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EU-Kommissionsvizepräsidentin Vestager nennt Verbot von TikTok „letztes Mittel“

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Von: Jana Stäbener

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Die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager glaubt, dass „TikTok sich an EU-Regeln halten will und wird“ und widerspricht der Haltung in den USA damit deutlich.

Ende Januar drohte die EU-Kommission dem populären Videodienst TikTok mit schweren Konsequenzen bei Verletzung europäischer Regeln. EU-Kommissar Thierry Breton sprach davon, dass Nutzer in der App von scheinbar lustigen und harmlosen Dingen binnen Sekunden zu gefährlichen TikTok-Trends und manchmal sogar zu lebensbedrohlichen Inhalten gelangen könnten.

Breton zeigte sich auch besorgt über Vorwürfe, dass TikTok Journalisten ausspioniere und personenbezogene Daten an Orte außerhalb Europas übermittle. Das sagte er am 20. Januar 2023 laut Deutscher Presse-Agentur (dpa). Er habe TikTok-Chef Shou Zi Chew „sehr deutlich signalisiert, dass es notwendig sei, sich verstärkt um Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften zu Datenschutz, Urheberrechten und Online-Plattformen zu kümmern“.

Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin aus Dänemark, spricht während einer Pressekonferenz im Europaparlament. (Archivbild)
Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin aus Dänemark, spricht während einer Pressekonferenz im Europaparlament. (Archivbild) © Patrick Seeger/dpa

TikTok-Verbot in den USA diskutiert: Wie wahrscheinlich ist es in Europa?

Nur kurze Zeit später wurde in den USA Anfang Februar ein mutmaßlicher chinesischer Spionageballon gesichtet. Für TikTok keine guten Nachrichten, denn seitdem nutzen Kritiker der App den Ballon als Argument für ein striktes TikTok-Verbot, berichtet NBC News.

Schon im Dezember 2022 unterzeichnete Joe Biden ein Gesetz, das Bundesangestellte verbietet, TikTok auf staatseigenen Geräten zu verwenden, berichtet Reuters. Noch im Februar will der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses über einen Gesetzentwurf abstimmen, der darauf abzielt, TikTok in den Vereinigten Staaten wegen nationaler Sicherheitsbedenken zu verbieten, bestätigte der Ausschuss gegenüber der Nachrichtenagentur am 27. Januar 2023.

Wie wahrscheinlich ist ein TikTok-Verbot bei uns in Europa? Das fragt BuzzFeed News DE von IPPEN.MEDIA die EU-Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Die Dänin ist Kommissarin für Wettbewerb und Digitales. Sie will „Europa fit für das digitale Zeitalter machen“, also Datenklau einschränken, gefährliche Inhalte verhindern und der Manipulation beim Online-Shopping den Kampf ansagen. Im Interview erzählt sie, wie sie das schaffen will.

Frau Vestager, wie sieht denn ein für das „digitale Zeitalter fitte Europa“ aus?

In einem digital fitten Europa dient Technologie den Menschen und nicht umgekehrt. Statt uns zu schaden, ermöglicht uns Digitalität in einem solchen Europa eine bessere Gesundheitsversorgung, weniger Umweltverschmutzung, bessere Bildung und effizientere Organisation – zum Beispiel beim Verkehr.

Klingt fast so, als befinden wir uns im Jahr 2023 noch im Wilden Westen des digitalen Zeitalters…

Ich glaube eher, wir sind gerade dabei, uns zu zivilisieren. So langsam rächt sich die Demokratie und sagt: „Hey hört mal, es kann nicht sein, dass Entscheidungen, die für unsere Gesellschaft so wesentlich sind, in geschlossenen Räumen von irgendwelchen Big-Tech-Unternehmen getroffen werden.“ Wir merken, dass es in unserer Demokratie auch Volksvertreter:innen braucht, die die Richtung vorgeben, die sicherstellen, dass die Technologie allen Menschen dient und nicht nur den wenigen, die damit ein Vermögen machen.

So wie ich mir das gerade vorstelle, sind Big-Tech-Unternehmen wie Amazon, Google, Facebook und TikTok momentan die Cowboys und die EU ist der Sheriff.

Ich weiß nicht, ob das die richtige Metapher ist. Aber ich kann verstehen, dass es sich für viele Menschen so anfühlt. Denn klar, wir haben jetzt Gesetze, die unsere Privatsphäre schützen und den Markt für den Wettbewerb öffnen. Gesetze, die digitale Plattformen sicher machen. Die Gesetze sind unterzeichnet und ab Anfang nächsten Jahres müssen sich die Big-Tech-Unternehmen daran halten.

Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerb und Digitales, glaubt TikTok zu verbieten, wäre das letzte Mittel.
Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerb und Digitales, glaubt TikTok zu verbieten, „wäre wirklich unser letztes Mittel“. © Claudio Centonze/dpa/ NurPhoto/IMAGO

Eines dieser Gesetze ist der Digital Services Act (DSA). Mit dem wollen Sie Big-Tech-Unternehmen das Label „Gatekeeper“ verpassen. Warum das Ganze?

Wenn ein Unternehmen so eine Marktmacht hat, dass es darüber entscheiden kann, ob ein kleines Unternehmen gefunden wird oder nicht, dann muss es auch Verantwortung tragen. Und weil freundlich danach zu fragen nicht reicht, machen wir es zur Verpflichtung und sagen: Als Gatekeeper darfst du bestimmte Dinge nicht und wenn du sie doch tust, dann bekommst du eine Strafe.

Normalerweise sind das dann Geldstrafen...

Genau. Und wenn die nicht funktionieren, dann ist unser letzter Ausweg eine Zerschlagung des Unternehmens. Aber wirklich nur, wenn das Unternehmen sich gar nicht mehr an Regeln hält.

Was halten Sie davon, dass in den USA einige Senator:innen nun als Reaktion auf den chinesischen Spionage-Ballon fordern, TikTok zu verbieten?

Ich kann nur sagen, dass wir in Europa momentan zwei Datenschutz-Ermittlungen gegen TikTok laufen haben. Wenn sie beendet sind – und das wird bald sein – dann wissen wir, ob TikTok unsere Daten gesetzeskonform behandelt oder ob die App wohl doch einem Spionage-Ballon ähnelt.

Und wenn sich TikTok als digitaler Spionage-Ballon herausstellt? Würde die EU die App dann überhaupt verbieten – in dem Wissen, dass TikTok die Stimme der Generation Z ist?

TikTok zu verbieten wäre ein großer Einschnitt und würde natürlich die Redefreiheit einschränken. Deswegen wäre das wirklich unser letztes Mittel. Ich glaube, es ist eine begründete Annahme, dass ein Unternehmen wie TikTok sich an EU-Regeln halten will und wird. Warum? Weil es am Ende gut ist, in Europa Geschäfte zu machen.

Und doch hört man momentan immer wieder, wie Sie und Thierry Breton TikTok-CEO Shou Zi Chew ermahnen, sich an die Regeln zu halten. Was erwarten Sie von ihm denn?

Wichtig ist, dass Unternehmen wie TikTok das Risiko ihrer Plattform selbst einstufen. Es reicht nicht, nur einzelne, gefährliche Posts zu löschen. Gegenüber Instagram gibt es beispielsweise die Vorwürfe, dass die App die mentale Gesundheit von jungen Frauen gefährdet. Das prüfen wir momentan. Wenn es sich bewahrheitet, muss Meta dagegen in seiner Gänze etwas tun.

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Was haben Sie in Verfahren gegen Big-Tech-Unternehmen wie Google, Meta und Co. in den vergangenen Jahren gelernt?

Dass man schnell sein muss – das haben alle Verfahren gemeinsam. Wenn man nicht schnell ist, dann riskiert man, dass kleine Unternehmen in der Zwischenzeit sterben.

Wie schnell ist denn schnell genug?

Wenn wir den Digital Markets Act durchsetzen und die Big-Tech-Unternehmen das Label „Gatekeeper“ bekommen, dann können wir viel schneller Regeln für sie schaffen, als wir es mit der bestehenden Gesetzgebung könnten. Ich weiß nicht genau, wie schnell, aber wir werden viel schneller sein.

Welche Regeln würden Sie denn am liebsten sofort umsetzen?

Wir müssen auf jeden Fall noch mehr auf unseren Datenschutz beharren. Es muss viel einfacher sein, zu erkennen, wenn eine Anwendung die eigenen Daten trackt. Wenn man User:innen ganz einfach fragt: „Wollt ihr, dass getrackt wird, wenn ihr andere Apps benutzt“, dann antworten alle mit „Nein, danke“. Aber wenn man sie fragt, ob sie Cookies zustimmen, dann sagen alle „Yeah, yeah, yeah“ und drücken den grünen Button. Wenn man sie fragt, ob sie den AGBs zustimmen, dann sagen sie „Oh mein Gott ja, als ob ich diese 20 Seiten lese“ und stimmen zu.

Also sollten es keine 20 Seiten AGB sein, weil das zu kompliziert ist?

Ja, denn niemand liest die AGB. Ich lese sie zwar sehr oft, aber auch nicht immer. Dasselbe bei den Cookies. Vor allem, wenn wir unter Zeitdruck stehen, stimmen wir ihnen fast immer zu.

Für Big-Tech-Unternehmen bedeuten Cookies und Tracking einiges an Werbeeinnahmen. Wenn die weniger werden, dann ärgern sie sich sicher. Manche Leute bezeichnen Sie deshalb als den „Albtraum von Big Tech“. Was halten Sie davon?

Ein Albtraum lässt Leute mitten in der Nacht wach werden. Wenn das bei mir der Fall ist, und ich Menschen dazu bringe, zu sagen: „Oh mein Gott, ich muss aufhören mit dem, was ich gerade tue und etwas anderes tun“ – dann ist das glaube ich eine gute Sache.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (l), spricht mit der Kommissarin für Digitales, Margrethe Vestager, während eines wöchentlichen Kollegiums der Kommissare im EU-Hauptquartier. (Archivbild)
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (l), spricht mit der Kommissarin für Digitales, Margrethe Vestager, während eines wöchentlichen Kollegiums der Kommissare im EU-Hauptquartier. (Archivbild) © Francisco Seco/dpa

Mehr zu den Gefahren von TikTok: So nutzen Rechte den TikTok-Sound „Californa Dreamin“ für „Nazi-Propaganda und Rassenideologie“.

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