend, das sei „nämlich so in einem Rechtsstaat“ – sofern denn die Anschuldigungen stimmen sollten.

Zugleich bricht er eine Lanze für seine Einsatzkräfte in jenem herausfordernden Einsatz und kritisiert die mangelnde Distanz der Aktivisten zu gewaltbereiten Aktionen. „Warum hat man da nicht Einfluss genommen?“, will Reul von Neubauer wissen und stellt abschließend fest: „Ein klarer Schnitt“ wäre „sehr hilfreich gewesen“. Auch Neubauer schließt schließlich Fehlverhalten aufseiten der Demonstranten nicht aus: „Das war vielleicht nicht legal, aber in den Augen der Demonstration legitim“, befindet sie.

Lützerath-Protest: Wirtschaftsprofessor stuft Abbau als belanglos ein – für Klimawandel irrelevant

„Radikalisiert sich die Klimabewegung?“, will Anne Will die Kritik Reuls aufgreifend dann noch wissen, fragt aber ausgerechnet den Gast in der Runde, der dazu vermutlich am wenigsten sagen kann: Ozeanforscher Prof. Mojib Latif, der die Frage auch unbeantwortet lässt und stattdessen auf Deutschlands „historische Rolle“ als frühe und große Industrienation in Bezug auf den menschenverbrachten Klimawandel hinweist. Das rechtfertige einen gewissen Druck, so der Professor, auch wenn Deutschlands Anteil gemessen am Weltmaßstab inzwischen lediglich bei zwei Prozent liege.

Sichtlich ungehaltener von der zuvor geführten Diskussion ist der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Prof. Michael Hüther. Der verhehlt nicht, dass ihm die Sendung „vollkommen“ am Thema vorbeigeht: „Wir reden jetzt über Gewalt“, so der Wirtschaftswissenschaftler sichtlich genervt, das Thema sei aber „das Klima“. Lützerath sei für den globalen Klimawandel „völlig irrelevant“, so Hüther und kritisiert auch die Demonstrationen vor Ort.

Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft) im Gespräch mit Luisa Neubauer („Fridays for Future“- Aktivistin).
Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft) im Gespräch mit Luisa Neubauer („Fridays for Future“- Aktivistin). © NDR/Dietmar Gust

Entscheidend sei in Bezug auf den Klimaschutz der europäische Zertifikatehandel, führt der Wissenschaftler weiter aus: „Wenn wir weniger davon brauchen, können das andere nutzen.“ Ausschlaggebend seien darüber hinaus auch die Preise für Energie und der Wandel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft in den USA, so Hüther. Außerdem müsse man dem „globalen Süden eine Wohlstandsperspektive“ bieten, in der sich nicht dieselben Fehler wiederholten, die in den vergangenen Jahrzehnten von den westlichen Industrienationen gemacht worden seien.

Greta Thunberg kritisiert im „Anne Will“-Interview die Grünen wegen Lützerath: „Heuchlerisch“

Etwas ratlos macht das Interview mit der schwedischen Klimaaktivistin und „Fridays for Future“-Gründerin Greta Thunberg, das Anne Will in der Mitte der Sendung einblenden lässt. Die Moderatorin, die zum Ende des Jahres mit ihrer Sendung aufhört, hatte sich im Vorfeld der Demonstration in Lützerath mit der Aktivistin, die daran teilgenommen hatte, vor Ort getroffen. Die sonst eher modisch auftretende Anne Will zeigt sich da in ländlichem Ambiente mit grünem Aktivisten-Parka und Gummistiefeln, umringt von Hühnern im Matsch, deren Ausrufe das Interview akustisch untermalen.

Die berühmte Aktivistin kritisiert ausgerechnet ihren politisch wohl besten Mitstreiter in Deutschland, die Grüne-Partei und nennt deren Verhalten „heuchlerisch“. Was Thunberg aufstößt, ist der „Kompromiss zwischen Regierungen und sehr zerstörerischen Unternehmen“ und spielt auf den Deal zwischen RWE und Politik an, die den Kohle-Ausstieg bis 2030 trotz bestehender und legitimer Verträge des Energiekonzerns möglich gemacht hatte.

Thunberg setzt einen anderen Maßstab an: „Erst an den Demos für Lützerath teilnehmen“, wirft sie der Partei vor, und „dann Lützerath opfern“. Deutschland sei historisch gesehen „einer der größten Umweltverschmutzer der Geschichte“, so die Schwedin. „Was in Deutschland passiert, bleibt nicht in Deutschland.“ Bereits jetzt würden überall auf der Welt zehn Millionen Menschen durch Klimawandel vertrieben, die Klimakrise müsse endlich „als Notstand“ wahrgenommen werden.

Prof. Hüther fordert an einem Strang zu ziehen: „Es ist nichts gewonnen, wenn wir da aufeinander einschlagen.“ Derzeit würden am Strommarkt 44 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, wenn man bis 2030 die angestrebten 80 Prozent erreichen wolle, müsse eine weitreichende Zusammenarbeit klappen. Für Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang ist der Kampf in Lützerath noch nicht zu Ende: „Wir werden alles dafür tun, dass möglichst wenig abgebaggert wird.“

Fazit des „Anne Will“-Talks zur Rämung von Lützerath

Ein wenig zu viel Raum für eine bekannte Diskussion am Anfang. Ein etwas ratlos zurücklassendes Interview mit Greta Thunberg, aber auch ein Gefühl von: Die Notwendigkeit zum Handeln ist inzwischen bei deutlich mehr Menschen angekommen als noch vor zehn Jahren. (Verena Schulemann)

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