Shitstorm gegen Ministerin Karin Prien: Ohne Twitter fehlt gar nichts

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Karin Prien hat nach einem Shitstorm ihren Twitter-Account deaktiviert. Ein Standpunkt von Tibor Pézsa.
„Ohne Twitter fehlt mir gar nichts. Ich habe Zeit, Konzentration und Selbstbewusstsein gewonnen“ – das sagte Robert Habeck im vergangenen September dem „Spiegel“. Der heutige Bundeswirtschaftsminister hatte seine Facebook- und Twitter-Accounts im Januar 2019 stillgelegt. So, wie es jetzt auch Karin Prien mit Twitter tat. Und zwar aus guten Gründen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz hatte dort eine differenzierte Betrachtung der Sterbezahlen von Kindern an oder mit Covid angemahnt. Sie handelte sich damit einen der auf Twitter üblichen Shitstorms ein, verbunden mit Rücktrittsforderungen. Der Sache nach hatte Prien allerdings Anlass zu ihrer Mahnung: Denn zwar gibt es auch unter Jugendlichen und Kindern Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19.
Aber diese sind extrem selten und meistens mit anderen, schon vorher existierenden Erkrankungen verbunden. In Deutschland, das sagte Thomas Mertens, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, im November, war bis dahin kein einziges Kind unter 17 ausschließlich an Covid-19 gestorben.

Natürlich führt eine Naturkatastrophe wie die Corona-Pandemie zu unsäglichem Leid in vielen Fällen. Doch wer, wenn nicht Politiker wie Karin Prien, müsste bei allem Mitgefühl für jeden Einzelfall das gesamte Bild betrachten? Nur so bleibt Politik handlungsfähig.
Auf Twitter, Facebook & Co. wird aber alles nach Kräften emotionalisiert: Politiker, die was tun. Politiker, die nichts tun. Politiker überhaupt, ganz egal – Hauptsache, die Klickzahlen stimmen. Was für Politiker offenbar Heimsuchung und Versuchung zugleich ist. Die Klügeren, siehe Habeck und Prien, steigen aus.
Auf Twitter wird lieber gesendet als empfangen, lieber verurteilt als verstanden, lieber durch Tunnel geblickt als in Zusammenhänge. Twitter arbeitet so, weil es für sein Geschäftsmodell möglichst viele Nutzer mit möglichst viel Zeit und möglichst vielen Tweets, Likes und Retweets braucht.
Der Abfall dieses Geschäftsmodells sind Wut, Hass und Hilflosigkeit. Das Endlager ist die Gesellschaft. Wohl wahr: Ohne Twitter fehlt gar nichts. Im Gegenteil.