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Krieg, Giftgas, Menschenrechte: Sollten wir die Fußball-WM in Russland boykottieren?

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Von: Matthias Lohr, Mark-Christian von Busse

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ARCHIV - The official emblem for the 2018 FIFA World Cup is presented on the facade of the Bolshoi Theater in Moscow, Russia, 28 October 2014. EPA/MAXIM SHIPENKOV (zu dpa-Meldung: «FIFA bestätigt: WM-Finale 2018 im Moskauer Luschniki-Stadion» vom 20.03.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
Das Emblem der Fußball-WM 2018 an der Fassade des Moskauer Bolschoi-Theaters. © picture alliance / dpa

Der Konflikt zwischen England und Russland spitzt sich zu: Nach dem Giftgas-Anschlag von Salisbury wird wieder über einen Boykott der Fußball-WM 2018 diskutiert. Ein Pro und Kontra mit Umfrage.

Pro: Sport ist leider auch Politik

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Matthias Lohr

Es gibt genügend Gründe, die Fußball-WM in Russland zu boykottieren. Die Todes-Serie in England ist eine davon. Zwei Menschen (und auch ein Polizist) werden mit einem Kampfstoff vergiftet - und zwar in einer Art und Weise, wie man es nur aus dem tiefsten Kalten Krieg und Spionage-Thrillern kannte. Alle Spuren führen nach Moskau. Sollten sich die Engländer für einen Boykott ihres Nationalteams entscheiden, wäre das nachvollziehbar.

Es gibt jedoch noch viele weitere Gründe, Wladimir Putin zu zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lässt. Der Autokrat in Moskau lässt Verräter, wie er Kritiker nennt, gnadenlos verfolgen. Die russische Mittelstrecklerin Julia Stepanowa, die über das Staats-Doping in ihrem Heimatland auspackte, muss sich an einem geheimen Ort im Westen verstecken, weil sie Angst hat, ermordet zu werden. Andere, die ebenfalls nicht auf Kreml-Linie liegen, verunglücken bei Hubschrauberabstürzen oder erhängen sich.

In Syrien lässt Putin geächtete Massenvernichtungswaffen einsetzen. Die 298 Toten, die 2014 beim Abschuss des Malaysia-Airlines-Flug 17 von Amsterdam nach Kuala Lumpur ums Leben kamen, hat Moskau ebenfalls zu verantworten. Der ukrainische Politiker und ehemalige Profiboxer Vitali Klitschko hat bereits vor Jahren wegen der russischen Politik auf der Krim und in der Ostukraine für einen WM-Boykott plädiert.

Immer wieder gibt es Aufrufe an Verbraucher, keine Produkte von Firmen zu kaufen, die Kinder beschäftigen oder die Umwelt verschmutzen. Nur im Sport soll die Show immer ungestört weitergehen, weil sie mit Politik nichts zu tun habe. Wenn dem so wäre, gäbe es bei Olympia keinen Medaillenspiegel, der die angebliche Überlegenheit des einen oder anderen Systems beweisen soll. Whistleblowerin Stepanowa müsste nicht um ihr Leben fürchten. Und beim WM-Finale säßen keine Staatschefs auf der Tribüne. Sport ist immer auch Politik. Wenn England seine Mannschaft nicht zur WM schickt, sollten wir Menschenrechte darum nicht mit Füßen treten, sondern solidarisch sein.

Was denken Sie: Sollten wir die Fußball-WM in Russland boykottieren? Hier können Sie an unserer Facebook-Umfrage teilnehmen:

Kontra: Boykotte laufen ins Leere

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Mark-Christian von Busse

Boykott? Na klar! Diese Position fällt leicht. Der Anschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und dessen Tochter mit einem Nervengift aus sowjetischer Produktion in einer britischen Kleinstadt wäre – sollte er sicher nachgewiesen werden - nur ein Mosaikstein, der das Gesamtbild von Putins Herrschaft noch kenntlicher macht. Angefangen von den „kleinen grünen Männchen“, die sich angeblich im Urlaub auf ukrainischem Staatsgebiet tummelten und schließlich die Krim heimholten ins russische Riesenreich, während in Sotschi staatsgedopte Sportler den olympischen Fairnessgedanken ad absurdum führten, bis zur bereitwilligen Assistenz des syrischen Schlächters Assad – es gibt wirklich nichts, was man wenige Tage vor der sicheren Wiederwahl des russischen Staatspräsidenten an dessen Regierung sympathisch finden kann: weder neue Interkontinentalraketen noch die antiwestliche Propaganda von Russia Today noch die Repressionen gegen ausländische Stiftungen und Menschenrechtsorganisationen. 

Es ist deshalb richtig, wenn sich EU und Nato zu einer gemeinsamen, klaren Haltung durchringen, die signalisiert: Diese Regierung darf sich nicht alles erlauben. Ein wirksames Mittel wäre, das Kapital einzufrieren, das die Putin nahen Oligarchen ins Ausland geschafft haben. Ein Boykott der Fußball-WM wäre es nicht. Es geht dabei nicht darum, dass Sportler und Millionen Fans um ein Ereignis betrogen würden, auf das sie Jahre hingefiebert haben. Natürlich würde ein Boykott verhindern, dass die russische Regierung sich im Glanze eines Fußballfests ebenso glanzvoll darstellen kann. 

Beeindrucken aber würde es Putin und seinen Clan gewiss nicht. Die Olympia-Erfahrungen der 80er-Jahre lehren, dass Boykotte ins Leere laufen. Wichtiger wäre stattdessen: Während der Weltmeisterschaft genau hinschauen, sich nicht von der staatlichen Regie blenden lassen, sondern auch dorthin zu leuchten, wo die Dinge im Argen liegen – und da, siehe oben, gäbe es einiges zu entdecken.

Es stimmt: Der Sport lässt seine Großereignisse bereitwillig als Bühne politischer Inszenierungen missbrauchen – jüngst wieder in Pyeongchang zu besichtigen. Das ist ein hartnäckiges Problem seiner Weltverbände, des IOC, der Fifa, der IAAF, und dessen Spitzenpersonals. Wenn aber nicht nur das „Schneller, höher, weiter“ im Fokus stehen, sondern eine politische Dimension des Spitzensports in Betracht gezogen werden soll, müsste man so ehrlich sein zuzugeben: Die WM hätte nie nach Russland vergeben werden dürfen, so wie sie nicht nach Katar hätte vergeben werden dürfen und so wie die nächsten Winterspiele nie in Peking stattfinden dürften. 

All diese Staaten haben nichts im Sinn mit rechtsstaatlich-demokratischen Vorstellungen, wie sie etwa in der EU selbstverständlich sind. Wenn der Sport für die Durchsetzung der Menschenrechte in Anspruch genommen werden soll – und so kann man mit guten Gründen argumentieren -, dann müsste man konsequent sein. Dann gäbe es viele Boykott-Anlässe, nicht nur den Giftanschlag von Salisbury.

Die globale Kampagnenorganisation Avaaz hat eine Petition gestartet, die Spieler und Regierungen auffordert, nicht an der Fußball-WM teilzunehmen, solange Russland Syrien bombardiert. Über Nacht wurde sie von mehr als 300.000 Menschen unterzeichnet.

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