Konfrontation der Supermächte: Biden beschwört „Tauwetter“ zwischen China und USA

Joe Biden sieht ein „Tauwetter“ zwischen China und den USA aufziehen. Doch die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten bleiben angespannt.
München/Washington, D.C./Peking – Chinas Außenministerium sprach von einem „Hype“, die Staatszeitung China Daily von einer „Obsession“ der USA und ihrer Verbündeten: 20 Mal packten die Regierungen der G7-Staaten den Namen „China“ in die Abschlusserklärung ihres diesjährigen Gipfels, der am vergangenen Wochenende im japanischen Hiroshima zu Ende ging. Nur Russland und die Ukraine kommen in dem 40-seitigen Dokument häufiger vor.
Der Text beschwört die Zusammenarbeit mit der Volksrepublik, wenn es um die Lösung von Menschheitsfragen wie dem Klimawandel und die schwindende Biodiversität geht; ansonsten aber herrscht ein deutlich rauerer Ton vor. Da geht es um Menschenrechtsverletzungen in Tibet und Xinjiang, um unfaire Wettbewerbsbedingungen für ausländische Unternehmen, um Pekings Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und natürlich um die Taiwan-Frage, die – so die G7 - nur friedlich gelöst werden dürfe.
Insofern überraschte, was US-Präsident Joe Biden nur einen Tag nach Veröffentlichung der Hiroshima-Erklärung über die Beziehungen seines Landes zu China zu sagen hatte. „Ich denke, wir werden in Kürze den Beginn eines Tauwetters sehen“, behauptete der 80-Jährige. Wie das zu der scharfen Rhetorik des G7-Gipfels passen soll, sagte Biden indes nicht.
Posse um „dummen Ballon“ stand zwischen China und USA
In China will man diesen Beteuerungen denn auch keinen Glauben schenken. „Wenn die USA nur mit leeren Worten kommen und versuchen, Vorteile aus den Handelsbeziehungen mit China zu ziehen, während sie uns weiterhin eindämmen wollen, wäre es sinnlos, die Beziehungen zu verbessern“, zitierte die staatliche Global Times Wu Xinbo, den Direktor des Zentrums für Amerika-Studien an der Fudan-Universität in Shanghai.
Die Beziehungen zwischen beiden Staaten befanden sich ohnehin schon auf einem historischen Tief, als Anfang des Jahres ein mutmaßlicher Spionageballon aus China über den USA entdeckt und schließlich abgeschossen wurde. Außenminister Antony Blinken sagte daraufhin seinen geplanten Peking-Besuch ab.
Nun ließ Joe Biden ließ immerhin die Bereitschaft erkennen, die Posse vergessen zu wollen – in Hiroshima sprach er von einem „dummen Ballon“, der alles verändert habe zwischen beiden Staaten. Auch redet man seit Kurzem wieder vermehrt miteinander. In Peking traf US-Botschafter Nicholas Burns Anfang des Monats mit dem chinesischen Außenminister Qin Gang zusammen, in Wien Chinas Top-Diplomat Wang Yi mit Jake Sullivan, Bidens Nationalem Sicherheitsberater.
Anfang dieser Woche landete schließlich Xie Feng in den USA, Chinas neuer Botschafter in Washington. Sein Vorgänger, der jetzige Außenminister Qin Gang, hatte das Land Ende vergangenen Jahres verlassen – so lange wie zuletzt sei der Botschafterposten seit vier Jahrzehnten nicht mehr vakant gewesen, schreibt die Global Times. Xie, 59 Jahre alt, war bislang als Vize-Außenminister für die Beziehungen zu den USA zuständig und bereits zweimal an der Botschaft in Washington stationiert.
Chinas neuer Botschafter in den USA sieht „ernste Schwierigkeiten und Herausforderungen“
Nach seiner Ankunft am New Yorker Flughafen John F. Kennedy sagte Xie am Dienstag in geschliffenem Englisch, die Beziehungen zu den USA stünden vor „ernsten Schwierigkeiten und Herausforderungen“ und müssten „verbessert werden“. Dabei scheint er vor allem Washington in der Pflicht zu sehen: „Wir hoffen, dass die Vereinigten Staaten mit China in die gleiche Richtung gehen werden“, erklärte der neue Botschafter.
Aus dem amerikanischen Außenministerium hieß es am Mittwoch, man freue sich auf die Zusammenarbeit mit Xie. Dort dürfte man allerdings nicht vergessen haben, was Xie im Sommer 2021 der US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman bei einem Treffen in der nordchinesischen Stadt Tianjin an den Kopf geworfen hatte. Einige Menschen in den USA würden China als „imaginären Feind“ betrachten, schimpfte Xie damals. Zudem seien die USA „nicht in einer Position, China über Demokratie und Menschenrechte zu belehren“, schließlich hätten sie ihre eigenen Ureinwohner einst schändlich behandelt. Wie Chinas Staatsmedien damals berichteten, gab Xie seiner US-Kollegin zudem zwei Dokumente mit auf den Nachhauseweg – eine „Liste der US-Vergehen, die aufhören müssen“ sowie eine „Liste der wichtigsten Einzelfälle, die China beunruhigen“.
Aktuell ist sind es vor allem zwei Themen, die den Verantwortlichen in Peking die Zornesröte ins Gesicht treiben, wenn sie an Washington denken: Immer wieder behauptet China, es seien die engen Kontakte der USA zur Regierung in Taiwan, die den Konflikt verschärfen würden – nicht etwa die eigene aggressive Rhetorik und die Militärübungen in der Nähe der Insel, die Peking als abtrünnige Provinz betrachtet.
Mikrochip-Sanktionen sorgen für Spannungen zwischen Peking und Washington
Zudem schaukelt sich der Konflikt um gegenseitige Sanktionen für Mikrochips immer weiter hoch. Im vergangenen Jahr hatte US-Präsident Biden angeordnet, China vom Zugang zu hoch entwickelten Halbleitern, die auch für militärische Zwecke verwendet werden könnten, abzuschneiden. Anfang dieser Woche untersagte Peking dann den Verkauf einiger Chips des US-Unternehmens Micron Technology, woraufhin ein prominenter US-Republikaner wiederum Handelsbeschränkungen gegen einen Halbleiterhersteller aus China forderte – Ende offen.
Laut New York Times sehen Bidens Berater derzeit zwei Fraktionen in China im Wettstreit miteinander – eine, die die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wiederherstellen will, und eine, für die nationale Sicherheit wichtiger ist als Wirtschaftswachstum. Letztere sei stärker, weil zu ihr auch Staats- und Parteichef Xi Jinping gehöre.
Xi jedenfalls ist überzeugt davon, dass die USA den Aufstieg Chinas um jeden Preis verhindern wollen – dass es Washington also um mehr geht als um Halbleiter oder Taiwan; ja, dass beide Themen nur ein Vorwand sind, um die amerikanische Dominanz in der Welt aufrechtzuerhalten.
China-Analyst fordert „direkte, private Diplomatie“ mit Peking
Gefordert sei in dieser Situation vor allem eine „direkte, private Diplomatie mit China“, meint der Analyst Ryan Hass von der US-Denkfabrik Brookings Institution. Nicht hilfreich sei jedenfalls jene Art von öffentlichem Schlagabtausch zwischen beiden Seiten, wie man ihn in den vergangenen Jahren immer wieder mitansehen musste. „Das schränkt Amerikas Möglichkeiten ein, auf die Art und Weise Einfluss zu nehmen, wie China seine Interessen verfolgt, erschüttert das Vertrauen der amerikanischen Verbündeten und vergiftet die persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten“, so Hass.
Zudem müssten die USA die Ambitionen von Xi Jinping, ein „globaler Anführer und Friedensstifter“ zu werden, ernst nehmen. Konkret schlägt Hass etwa vor, Chinas bislang erfolglose Vermittlungsversuche im Ukraine-Krieg nicht einfach als Blendwerk abzutun – sondern nach Stellen zu suchen, wo Peking tatsächlich etwas bewirken könne. „Washington könnte Peking zum Beispiel dazu bringen, die Führung dabei zu übernehmen, Russland zum Offenhalten der Getreiderouten durch das Schwarze Meer im Interesse der weltweiten Ernährungssicherheit zu drängen“ So hätten letztendlich alle Seiten etwas von Pekings Großmachtstreben – China und der Westen.