Debatte um Wiederauflage
Interview zu Hitlers Mein Kampf: „Verbot würde ins Leere laufen“
Hitlers Schrift "Mein Kampf" trifft in US-amerikanischen Onlineshops auf reges Interesse. Im HNA-Interview sprach sich der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz kürzlich strikt gegen eine Wiederauflage der Hetzschrift aus. Der Historiker Magnus Brechtken hält eine kommentierte Ausgabe hingegen für äußerst wichtig.
Dr. Magnus Brechtken: Englische Übersetzungen von „Mein Kampf“ gibt es seit den 1930er-Jahren. Die Rechte sind schon vor Kriegsende 1945 verkauft worden. Diese Übersetzungen waren stets frei verfügbar. Woher das aktuelle Interesse kommt, lässt sich nur vermuten. Die Person Hitlers, Nazi-Themen und die Weltkriege sind in der angelsächsischen Bücherwelt regelmäßig sehr prominent.
Brechtken: Das Buch bietet zentrale Erkenntnisse für das Verständnis der Persönlichkeit Hitlers. Hitler präsentiert die Konstruktion seines bisherigen Lebens - so, wie er es gern von anderen gesehen wissen wollte. Wer das Buch wissenschaftlich analysiert, kann erkennen, welche Zusammenhänge zwischen Hitlers Weltsicht, der nationalistischen Ideologie und der deutschen Politik nach Hitlers Machtergreifung 1933 bestehen. Wer die Ursachen und Wirkungen des Nationalsozialismus, die Motive der Gewalt und des Krieges verstehen will, der muss auch „Mein Kampf“ präzise analysieren.
Brechtken: Ein Grund für den Verbot des Nachdrucks ist die Prominenz des Buches vor 1945, die nicht länger gefördert werden sollte. Weil aber bis 1945 rund zwölf Millionen Exemplare allein in deutscher Sprache gedruckt wurden, blieb das Buch in Bibliotheken, Antiquariaten und Privatbesitz verfügbar. Deshalb ist es an der Zeit, eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe zu erarbeiten.
Brechtken: Hitler propagierte seine Glaubenssätze vor 1933 nicht nur in „Mein Kampf“, sondern in öffentlichen Reden, in Zeitungsartikeln und als Parteiführer. Die meisten dieser Texte sind bereits editiert und kommentiert. Dabei gehören analytische Sorgfalt und umfassende wissenschaftliche Aufklärung zum Tagesgeschäft jedes seriösen Historikers. Das gilt auch für die von unserem Team erarbeitete Ausgabe von „Mein Kampf“. Der selbstbewusst-aufklärerische Umgang mit einem solchen historischen Text ist eine zwingende Aufgabe der Wissenschaft.
Brechtken: Verbotsversuche wecken Neugier. Wer „Mein Kampf“ lesen möchte, kann dies problemlos tun. In wissenschaftlichen Bibliotheken ist es verfügbar. Jeder kann „Mein Kampf“ im antiquarischen Buchhandel kaufen, wenn er wissenschaftliches Interesse angibt. Online ist der Text ebenfalls erhältlich. Insofern liefe jeder Versuch eines Verbots ins Leere. Auch am Urheberrecht würde ein Verbotsversuch nichts ändern - das läuft in jedem Fall zum Ende des Jahres 2015 aus.
Hintergrund: Hitlers "Gegenentwurf" zum Marxismus
Die deutsche Erstausgabe von Hitlers Kampf- und Propagandaschrift "Mein Kampf" erschien im Juli 1925. Die Schrift wurde zunächst in zwei Teilen veröffentlicht. Den ersten Teil schrieb Hitler 1924 während er im Gefängnis im oberbayerischen Landsberg am Lech einsaß. Im Buch stellte er seinen Werdegang zum Politiker sowie seine nationalistische Weltanschauung vor. Hitler beabsichtigte mit seinen Hasstiraden, einen Gegenentwurf zum Marxismus zu präsentieren. Er fordert darin den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sowie weiteren Lebensraum für die Deutschen, wenn der bisherige nicht mehr ausreichte. Besonders hetzerisch stellt Hitler seine Verachtung von Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten dar. Er zeichnet das Bild einer "jüdischen Weltverschwörung", deren Ziel die Knechtung Deutschlands und dessen Wirtschaft sei.
Zur Person
Dr. Magnus Brechtken (49) ist stellvertretender Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in Münster, habilitierte sich 2002 an der Uni München und wurde Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte. Sein Fachgebiet ist die Geschichte des Nationalsozialismus. Er arbeitet an einer kommentierten Ausgabe von "Mein Kampf". Brechtken ist verheiratet und lebt in München.
Von Daniel Göbel