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Habecks Befreiungsschlag schon versandet? Warum die Grünen-Misere noch lange nicht vorbei ist

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Von: Florian Naumann

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Robert Habeck trennt sich doch von seinem wichtigsten Staatssekretär. Doch die Grünen stehen weiter unter Druck – dafür sprechen mindestens vier Punkte.

Berlin/München – Robert Habeck hat doch noch die Reißleine gezogen: Sein umstrittener Staatssekretär Patrick Graichen muss gehen. Nach wochenlangen „Filz“-Vorwürfen hofft der Grünen-Vizekanzler nun wohl nicht zuletzt auf einen politischen Befreiungsschlag – auch wenn ein weiterer „Fehler“ Graichens der offizielle Anlass für die Trennung war.

Habeck entlässt Staatssekretär: Kommt das Graichen-Aus zu spät?

Doch es könnte anders kommen: Die Union hat schon in den Stunden nach dem Graichen-Aus nachgelegt – und sowohl weitere Aufklärung in Habecks Wirtschaftsministerium, als auch das Aus für das Heizungsgesetz gefordert. Die Opposition will Habeck nicht vom Haken lassen. Und vielleicht sogar auf seinen Rücktritt hinarbeiten. Dabei könnten abseits des Parlaments auch extremistische Kräfte Trittbrett fahren.

Aus anderer Richtung droht ebenfalls Ungemach: Für viele Grüne, Ökoverbände und auch Teile der Wirtschaft war Graichen eine Schlüsselfigur in der Energiewende. Dass Habeck dem Druck nachgegeben hat, könnte vielen übel aufstoßen. Und vielleicht auch ganz praktische Probleme im Ministerium verursachen. Vier Gründe, warum für Habeck, die Grünen und das Wirtschaftsministerium die Krise noch lange nicht vorüber ist:

1. Zu spät, zu wenig? Habeck wird weiter unter Druck stehen

Die Grünen zeigen immer wieder einmal Probleme im Umgang mit Fehlern: Im Wirbel um Annalena Baerbocks missglückten Buch-Versuch im Wahlkampf 2021 etwa verwiesen sie zunächst einfach auf eine „Rufmord“. Erst später folgte das Fehler-Eingeständnis. Auch Grünen-Umweltministerin Anne Spiegel ging erst im zweiten Anlauf – dann aber abrupt. Im Fall Graichen gibt es Argumente, die Lage anders zu sehen (siehe Infobox unten) – doch das Vorgehen wirkt letztlich ähnlich. Noch am 11. Mai sagte Habeck, er sei nicht bereit, wegen einer Oppositions-Kampagne „Menschen zu opfern“. Zuvor hatten er und Graichen bereits „Fehler“ eingeräumt. Ohne personelle Konsequenzen.

Michael Kellner, der die Vorwürfe gegen Baerbock mit dem „Rufmord“-Vorwurf gekontert hatte, ist übrigens mittlerweile Parlamentarischer Staatssekretär in Habecks Wirtschaftsministerium.

Die CSU will nun weiter Druck machen. „Der Filz-Skandal im Umfeld von Robert Habeck“ sei „noch lange nicht aufgearbeitet“, sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Erkenntnisse über „Familienbande“ und „Kumpanei“ machten einen Untersuchungsausschuss wahrscheinlicher. Am kommenden Mittwoch will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Habeck und eigentlich auch Graichen zunächst erneut in einer Sitzung der Ausschüsse für Wirtschaft und Klimaschutz/Energie befragen. Im Wirtschaftsministerium läuft zudem eine „beamtenrechtliche Prüfung“ gegen Graichen. Auch sie könnte bei Abschluss wieder hohe Wellen schlagen.

Damit nicht genug: Einige Beobachter vermuteten gar ein Anti-Klima-Netzwerk hinter der Großattacke auf das Heizungs-Vorhaben, wie FR.de berichtete. Auch Habeck beklagte sich in den ARD-„Tagesthemen“. Am Mittwoch rügte er, über Graichen seien Lügen von „mitunter rechtsextremen Accounts“ verbreitet und „von prorussischen Accounts weiter gepusht worden“. Recherchen der dpa bestätigten das – etwa im Fall der Falschbehauptung, Graichen sei mit einer Vorständin des in Deutschland verstaatlichten Uniper-Konzerns verheiratet. Auch das lässt darauf schließen, dass der Wirbel nicht abebben wird. Habeck könnte mit dem Zick-Zack-Kurs nicht nur der Opposition sondern auch Trollen unfreiwillig Munition geliefert haben.

Habeck baut um: Warum musste Graichen gehen?

Grund für Graichens geplante Entlassung seien neue Erkenntnisse aus internen Prüfungen, sagte Habeck am Mittwoch. Dabei ging es nicht um die lange debattierte Personalie um Michael Schäfer. Hintergrund ist vielmehr die geplante finanzielle Förderung eines Projekts des BUND-Landesverbands Berlin, in dessen Vorstand die Schwester Graichens, Verena Graichen, sitzt. Der Vorgang hätte Graichen weder vorgelegt werden dürfen, noch hätte er ihn abzeichnen dürfen. Es handle sich um einen Compliance-Verstoß, also einen Verstoß gegen interne Verhaltensregeln. (AFP)

2. „Vakuum“ in Habecks Energiewende-Plänen? Mit Graichen geht eine Schlüsselfigur verloren

Doch nicht nur die Opposition macht Druck. Es gibt auch in der Wirtschaft Sorgen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) klagte, die Bundesregierung verliere mit Graichen „einen ausgewiesenen und international hochanerkannten Energiewende-Experten“. Graichen galt als Architekt des Heizungsgesetzes – und dürfte auch darüber hinaus als Strippenzieher beim Mammutprojekt Energiewende eingeplant gewesen sein. Glaube man Einschätzungen der Grünen, gebe es „im ganzen Land keinen Zweiten, der den Job auch nur annähernd so gut erledigen könnte wie er“, schrieb die taz.

Robert Habeck (Grüne) steht im Kreuzfeuer - ein Ende ist wohl nicht in Sicht.
Robert Habeck (Grüne) steht im Kreuzfeuer - ein Ende ist wohl nicht in Sicht. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Der „Job“ ist für die Grünen ein Schlüsselprojekt. Sollte nun der klimagerechte Umbau der Wirtschaft ins Stocken kommen, dürfte sich Unmut im Lager ihrer Sympathisanten regen – sie dürften nun zusätzlich sensibilisiert sein. Wer auch immer nachfolgen wird, steht also unter Beobachtung – aber auch unter Druck von anderer Seite. Die koalitionsinterne Opposition zeigte direkt mit dem Finger gen Wirtschaftsministerium: Der FDP-Abgeordnete Michael Kruse warnte vor einem „Macht-Vakuum“. Auf genau das dürften die Gegner der Grünen-Pläne hoffen.

3. Dauer-Problem Heizungsgesetz: Gegner machen nach Habeck-Entscheidung Front

Denn mit Graichens Abgang ist auch das Grummeln um das Heizungsgesetz noch lange nicht verstummt. Vermutlich wird es das auch nicht so schnell: CDU und CSU haben eine offene Flanke ausgemacht – und sie lassen ebenso wie die FDP nicht locker. Habeck solle „jetzt das Gesetz komplett stoppen“, forderte der CDU-Abgeordnete Carsten Linnemann bei der Mediengruppe Bayern.

Linnemanns Parteifreund und Europaparlamentarier Peter Liese verknüpfte den Fall Graichen und das Heizungsgesetz indirekt. Graichen habe „einen schweren Fehler bei der Auswahl des Dena-Chefs gemacht und das von ihm zu verantwortende Gebäudeenergiegesetz schadet dem Klimaschutz mehr, als es nutzt“, betonte er. Ohnehin läuft bereits eine inhaltliche CDU-Kampagne gegen das Gesetz. Auch FDP-Politiker Kruse drängte auf Änderungen nach Graichens Abgang: Er verlangte einen „neuen, realistischen Zeitplan“.

Der FDP-Fraktionschef Christian Dürr musste sich bereits vom eigentlich als grünen-kritisch geltenden Markus Lanz für die FDP-Darstellung der Gesetzespläne in ein peinliches Kreuzverhör nehmen lassen. Doch unabhängig von der inhaltlich zunächst trockenen Frage, ob das Gesetz sozial verträglich ist, wird sich Habeck neben seinen Tagesaufgaben noch mehr ins Zeug legen müssen: Die Grünen dringen mit ihren Argumenten offenbar nicht durch.

4. Habeck vor Nachfolge-Dilemma? Ein Experte wird gesucht - ohne Bande in die Öko-Szene

Wer auf Graichen folgen wird, blieb am Mittwoch noch unklar. Habeck erklärte nur, er wollen den Posten zügig besetzen. Die Personalie könnte aber das nächste Dilemma werden. Beobachter wiesen zuletzt darauf hin, die Riege der Energie- und Energiewende-Experten in Deutschland sei eben nicht allzu groß – man kennt sich, teils seit Jahrzehnten. Einen Experten dürfte Habeck in dem Amt aber brauchen. Einen deutschen noch dazu. Kollegin Annalena Baerbock hat sogar eine eingebürgerte Fachfrau in ihrer Staatssekretärs-Riege. Doch das dürfte für Habeck weder zeitlich klappen, noch Ruhe in die Debatte bringen.

Der strauchelnde Wirtschaftsminister muss also fast schon die eierlegende Wollmilchsau finden: Einen Menschen mit Klima- und Energiewende-Expertise – ohne Großnetzwerk im Ökobereich. Alles andere wäre entweder ein Rückschlag für seine großen Umbau-Ambitionen. Oder ein gefundenes Fressen für die Opposition. In einem Anflug von Galgenhumor versicherte Habeck: „Ich werde nicht meinen Trauzeugen jetzt als Staatssekretär berufen.“

Immerhin gab es am Tag des Graichen-Abgangs auch Ermunterung für die Grünen – ausgerechnet aus dem strukturell stockkonservativen Niederbayern. Der Fall Graichen könne auch „eine Chance sein für mehr Realismus und Pragmatismus“, kommentierte das Straubinger Tagblatt. Bislang hätten die Grünen eher „den kalten Hauch von Technokraten“ versprüht. Womöglich hat Habeck seinen neuen Mann für die Energiewende aber auch schon gefunden: Laut einem Bericht der Bild könnte der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, den Posten übernehmen. Er ist Grünen-Politiker – was wieder Futter für Filz-Vorwürfe liefern könnte. Müller hat sich aber auch als Umweltminister in Schleswig-Holstein, Verbraucherschützer und Problem-Manager in der Gas-Krise einen Namen gemacht. (fn)

Grünen-Probleme nicht nur im Bund: Nach der Bremen-Wahl rutschen die Grünen im Stadtstaat in eine Krise.

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