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Hans-Dietrich Genscher: Im gelben Pullover einte er Deutschland

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Hans-Dietrich Genscher 1990 (links) mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Staatspräsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow.
Hans-Dietrich Genscher 1990 (links) mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Staatspräsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow. © dpa

Berlin - Mit Hans-Dietrich Genscher ist in der Nacht zum Freitag einer großen Politiker der Nachkriegszeit verstorben. Er trug maßgeblich zur deutschen Einigung bei. Der ehemalige Außenminister im Portrait.

Zuspitzen war seine Sache nicht. Der Meistertaktiker machte Beweglichkeit zum Grundprinzip seiner Politik - und dies so prägend, dass das Wort "Genscherismus" fest ins politische Vokabular der Bundesrepublik einging. Wie kein zweiter füllte Hans-Dietrich Genscher (FDP) das Amt des Bundesaußenministers aus, das er rund 18 Jahre innehatte. In der Nacht zu Freitag ist Genscher - wenige Tage nach seinem 89. Geburtstag - gestorben.

Sein Rat war bis zuletzt gefragt, und er erteilte ihn bereitwillig. Der Überlebenskampf seiner FDP bewegte Genscher. Dem jungen Parteichef Christian Lindner stand er als Mentor und Ratgeber zur Seite. Die Krise in Europa veranlasste Genscher immer wieder zu Wortmeldungen. Die Sorgen häuften sich in den Jahren seines Ruhestands: Der Elder Statesman sah sein Kernprojekt, die europäische Einigung, schweren Anfechtungen ausgesetzt.

Genscher sah den Niedergang der FDP mit Argwohn

Die Ehrbezeugungen für den Verstorbenen zeugten am Freitag von Verehrung und höchstem Respekt. Sie gelten einem Politiker, dessen Verdienste um Europa, die deutsche Einheit und die Ost-West-Annäherung unbestritten sind. Genscher selbst sah sein Lebenswerk in seinem Beitrag dazu, "unser Volk wieder zusammenfinden zu lassen - und das als freiheitliche Demokratie und in einem europäischen Rahmen", wie er 1995 dem "Spiegel" sagte.

Genschers Partei, die FDP, konnte von seinem Glanz freilich nicht mehr zehren. Seine Nachfolger im Amt des Parteichefs und des Bundesaußenministers kamen an Genschers Ansehen nicht heran. Hatte die FDP in Genschers Zeit noch einem Monopolstellung als Königsmacher in Regierungskoalitionen und als gestaltende Kraft der Außenpolitik, ist sie nun nicht einmal mehr im Bundestag vertreten.

Fast ein Vierteljahrhundert saß Genscher in Kabinetten verschiedener Couleur - von den SPD-Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt bis hin zu CDU-Regierungschef Helmut Kohl. Von größeren Affären blieb er in dieser Zeit verschont. Er war der Mann der Mitte, der Garant politischer Kontinuität, nicht der Mann der schrillen Töne.

Genschers Markenzeichen: Sein gelber Pullover

Bereits vier Jahre nach seinem Einzug in den Bundestag 1965 war Genscher Innenminister, ab 1974 dann Außenminister und Vizekanzler. Unter Genschers Führung überlebte die FDP 1982 den Koalitionswechsel von der SPD zur CDU/CSU. Der Minister im charakteristisch gelben Pullunder lavierte, glich aus, moderierte.

Genschers Markenzeichen war die Ost- und Entspannungspolitik. Als einer der ersten Politiker erkannte er die außen- und deutschlandpolitischen Chancen, die sich aus der Reformpolitik des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow nach 1986 ergaben.

Als Höhepunkt seiner Karriere wertete er den Auftritt 1989 in der Prager Botschaft, wo er den DDR-Flüchtlingen die Nachricht über ihre Ausreise überbrachte. Genschers politische Geschmeidigkeit brachte ihm viele Anfeindungen ein. In Washington und London wurde der Begriff "Genscherismus" zeitweise als Synonym für illoyales Lavieren zwischen den USA und der Sowjetunion verwendet.

Nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes in der DDR mühte sich der gebürtige Hallenser, der 1952 aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte, Vorbehalte im Ausland gegen ein vereintes Deutschland abzubauen. Gemeinsam mit Helmut Kohl gilt er deshalb als der Architekt der deutschen Einheit.

Hans-Dietrich Genscher: Stationen seines Lebens

Legendär sind Genschers Reisepensum und seine Arbeitswut, selbst ein Herzinfarkt im Sommer 1989 bewegte ihn nicht zur Rücktritt. Gesundheitliche Probleme begleiteten ihn seit jungen Jahren, seine Tatkraft schmälerten sie nicht. Ein letzter diplomatischer Coup gelang Genscher 2013, als er an der Freilassung des Kreml-Kritikers Michail Chodorkowski aus russischer Haft mitwirkte.

Genschers Antrieb hatte seine Wurzel wohl in der Jugend, als ihm eine Tuberkulose mehr als drei Jahre ins Krankenhaus zwang und ihn wertvolle Lebenszeit kostete. Danach trieb ihn der Ehrgeiz, den Rückstand gegenüber den Gleichaltrigen aufzuholen.

AFP

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