Gedenkfeier für die Terror-Opfer: Ein Tag der Trauer und des Mutmachens
Bewegendes Gedenken zum Jahrestag des Berliner Terroranschlags: Die Politik verspricht, daraus Lehren zu ziehen. Der Blick zurück schmerzt - auch ein kleines Mädchen, das um seinen Opa trauert.
Charlottes Opa ist seit genau einem Jahr tot. Das Mädchen steht auf dem Berliner Breitscheidplatz und trauert um ihren von Attentäter Anis Amri überfahrenen Großvater. Um sie herum stehen die wichtigsten Politiker der Bundesrepublik. Charlotte hat einen Abschiedsbrief geschrieben und neben die Gravur mit dem Namen "Klaus Jacob" gestellt. Er endet mit: "Du warst der beste Opi den ich haben konnte."
Zwölf Menschen hat der Islamist Amri an einem Montagabend kurz vor Weihnachten getötet. Rund 70 Besucher und Mitarbeiter des Weihnachtsmarktes wurden verletzt. Ersthelfer und Rettungskräfte erlitten Traumata. Ihnen allen ist die Gedenkstätte vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gewidmet. (Hier finden Sie den Ticker zur Gedenkfeier am Jahrestag).

"Die Nacht des 19. Dezember und die Tage danach werden uns ein Leben lang in Erinnerung bleiben", sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der die Gedenkstätte am ersten Jahrestag des Anschlags einweiht. Sie besteht vor allem aus den in die Stufen unter der Kirche eingravierten Namen der Todesopfer sowie einem goldfarbenen Riss im Boden.
So viele Parallelen zum Tag im vergangenen Jahr
Neben jeder Namensgravur steht ein gerahmtes Porträtfoto, daneben haben Angehörige Kerzen und Blumen abgestellt. Die Menschen auf den Fotos - sechs Männer und sechs Frauen aus sechs Ländern - lächeln. Müller ringt bei seiner Ansprache um Fassung. Das Attentat habe vielen Menschen "seelische und auch körperliche Wunden" zugefügt. Mutmaßlich auch ihm, dem Berliner Bürgermeister, der an diese Abend natürlich zum Anschlagsort geeilt war.
So vieles ist an diesem Jahrestag wie 365 Tage zuvor: Nieselregen, knapp über null Grad. Die sonst so trubelige Gegend zwischen Bahnhof Zoo und Kurfürstendamm ist weiträumig abgesperrt. Hunderte Polizisten sind zugegen, von denen viele eine Maschinenpistole im Anschlag tragen. Auf dem Dach stehen Scharfschützen. Es herrscht Stille.

Vor der Öffentlichkeit verborgen haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der evangelische Landesbischof Markus Dröge, Erzbischof Heiner Koch und Gedächtniskirchenpfarrer Martin Germer zu den Hinterbliebenen gesprochen. Eine Schaustellerin lobt die interreligiöse Andacht später als sehr ergreifend.
Still drängen die etwa 200 Teilnehmer nach der Andacht aus der Kirche hinaus auf den Breitscheidplatz. Zögernd nähern sie sich der Gedenkstelle. Sie halten Teelichter in den Händen. Unter die Betroffenen mischt sich die politische Führung des Landes. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der Opferbeauftragte Kurt Beck und viele andere sind gekommen.
Ausgerechnet in diesem Moment beginnt es zu regnen. Kaum jemand hat einen Schirm. Es ist eisig kalt. Als Merkel mit Schäuble nach Müllers Rede als erste eine Kerze abstellen möchte, hadern die beiden mit Schäubles vom Regen erloschenem Kerzenlicht. Während die beiden Politiker noch beraten, was zu tun ist, treten zwei Angehörige mit ihren Kerzen hervor. Die anderen folgen.

Die Betroffenen des Anschlags gehen mit der Anwesenheit der Politprominenz selbstverständlicher um als andersherum. Die Politiker können hier nicht einfach nur für sich trauern. Die eigene Betroffenheit und Mitgefühl zeigen und dabei zuversichtlich wirken - es ist ein Balanceakt. "Sie haben uns nicht spalten können", sagt Müller. "Sondern wir sind noch weiter zusammen gerückt."
Charlottes emotionalen Abschiedsbrief an den Opa werden noch viele Menschen lesen
Nach der Rede stehen Charlotte und ihre Mutter, die ihren Vater verloren hat, Arm in Arm vor der Stelle mit seinem Namen. Die meisten Politiker müssen da schon weiter zur Gedenkstunde im Berliner Abgeordnetenhaus.
Charlottes gerahmten Brief lesen an diesem Tag noch viele Menschen - normale Berliner, die am Nachmittag an der öffentlichen Mahnwache teilnehmen oder an dem Friedensgebet in der Kirche. Um 20.02 Uhr, dem Moment des Attentats, sollten die Glocken der Gedächtniskirche für jeden Getöteten eine Minute lang läuten. Eine Minute auch für Klaus Jacob.
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afp