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Terrorgefahr durch Reichsbürger – Faeser kündigt im TV Gesetzesänderung an: „Muss da durchgreifen können!“

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v.l.n.r. Janine Wissler (Parteivorsitzende DIE LINKE), Herbert Reul (Innenminister in Nordrhein-Westfalen CDU), Anne Will, Gerhart Baum (Bundesinnenminister a. D., FDP) und Florian Flade (Journalist). Zugeschaltet: Nancy Faeser (Bundesministerin des Innern und für Heimat, SPD).
v.l.n.r. Janine Wissler (Parteivorsitzende DIE LINKE), Herbert Reul (Innenminister in Nordrhein-Westfalen, CDU), Anne Will, Gerhart Baum (Bundesinnenminister a. D., FDP) und Florian Flade (Journalist). Zugeschaltet: Nancy Faeser (Bundesministerin des Innern und für Heimat, SPD). © NDR/Wolfgang Borrs

Bei Anne Will geht es am Sonntagabend um die größte Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik und die Frage: Wie gefährlich ist die Reichsbürger-Szene für unsere Demokratie und die Behörden? 

Berlin – SPD-Innenministerin Nancy Faeser, die im Polit-Talk „Anne Will“ am Sonntagabend zugeschaltet ist, findet klare Worte: „Für mich kommt die größte Bedrohung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung von rechts.“ Faeser kündigt eine Gesetzesform für härteres Durchgreifen innerhalb von Behörden an, wenn Staatsbedienstete sich rechten Gruppen anschlössen: „Wir müssen schneller werden. Es ist wichtig, dass der Staat da handlungsfähig ist“, so die Ministerin und kündigt eine Reform des Disziplinarrechts im öffentlichen Dienst an. Statt in bisher langwierigen Verwaltungsgerichtsklagen soll in Zukunft die Verwaltung selbst über solche Fälle entscheiden können.

Die Rekord-Razzia in elf Bundesländern, Österreich und Italien in über 130 Objekten in den frühen Morgenstunden am vergangenen Mittwoch stand auch im Mittelpunkt des „Anne Will“-Polit-Talks im Ersten. Unter dem Titel „Razzia bei ,Reichsbürgern’ – Wie groß ist die Terrorgefahr durch Staatsfeinde?“, diskutieren die Gäste mit Moderatorin Will den Umgang mit der gewaltbereiten und staatsfeindlichen Gruppe. Wie können sich die Behörden durch mögliche Unterwanderung vor Extremismus schützen. Innenministerin Nancy Faeser kündigt hinsichtlich dieses Problems Gesetzesänderungen an.

„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:

Die Gefahr eines Umsturzes in Deutschland sei „sehr real“, so Faesers Einordnung und mahnt, die Gefahr „sehr ernst zu nehmen“. Man habe die Lage „gut im Griff“, so Faeser und lobt gleichsam die Arbeit des Generalbundesanwaltes als auch der „über 3000 Polizeikräften“, die gegen die mutmaßliche Bildung einer Terrororganisation „so hart durchgreifen konnten“. Die Razzia war wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung von der obersten Verfolgungsbehörde unter strengster Geheimhaltung vorbereitet worden. NRW-Innenminister Herbert Reul bestätigt bei „Anne Will“, dass er selbst erst am Tag vor der Razzia über die Durchführung informiert worden sei.

Sicherheitsexperte warnt vor „Salatbar-Extremismus“: Man nimmt sich, was passt

Der investigative Journalist Florian Flade beschäftigt sich laut eigenen Angaben seit 2016 mit der Reichsbürger-Szene in Deutschland und gibt im Talk Einblick über die laut Flade sehr heterogene Gruppe, die sich aus unterschiedlichen Milieus zusammensetze: „Da sind Antisemiten darunter, da ist sehr viel aus verschwörungsideologischen Milieus dabei, aber auch Anhänger von QAnon, die an pädo-kriminelle Eliten glauben“.

Der gemeinsame Nenner dieser häufig auch gewaltbereiten Menschen sei die Demokratiefeindlichkeit, so Flade. In den USA, in denen die gleiche Entwicklung ihren Lauf nehme, spreche man bereits von „Salatbar-Extremismus“, so der Experte: „Man nimmt sich aus verschiedenen Extremismen die heraus, die einem passen, um sich die Welt zu erklären.“ Eine klare politische Einordnung dieser tendenziell staatsfeindlichen Menschen sei schwierig, so Flade.

Die Organisation dieser aus unterschiedlichen Richtungen zusammenkommenden Menschen werden neben privaten Gesprächen hauptsächlich über die Sozialen Medien und Chat-Gruppen organisiert, so der Experte weiter. Dort sei auch der Überfall auf den Bundestag thematisiert worden. Flade prognostiziert, dass in „den nächsten Jahren immer häufiger Menschen“ mit „wilden Ideen“ bereit seien, „mit Gewalt etwas verändern“ zu wollen. Und kritisierte, dass es von staatlicher Seite noch „keine Antwort“ gebe, wie mit dem Problem umgegangen werden kann.

Linken-Co-Chefin Janine Wissler warnt, Reichsbürger nicht „einfach als harmlose Spinner“ abzutun. Auch FDP-Urgestein Gerhart Baum zeigt sich nachdenklich: „Diese Leute fangen an, das Volk zu erreichen, und das macht mir Sorgen“, so Baum, der unter Bundeskanzler Helmut Schmidt Ende der 1970er Jahre als Innenminister im Amt war.

Extremisten im Staatsdienst: Gibt es ein Strukturproblem an deutschen Behörden?

Als Anne Will fragt, ob es ein Strukturproblem in deutschen Sicherheitsbehörden gebe, ob diese von Extremisten „unterwandert“ würden, bricht Streit in der Runde aus. Will nennt als Beispiel den thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke, ein verbeamteter Oberstudienrat und die bei der Razzia festgenommene Berliner Richterin und ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann, die zuvor von Berliner Gerichten hinsichtlich ihrer potentiellen Staatsfeindlichkeit als unbedenklich eingestuft worden sei.

Linken-Chefin Janine Wissler schwenkt sofort die Fahne und wiederholt beharrlich ihre These, ihrer Meinung nach gebe es vor allem bei der Polizei ein „strukturelles Problem“ und verweist auf den Fall von 2021 als die hessische Polizei rechte Chatgruppen in den eigenen Reihen aufgespürt hatte und in Folge ein gesamtes SEK aufgelöst werden musste.

Herbert Reul (Innenminister in Nordrhein-Westfalen, CDU) zu Gast bei „Anne Will“.
Herbert Reul (Innenminister in Nordrhein-Westfalen, CDU) zu Gast bei „Anne Will“. © NDR/Wolfgang Borrs

Als Wissler von einem „Problem des Wegschauens“ spricht und Vorgesetzte pauschal in die Schuld nimmt, platzt Minister Reul der Kragen. Das sei „grober Unsinn“, ruft der CDU-Mann aus und wirft der Linken-Politikerin vor, „durch Schwätzen Stimmung zu machen“. Es gebe kein Wegsehen, sondern ein rechtliches Problem, da zuständige Gerichte Chatgruppen als „private Räume“ und damit schützenswert deklarierten, deren Aussagen als Beweismittel nicht zulassen würden. Es fehle der Politik hier an Instrumenten, so Reul.

Faeser sieht kein strukturelles Problem will aber schnelleres Durchgreifen an Behörden

Innenministerin Faeser bestätigt die Problematik. Es gebe eine „wirre Diskussion“, so die Ministerin, „was alles geschützt werden müsse - auch in privaten Chats“ und ruft zur Veränderung auf: „Ich selbst würde mir wünschen, dass es auch Mehrheiten gibt“, dafür „dass die Wahrheit geschützt werden müsse“. Faeser: „Man muss da durchgreifen können!“

Ein strukturelles Problem sieht die Ministerin wie auch Reul nicht. Auch wenn in der mutmaßlichen Terrorgruppe ehemalige Soldaten und Polizisten organisiert gewesen seien, bewege sich „die überwiegende Mehrheit von Soldaten und Polizisten“, so die Innenministerin, „auf dem Boden des Grundgesetzes und will den Staat schützen“.

Fazit des „Anne Will“-Talks

Für Kenner des Geschehens bot der Talk wenig Neues. Für weniger Informierte gab es einen guten Überblick über den Stand der Dinge. Streit gab es um die Frage, ob Behörden bereits zum Teil von Rechtsextremen unterwandert seien. Während die Verantwortlichen das abstritten, attestierte die Linken-Chefin den staatlichen Organgen ein „strukturelles Problem“. (Verena Schulemann)

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