Ministerpräsident lobt bei Landtagsgeburtstag die Demokratie

Weniger eine geschichtsträchtige Rückschau sondern vielmehr ein kritischer und nachdenklicher wie optimistischer und bunter Blick nach vorne: Am Freitag feierte der niedersächsische Landtag sein 75-jähriges Jubiläum
Hannover – Kaum hatte die Coverband „Silver Beatles“ aus Osnabrück zur Eröffnung den Song „Birthday“ ihrer großen Vorbilder aus Liverpool angestimmt, verfielen die meisten der 400 Abgeordneten und Ehrengäste in ein fröhliches Mitklatschen.
Bereits da wurde die Stoßrichtung klar: Die Feier zum 75. Geburtstag des Niedersächsischen Landtags sollte weniger eine staatstragende, geschichtsträchtige Rückschau, sondern vielmehr ein ebenso kritischer und nachdenklicher wie optimistischer und bunter Blick nach vorn werden.
„Es geht jetzt und in der Zukunft darum, unsere Demokratie gegen Anfechtungen zu verteidigen und gegen Gefährdungen zu wappnen“, mahnte Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) am Freitag ihre Zuhörer.
Herausforderungen für die Demokratie
Demokratieverdrosseheit, Legitimationszweifel, der Ruf nach einfachen Lösungen und auch die „komplette Ablehnung der Demokratie durch kleine, aber lautstarke Gruppen“, seien Herausforderungen, denen man sich stellen müsse, betonte die Hausherrin.
„Die Fähigkeit, Demokratie immer wieder neu zu denken und weiterzuentwickeln, hat uns 75 Jahre ein Leben in einer lebendigen Demokratie ermöglicht“, sagte Andretta.
„Ich bin zuversichtlich, dass wir alle Voraussetzungen haben, diese Fähigkeit auch in der Zukunft zu unser aller Wohl zu nutzen.“ Als Symbol für eine neue Offenheit und Bürgernähe saßen angestammte Abgeordnete, ganz junge Menschen und Ehrenamtliche in einem bunten Mix unten im Plenarsaal.

Niemals zuvor hätten in Niedersachsen über einen so langen Zeitraum hinweg ununterbrochen Frieden, Freiheit und wachsender Wohlstand geherrscht
Zu den Überraschungsmomenten zählte der Song „Nothing else matters“ der Rockband „Metallica“ in einer eindringlichen Version für Cello und Akustikgitarre.
In kurzen Videos erinnerten ehemalige Parlamentarier an ihre Zeit im Leineschloss. „Selbst die größten Kritiker müssen anerkennen, dass sie ihre Kritik hier anbringen können und sie anderswo dafür negative Folgen spüren“, zog Ex-Ministerpräsident Christian Wulff eine aktuelle Parallele zu Diktaturen und Unrechtsregimen.
Niemals zuvor hätten in Niedersachsen über einen so langen Zeitraum hinweg ununterbrochen Frieden, Freiheit und wachsender Wohlstand geherrscht, erklärte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). „Nichts davon ist garantiert. Der Regierungschef verwies wie alle anderen Redner auch auf den „entsetzlichen Krieg“ in der Ukraine.
Die Demokratie sei das Beste, was dem Land passieren konnte, so Ministerpräsident Weil
Aber dürfe man angesichts der schrecklichen Bilder dann überhaupt das Landtags-Jubiläum feiern? „Gerade jetzt“, betonte Weil. „Die Demokratie ist das Beste, was unserem Land passieren konnte, das haben jetzt 75 Jahre bewiesen.“
Der Ministerpräsident nutzte seinen kurzen Auftritt, um Verbesserungsvorschläge für künftige Parlamente zu machen. Zwar stelle die Aufteilung in Wahlkreise sicher, dass alle Regionen des Landes auch im Landtag verankert seien.
Gleichwohl könne die Volksvertretung durchaus das Volk auch besser abbilden – mit mehr Frauen, mehr Selbstständigen, mehr Menschen mit Behinderungen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund.

Sympathien für ein Parité-Gesetz
Am Rande des Festakts ließ Weil dann noch Sympathien für ein Parité-Gesetz, dass eine zahlenmäßige Gleichheit von Frauen und Männern in Parlamenten garantieren soll, durchblicken.
„Das gibt es in Frankreich, also könnte es doch auch in Deutschland funktionieren.“ In anderen Bundesländern sind derartige Versuche bislang allerdings an verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert.
Für eine noch radikalere Öffnung der Parlamente sprach sich der Festredner und Publizist Heribert Prantl aus. „Die Demokratie muss näher hin zu den Menschen.“
Neue Methoden für die Konfliktbewältigung
Man brauche neue Methoden der Konfliktbewältigung, nämlich die in der Justiz bewährte Mediation auch in der Politik, forderte der frühere Richter und Autor der „Süddeutschen Zeitung“.
Prantl plädierte insbesondere für mehr plebiszitäre Elemente, also für Volksentscheide. Diese seien das beste Mittel gegen das Gefühl „die da oben machen eh, was sie wollen“.
Die Vorbehalte gegen solche Instrumente fußten auf Märchen. Die Weimarer Republik sei nicht durch eine größere Beteiligung der Bürger, sondern durch die Unfähigkeit der damaligen Parteien untergegangen.
Und: „Volksentscheide gehen nicht immer übel aus.“ So habe die Schweiz nach einem entsprechenden Votum bereits im Jahr 1971 den Umweltschutz in ihrer Verfassung geschrieben, referierte der promovierte Jurist. „In Deutschland kam das erst 1994.“ (Peter Mlodoch)