„Impfpflicht durch die Hintertür“: Entwurf aus Spahns Ministerium sorgt für Aufregung - „Irritierende Ideen“
Große Hoffnung oder Schreckensszenario? Neue Antikörpertests könnten in der Corona-Krise bald Aufschlüsse geben - doch eine Idee der Bundesregierung sorgt auch für Entsetzen.
- Seit langen Wochen sind aufgrund der Corona*-Pandemie große Einschränkungen in Deutschland nötig.
- Neue Hoffnung auf Lockerung brachte am 4. Mai die Nachricht über neue Antikörpertests.
- Geplant ist auch eine Reform des Infektionsschutzgesetzes. Sie ruft große Sorgen auch in den Regierungsparteien hervor.
- Hier finden Sie unseren Wegweiser zur Berichterstattung* und die Corona-News aus Deutschland. Derzeit gibt es die folgenden Empfehlungen zu Corona-Schutzmaßnahmen*.
Berlin/Penzberg - Die Corona-Krise ist für die Politik eine enorme Herausforderung: Riesige Unklarheiten rund um das Virus, zudem große Begehrlichkeiten in Sachen Gesundheitsschutz einerseits, in Sachen Freiheit und Wirtschaft andererseits - da ist es alles andere als leicht, gut abgewägt und mit Rücksicht auf alle Risiken und Rechte zu handeln. Doch selbst eingedenk dieser Tatsache holt sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun schon zum zweiten Mal heftige Kritik aus Politik und Gesellschaft ab.
Bereits vor Wochen hatte er in Sachen Corona-App für Irritationen gesorgt: Spahn wollte trotz Bedenken in Sachen Datenschutz und technischer Nutzbarkeit auf GPS-Daten und das umstrittene „Tracking“ setzen, das dem Staat umfangreiche Daten über die Kontakte seiner Bürger beschert hätte.
Nun sorgt ein Gesetzentwurf aus Gesundheitsministerium für Aufregung. Von einer „Einladung zur Diskriminierung“ und sogar einer „Impfpflicht durch die Hintertür“ ist in Reaktionen die Rede. Selbst die Regierungsparteien üben Kritik. Spahn rudert bereits zurück. Doch es bleiben gravierende Fragen.
Coronavirus: Durchbruch bei Antikörpertests - Hoffnung oder Schreckensszenario
Was ist passiert? Stein des Anstoßes ist eine offenbar bereits vom Kabinett abgesegnete Reform des Infektionsschutzgesetzes*, über die zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Darin vorgesehen ist unter anderem eine Art „Immunitätsausweis“ - zunächst laut Spahn rein „vorsorglich“.
Das bedeutet: Sollte es demnächst gesicherte Erkenntnisse zur Immunität nach einer Corona-Infektion* geben, könnte eine Bescheinigungsmöglichkeit dafür kommen - ähnlich wie ein Impfpass. Eine andere Entwicklung hat dieses Szenario am Montag wahrscheinlicher gemacht. Spahn, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der Pharmakonzern Roche verkündeten im oberbayerischen Penzberg Fortschritte bei Antikörpertests, wie Merkur.de* berichtete.
Coronavirus: Gesetzentwurf wirft Fragen auf - „Impfpflicht durch die Hintertür“?
Von einer Immunität zu wissen, sei eine „unglaublich beruhigende und Sicherheit erzeugende Information“, erklärte Roche-Präsident Christoph Franz. Zugleich sorgt die Idee eines „Immunitätsausweises“ aber für große Sorgen. Ein Grund ist, wie bild.de berichtet, eine konkrete Passage des Gesetzentwurfs.
„Soweit von individualbezogenen Maßnahmen abgesehen werden soll oder Ausnahmen allgemein vorgesehen werden, hat die betroffene Person durch eine Impf- oder Immunitätsdokumentation nach §22 oder ein ärztliches Zeugnis nachzuweisen, dass sie die bestimmte übertragbare Krankheit nicht oder nicht mehr übertragen kann“, heißt es demnach in §28 Absatz 1, Satz 3 des Entwurfs.
Das könne bedeuten, so folgert die Webseite, dass Bürgern Freiheitsrechte entzogen werden könnten, sollten sie keine Impfung oder Immunitätsbescheinigung vorlegen können. Auch in der Unionsfraktion gebe es Widerstand gegen die Passage.
Coronavirus in Deutschland: Kommt der „Immunitätsausweis?“ SPD-Chefin spricht von „irritierenden Ideen“
Tatsächlich handelt es sich um eine komplexe Debatte. Auch in den vergangenen Wochen war die individuelle Freiheit der Menschen in Deutschland zum Schutz vor möglicherweise tödlichen Corona-Infektionen beschnitten worden - das aber eben pauschal und allgemein. Zugleich würde das Gesetz explizit aber nicht nur in Bezug auf Corona, sondern auch in anderen „epidemiologischen Lagen“ gelten.
SPD-Chefin Saskia Esken warnte am Montag bereits vor weitreichenden Beschlüssen. Sie sprach von „irritierenden Ideen, so ein Immunitätsausweis könnte über Zugang und Teilhabe entscheiden“. Auch die FDP zeigte sich alarmiert. Generalsekretärin Linda Teuteberg sah „mehr Schaden als Nutzen“. Engmaschige Tests für Beschäftigte im Gesundheitswesen reichten aus, urteilte sie. „Schließlich sollte es dabei bleiben, dass es nur Arzt und Patient etwas angeht, wer welche Krankheit gehabt hat.“
Die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeink warnte vor einer „Einladung zu Diskriminierung“. Komme das Gesetz in der zitierten Form, könne gar eine Art Ausschluss von nicht-immunen Menschen etwa bei der Vergabe von Jobs Folge sein, legte sie in einem Tweet nahe - das müssten die Regierungsparteien verhindern, lautete ihre Forderung.
Coronavirus: Habeck und Lauterbach warnen vor „Immunitätsausweis“ - „dann kommen Corona-Partys“
Grünen-Chef Robert Habeck und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wiesen auf einen anderen Aspekt hin: Ein Immunitätsausweis, der weiterreichende Rechte gewähre, könne die Bürger auf dumme Ideen bringen, so ihr Tenor.
Habeck befürchtete einen „indirekten Anreiz, sich zu infizieren, um im Shutdown wieder mehr Freiheiten als andere zu erhalten“. Lauterbach wurde noch deutlicher. „Wenn der Ausweis Vorteile bringt, gibt es Corona-Partys. Bringt er Nachteile, folgt Testvermeidung“, twitterte er.
Coronavirus und neue Antikörpertests: Spahn beschwichtigt, Ethikrat soll Stellungnahme abgeben
Spahn beschwichtigte am Montag. Man habe sich entschieden, vorerst keine Erleichterungen für Menschen mit „Immunitätsausweis“ vorzusehen, erklärte er in Penzberg. Zunächst habe man den Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten. Nichtsdestotrotz: Nach Informationen der Bild soll das Gesetz bereits am 14. Mai von Bundestag verabschiedet werden.
Auch einen anderen Kritikpunkt räumte unterdessen Spahn ein: Ein falscher Test und daraus folgender Immunitätsnachweis könne Menschen zu verfehlter Sorglosigkeit verleiten - zuletzt war immer wieder vor einem erneuten Shutdown gewarnt worden und Spahn fordert weiter „Immunitätsausweise“ - wegen der Reisefreiheit. Esken verwies auch noch auf ein weiteres Problem: „Bei Covid-19 ist noch unklar, ob es dauerhafte Immunität gibt, und ein Impfstoff ist nicht in Sicht*“, bremste sie große Erwartungen an neue Freiheiten durch Immunitätsnachweise.
Für Aufsehen sorgten unterdessen auch neue Informationen zur sogenannten „Heinsberg-Studie“ - sie legen eine enorm hohe Corona-Dunkelziffer in Deutschland nahe.
Übrigens: Spahn äußerte sich am Montag nicht nur zum „Immunitätsausweise“, sondern auch zur Impstoff-Forschung. Doch den Hoffnungen vieler Menschen versetzte er mit seiner eher skeptischen Prognose einen Dämpfer.
fn (mit Material von dpa)
*Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.