Trotz Milliarden-Sondervermögen: Bundeswehr erst in „zehn bis 15 Jahren“ abschreckungsfähig

Der Zustand der Bundeswehr steht seit dem Ukraine-Krieg stark in der Kritik. Ein Sondervermögen sollte Veränderung bringen. Doch getan hat sich nicht viel.
München - Ende Februar 2022 sprach Bundeskanzler Olaf Scholz von einer „Zeitenwende“. Der SPD-Politiker verkündete vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs ein Bundeswehr-Sondervermögen in Milliardenhöhe. Mit der Aussage, die Bundeswehr stehe mehr oder weniger blank da, hatte Generalleutnant Alfons Mais zuvor Diskussionen um Investitionen in die Bundeswehr losgetreten. Scholz‘ Sondervermögen sollte schließlich dazu dienen, die über Jahre zusammengesparte Bundeswehr wieder aufzurüsten. Doch über ein Jahr später zeichnet sich trotz dessen ein eher düsteres Bild.
Erst in zehn bis 15 Jahren: Bundeswehr-Zustand laut Experte weiterhin eher erschreckend als abschreckend
Um von einem „erschreckenden in einen abschreckenden Zustand“ zu kommen, prognostizierte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gegenüber Deutschlandfunk eine große Zeitspanne. „Es sind zehn bis 15 Jahre, die man dafür einfach rechnen muss“, sagte er in einem Interview. „Und vor allen Dingen“, fügte er an, „das kostet Geld.“
Die Frage ist, ob man diesen Staatsauftrag, der in der Verfassung drinsteht, ordentlich ausfüllen will. Das hat man in der Vergangenheit nicht getan. Ja, das kostet Geld. Dieses Geld haben wir in der Vergangenheit gespart. Das tut mir sehr leid, aber hier geht es letztendlich auch um eine Präventivmaßnahme. Das ist Vorsorge.
Schon im Januar 2023 fand der damals frisch ins Amt gekommene Verteidigungsminister Boris Pistorius klare Worte. „Die 100 Milliarden werden nicht reichen“, sagte der SPD-Politiker. Nicht zuletzt, führte Pistorius damals an, müssten aufgrund von Lieferungen an die Ukraine schließlich weitere Lücken gefüllt werden. „Natürlich machen wir uns auf den Weg, Ersatz zu beschaffen.“ In diesem Punkt müsse man jedoch an Schnelligkeit zulegen, sagte er.
Ein ähnlich schlechtes Bild vom Zustand der Bundeswehr zeichnete auch Militärexperte Thomas Wiegold im Januar gegenüber dem ZDF. Viel verändert habe sich seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges nicht. „Im Gegenteil: Die Bundeswehr hat ja Material abgegeben an die Ukraine, hat es nicht ersetzt bekommen, es ist eher noch schlimmer geworden.“ Vom Sondervermögen sei, so der Experte im Januar, kaum etwas angekommen und vieles noch nicht bestellt worden.
Altlasten im Verteidigungsministerium: Ausrüstungslücken „bis 2030 nicht vollends geschlossen“
Boris Pistorius kämpft jedoch insbesondere auch mit den Altlasten seiner Vorgängerinnen im Verteidigungsministerium. Er rechnet, ähnlich wie Molling, nicht mit einer baldigen Schließung der Ausrüstungslücken der Bundeswehr. Anfang April sagte er gegenüber der Welt am Sonntag: „Wir wissen alle, dass die vorhandenen Lücken bis 2030 nicht vollends geschlossen werden können. Deswegen müssen wir Prioritäten setzen.“ Er fuhr gegenüber der Zeitung fort: „Die Bundeswehr hat drei Aufgaben zu erfüllen: Landes- und Bündnisverteidigung sowie internationale Kriseneinsätze. Dafür braucht es Fähigkeiten, unterlegt mit Material und Personal“, erklärte Pistorius mit Blick auf den hohen Bedarf der Bundeswehr.
Bei den Wehrausgaben sei es aber so, dass „nicht genügend Geld aus dem Sondervermögen abfließen kann, obwohl die Verträge geschlossen sind“, sagte Pistorius in einem Fraktions-Podcast im April. Von der Auftragserteilung bis zur Fertigstellung eines Waffensystems seien in der Regel zwei Jahre nötig.
Seine „Priorität Nummer eins“ sei, dass „wir auch in der Beschaffung von Waffen und Munition in der neuen Zeit angekommen sind“, sagte der Verteidigungsminister der Welt am Sonntag. Auch ihm gefalle es nicht, „dass wir eine Milliarde nach der anderen für Waffensysteme ausgeben müssen. Aber dazu gibt es nach meiner Überzeugung keine Alternative“, argumentierte der Minister damals.
Die Kritik riss seither allerdings nicht ab. Der deutsche Luftwaffenchef nannte die Bundeswehr-Technik kürzlich „museumsreif“. Fakt ist: Insbesondere vor dem sich weiterhin unerbittlich fortsetzenden Ukraine-Kriegs dürften die Diskussionen um die Bundeswehr weiter hochkochen. (mbr/dpa/AFP)