Interview: Tourismus-Expertin über das Geschäft mit der Armut anderer

Kassel. In Hessen und Niedersachsen beginnen in wenigen Tagen die Sommerferien. Immer mehr Deutsche wollen sich im Urlaub nicht nur erholen, sondern für den guten Zweck arbeiten. Das entdecken auch kommerzielle Anbieter für sich.
Ehrenamtliche Arbeit und Urlaub verknüpfen - das wollen immer mehr Deutsche. Gemeinnützige Organisationen raten aber, bei Angeboten von „Voluntourismus“, einer Mischung aus Volunteering - also Freiwilligenarbeit - und Tourismus genau hinzuschauen. Wir sprachen mit Antje Monshausen von Tourism Watch, einer Einrichtung von Brot für die Welt, die sich für einen sozial verantwortlichen Tourismus einsetzt.
Frau Monshausen, wird der Gedanke freiwilliger Arbeit ad absurdum geführt, wenn man danach zum Entspannen ins Luxushotel fährt?
Antje Monshausen: Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn Menschen in ihrem Urlaub etwas von der Lebensrealität des besuchten Landes sehen wollen - das ist kein Widerspruch. Problematisch wird es, wenn Freiwilligendienst zum touristischen Produkt und dem Reisenden suggeriert wird, er könne mit kurzfristiger freiwilliger Arbeit die Welt verändern. Das weckt Erwartungen, die der Realität nicht standhalten, und birgt erhebliche Risiken.
Welche denn zum Beispiel?
Monshausen: Leider steht die lokale Organisation im Reiseland meist nicht im Mittelpunkt, sondern wird eher danach ausgewählt, ob sie das anbietet, was der Reiseveranstalter verkaufen möchte. Das Konzept „Der Kunde ist König“ ist das Gegenteil von Begegnung auf Augenhöhe. Dadurch werden Klischees von Armut aufrechterhalten, die die lokale Bevölkerung zu passiven Bittstellern macht und die Reisenden zu Rettern und Helfern - ein Bild, das auf keinen Fall entstehen sollte.
Wie erklären Sie den Anstieg kommerzieller Voluntourismus-Angebote?
Monshausen: Das liegt zum einen am Reiseverhalten. Deutsche Reisende werden erfahrener, die Anzahl der Fernreisen, auch in Entwicklungsländer, steigt, die Menschen möchten etwas Neues erleben. Da können solche Hilfsprojekte attraktiv sein. Ein zweiter allgemeingesellschaftlicher Trend ist das steigende Interesse an Auslandserfahrungen auch in Entwicklungsländern.
Wie bewerten Sie das Angebot?
Monshausen: Die Frage der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit steht bei Volunteer-Reisen nicht im Vordergrund. Viele Freiwillige glauben, sie zahlen für die lokale Organisation, dort kommt aber oft nicht viel an. Kaum ein Veranstalter arbeitet da transparent. Zudem fragen die Anbieter kaum nach Motiven, Erfahrungen und Voraussetzungen der Freiwilligen und fordern keine Nachweise wie ein polizeiliches Führungszeugnis oder Beurteilungen von Lehrern oder Arbeitgebern an.
Was bedeutet es für ein Land, wenn vergleichsweise wohlhabende Menschen dort kostenlose Arbeit verrichten?
Monshausen: Das ist ein Konflikt, der entsteht. Freiwillige machen die Arbeit gratis, auch in Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit. Ein Trend, den ich befürchte, ist, dass kommerzielle Veranstalter anbieten, was entwicklungspolitisch orientierte Organisationen bewusst nicht anbieten. Dazu gehören sehr kurzfristige Aufenthalte in Kinderheimen, die bei den Kindern mehr Schaden als Nutzen anrichten. Zudem: Wo pure Flexibilität herrscht, kann keine nachhaltige Wirkung erzielt werden.
Hintergrund: Wo kann man sich informieren?
Eine Aufzählung guter und schlechter Anbieter von Voluntourismus oder eine Zertifizierung zur Orientierung gibt es laut Antje Monshausen, Leiterin der Arbeitsstelle Tourism Watch von Brot für die Welt, nicht. Ihre Organisation empfiehlt, sich bei Interesse an einem längeren Aufenthalt für nicht gewinnorientierte Anbieter zu entscheiden. Infos dazu gibt es unter anderem auf:
• www.fair-reisen.brot-fuer-die-welt.de
Von Sina Beutner