Medikamentenengpass: Mit diesen Forderungen setzt die Opposition Gesundheitsminister Lauterbach unter Druck

Frust bei Patienten, Ärzten und Apothekern: In Deutschland gibt es Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten. Die Opposition will das nicht hinnehmen.
Berlin – Hat die Bundesrepublik ihr Gesundheitswesen zu sehr durchökonomisiert? Dieser Eindruck könnte sich aktuell aufdrängen. Denn: Die Versorgung mit Medikamenten ist ins Stocken geraten. Seit Monaten schon klagen Hersteller, Apotheker und Ärzte über Engpässe bei wichtigen Arzneien. So sind Mittel wie Blutdrucksenker oder Fiebersäfte für Kinder derzeit kaum zu bekommen. Zwar stehen Alternativen bereit, allerdings enthalten die oft Wirkstoffe, die weniger gut verträglich sind.
Der Grund für die Misere ist administrativ-technischer Natur: Krankenkassen sind durch das bisherige Vergaberecht gezwungen, Medikamente und Wirkstoffe dort einzukaufen, wo sie am billigsten sind – und das ist nicht Deutschland. Oft findet die Produktion in Ländern wie Indien oder China statt. Kommt es zu Lieferengpässen, gerät das System schnell unter Druck. Denn auch im Gesundheitswesen gilt seit Jahren: sparen, wo es geht. Gut ist, was günstig ist.
Medikamente: CDU will „Renaissance“ der Produktion in Europa
Doch damit soll es bald vorbei sein. Gesundheitsminister Lauterbach hat bereits ein Gesetz angekündigt, um die angespannte Lage bei der Medikamentenversorgung wieder in den Griff zu bekommen. Details sind bislang noch nicht bekannt. Nur eines: Der Druck auf den Minister hat deutlich zugenommen. „Wir brauchen eine Renaissance der Arzneimittelproduktion in Europa“, sagte Tino Sorge, gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Ziel müsse es sein, die Produktion in die EU zu holen, bestenfalls direkt nach Deutschland. „Dafür müssen wir Herstellern und Zulieferern einen attraktiven Wirtschaftsstandort bieten“, so Sorge.
Auch die Linkspartei wünscht sich mehr Produktion vor Ort – und zusätzliche staatliche Kontrolle. „Es braucht grundsätzliche Neuregelungen, die den Einfluss der Pharmaindustrie auf unsere Gesundheitsversorgung zurückdrängen“, sagte Linken-Gesundheitsexpertin Kathrin Vogler der Frankfurter Rundschau. Es gebe keine Kontrolle, welche Arzneimittel wie, wo und in welchen Mengen hergestellt werden – dabei finanzierten Steuer- und Beitragszahler einen Großteil der pharmazeutischen Forschung.
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Medikamente fehlen: Branchenverband fordert Abkehr vom „Hauptsache-Billig-Prinzip“
In einem Punkt sind sich alle Akteure im Gesundheitssystem einig: Durch den enormen Kostendruck ist es nahezu unmöglich, in Deutschland zu produzieren. Der Branchenverband Pro Generika fordert unumwunden: „Endlich weg vom Hauptsache-Billig-Prinzip bei Generika und hin zu einem System, das Herstellern den Aufbau von resilienten Lieferketten und einer stabilen Produktion gestattet.“ Unter Generika verstehen Experten Nachahmerprodukte, also Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff, die nach Ablauf des Patentschutzes auf den Markt kommen.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel hatte zuletzt rund 540 Medikamente gelistet, die die Hersteller nicht liefern konnten. Was im Einzelfall verkraftbar ist, kann für bestimmte Gruppen – etwas chronisch Kranke oder Krebspatienten – schnell zum Problem werden. Denn jede Umstellung ist für den Körper eine Herausforderung.
Was also ist zu tun? Wie lässt sich die Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen – auch in einem Umfeld, das aktuell durch Krieg, die Nachwehen der Pandemie und eine Wirtschaftskrise geprägt ist? Immerhin: Schon in ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel das Problem benannt und Vorschläge angekündigt. Passiert ist seitdem aber wenig.
CDU-Gesundheitsexperte: „System der Rabattverträge gehört auf den Prüfstand“
Jetzt macht die Opposition Druck. CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge sieht die Bundesregierung – und damit vor allem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – in der Pflicht. „Minister Lauterbach muss jetzt die schwierige Debatte führen, wie viel Geld uns eine sichere Arzneimittelversorgung wert ist. Europäische Produktion ist deutlich teurer als der Import aus Asien“, sagte Sorge der Frankfurter Rundschau. Seine Forderung: „Das gesamte System der Rabattverträge gehört auf den Prüfstand.“ Zwar habe es in vielen Bereichen sinnvolle Einsparungen bewirkt. Aber: „Der billigste Anbieter ist eben nicht immer der beste“, so der Politiker. Liefersicherheit müsse neben dem Preis ein wichtiges Kriterium werden.
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Noch weiter geht Linken-Fachfrau Vogler. „Die Rabattverträge müssen ganz abgeschafft werden“, sagte sie. Klar ist aber auch: Damit würde ein Instrument zur Kostensenkung im Gesundheitswesen entfallen. Und irgendwer wird die Rechnung am Ende zahlen müssen.