Parteien-Geldspritze der GroKo vor Gericht - Nötig oder „völlig willkürlich“?

Während der WM 2018 hat die GroKo die Parteienfinanzierung aufgestockt. Grüne, FDP, Linke und AfD klagen - nun wird es in Karlsruhe ernst.
Karlsruhe/Rheinstetten - Ein politisch brisantes Thema verhandelt am Dienstag und Mittwoch das Bundesverfassungsgericht: Es geht um Fragen der Parteienfinanzierung, die bislang „nicht abschließend beantwortet“ sind, wie Richter Peter Müller es ausdrückte. Im Kern vor allem diese: Durfte der Bundestag den Parteien 25 Millionen Euro pro Jahr mehr genehmigen - mit Verweis auf Ausgaben infolge der Digitalisierung?
Genau das hatten Union und SPD 2018 im Bundestag getan. Die Fraktionen von FDP, Linke und Grüne* zogen deshalb vor das Verfassungsgericht. Ebenso wie die der AfD, die einen eigenen Antrag einreichte. Der Ausgang scheint offen. „Es besteht die Notwendigkeit, verfassungsrechtliches Neuland zu betreten“, sagte Müller sagte am Dienstag beim Auftakt der zweitägigen Verhandlung.
GroKo-Beschluss nun Fall für Verfassungsrichter: Linke argwöhnt über Beschluss während WM 2018
Die Groko hatte den staatlichen Anteil der Parteienfinanzierung um 25 Millionen auf 190 Millionen Euro aufgestockt. Die Summe wird regelmäßig der Preisentwicklung angepasst und liegt in diesem Jahr bei mehr als 200 Millionen Euro. Das Geld kommt nicht nur den im Bundestag vertretenen Parteien zugute, sondern auch kleineren. Um Unabhängigkeit zu gewährleisten darf der staatliche Anteil nicht mehr als die Hälfte der Parteifinanzen ausmachen; andere Einnahmequellen sind etwa Spenden und Mitgliederbeiträge.
Die Fraktionen der schwarz-roten Regierungsmehrheit hatten damals vor allem mit höheren Ausgaben etwa für Datensicherheit, die Moderation interaktiver Internetauftritte und die Abwehr von Hackern argumentiert. Grüne, Linkspartei und FDP zogen nach Karlsruhe, weil sie einen Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien sehen (2 BvF 2/18). Das ungewöhnliche Bündnis hatte in der Oppositionsarbeit immer wieder einmal gemeinsame Sache gemacht.
Die AfD-Fraktion reichte eine Organklage gegen den Bundestag ein, weil die große Koalition das Gesetz in so kurzer Zeit beschlossen hatte, dass keine Zeit geblieben sei, oppositionelle Strömungen in der Bevölkerung zu mobilisieren (2 BvE 5/18). Beide Verfahren werden an zwei Tagen gemeinsam verhandelt. Ein Urteil wird später erwartet.
Ähnliche Vorwürfe erhob am Dienstag auch noch einmal der Linke-Abgeordnete Jan Korte - er verwies auf den Zeitpunkt der Entscheidung: „WM 2006: GroKo erhöht die MwSt. WM 2010: Union & FDP erhöhen Krankenkassenbeiträge. WM 2018: GroKo erhöht staatliche Parteienfinanzierung um 25 Mio. Euro“, twitterte er. „So eine gewisse Ahnung, dass man den Leuten 15% mehr Geld für die Parteien schwer erklären kann, müssen Union & SPD ja gehabt haben.“
Parteienfinanzierung: Grüne fordern Bescheidenheit - Linke rügt „völlig willkürliche“ Erhöhung
Rechtlich ist die Lage komplexer. Das Verfassungsgericht hatte schon 1992 konkretisiert, dass die Obergrenze zwar an die Preisentwicklung angepasst wird, ansonsten aber nur erhöht werden soll, wenn sich die Verhältnisse „einschneidend geändert“ haben. Doch gab es vor 2018 eine solche einschneidende Veränderung? Und wenn ja, schuldet der Gesetzgeber für die Aufstockung eine besondere Begründung? Die Parteien hätten es mit einer „kostenintensiven Dualität“ von analogen und digitalen Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten zu tun, argumentierte vor Gericht nun Dietmar Nietan, der Bundesschatzmeister der SPD.
FDP, Linke und Grüne kritisieren, dass die Begründung nicht ausreiche. Es müsse dargelegt werden, dass die Anhebung inhaltlich gerechtfertigt sei, sagte ihre Bevollmächtigte Sophie Schönberger. Zudem sehen die drei Fraktionen in der Anhebung der Obergrenze einen Verstoß gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit von Parteien und weisen darauf hin, dass die Interessen von Abgeordneten und Parteien eng verflochten seien - das Parlament habe hier praktisch in eigener Sache entschieden. Letzlich stehe „die Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen und ihrer Akteure auf dem Spiel“, argumentierte Schönberger. „Wenn Parteien an Zustimmung verlieren, müssen sie damit klarkommen, das heißt auch mal Strukturen abzubauen und nicht einfach die staatlichen Mittel erhöhen“, sagte die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann.
Es gehe um Transparenz und Nachvollziehbarkeit, sagte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke). Die große Koalition habe mit dem guten Brauch gebrochen, die Finanzierung zwischen allen Fraktionen auszuhandeln, „und völlig willkürlich ohne eine objektive Begründung die Summe angehoben“. Aber als im Bundestagspräsidium für die IT-Sicherheit Zuständige räumte sie auch ein, dass sich in den letzten zwei, drei Jahren einiges geändert habe. So spielten etwa sogenannte Fake News eine große Rolle, auch in anderen EU-Ländern und den USA. Das sei 2018 allerdings nicht Grundlage der Gesetzgebung gewesen.
AfD-Antrag vor dem Verfassungsgericht: Vorwürfe an die Adresse der GroKo
Am Dienstag wurde zuerst über den Antrag der AfD verhandelt. Der Fraktion geht es darum, dass sie durch den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens, das mit neun Werktagen „unüblich verkürzt“ gewesen sei*, in ihren Rechten verletzt worden sei. Ihr Bevollmächtigter Ulrich Vosgerau äußerte mehrmals den Verdacht, es habe eine Art „geheimes Vorverfahren“ gegeben, da beispielsweise die von der Koalition benannten Sachverständigen ihre Gutachten sonst gar nicht so schnell hätten verfassen können.
Die AfD-Fraktion habe sich so nicht ausreichend vorbereiten können. Es sei nämlich Aufgabe der Opposition, im Parlament Bedenken zur Geltung zu bringen und außerdem die Öffentlichkeit gegen die Pläne der Regierung zu mobilisieren, um so künftige Wahlen vorzubereiten, sagte Vosgerau. Aus den Reihen des Gerichts wurden in dem Zusammenhang die Fragen aufgeworfen, ob es die Aufgabe einer Bundestagsfraktion sein könne, „die Straße zu mobilisieren“ und ob es nicht gut sei, sich vor der Gesetzgebung Rat von Sachverständigen einzuholen. Der Bevollmächtigte des Bundestags, Karsten Schneider, argumentierte seinerseits, dass die AfD ihre Rechte auch im Prozess der Gesetzgebung habe geltend machen können. Das habe sie aber nicht getan.
Wegen der Pandemie war die Verhandlung zweimal verschoben und außerdem ausnahmsweise in eine Halle der Messe Karlsruhe im nahe gelegenen Ort Rheinstetten verlegt worden. In dieser „Außenstelle des Bundesverfassungsgerichts“, wie Vizepräsidentin Doris König es formulierte, ist mehr Platz als im eigentlichen Gerichtsgebäude. (dpa/AFP/fn) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.