Militärökonom nennt Zeitpunkt von Putins Niederlage und Ende des Ukraine-Kriegs

Seit über einem Jahr tobt der Ukraine-Krieg. Ein Militärökonom glaubt an eine Niederlage Russlands im Oktober - auch andere Experten äußerten sich.
Zürich/Ukraine/Russland - Noch immer dauert der Krieg in der Ukraine an. Beide Seiten haben schwere Verluste zu beklagen. Der Militärökonom Marcus Keupp aber ist überzeugt, dass Russland im Oktober den Krieg verloren haben wird. Nicht nur erwarte er ab April eine Gegenoffensive der Ukraine mit westlichen Panzern, er erklärte auch, dass „den Russen allmählich Material und Menschen ausgehen.“
Wie er in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung sagte, stützte er sich bei seiner Vorhersage auf Quellen wie die schwedische Verteidigungsagentur FOI oder das International Institute for Strategic Studies (IISS) aus London. Anhand der dort angegebenen Zahlen zu russischen Panzern will er den Zeitpunkt der russischen Niederlage berechnet haben. Für die Verlustrate verwendete er den Oryx-Blog, der laut ihm die „die beste Datenquelle zu russischen Verlusten“ ist - mit Bildern und Videos von der Front würden die Verluste gezählt werden. Bei seinen Berechnungen kam er nun auf „maximal 211 Kriegstage“, für die die „verbleibende Reserve von 1055“ russischen Panzern noch reicht.
Militärökonom sicher: Russland am Ende seiner Reserven
Keupp arbeitet an der Militärakademie der ETH Zürich und bildet dort Berufsoffiziere der Schweizer Armee aus. Er ist skeptisch, was mögliche unerwartete Reserven Russlands angeht: „Was können die Russen übrig haben? Sie haben den Mythos einer angeblichen Wunderwaffe: des Kampfpanzers Armata T-14, den wir bis heute nicht auf dem Kampfplatz gesehen haben“, erklärte er. Und er ist sich ziemlich sicher, dass die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine eine entscheidende Rolle im Kriegsverlauf spielen werden, denn die Leopard-2- und Challenger-2-Panzer könnten „deutlich weiter als russische Panzer schießen und diese daher aus der Ferne eliminieren“.
Weiter führte er aus, wenn man den „Technologieboost bei den Ukrainern sowie die russische Verlustrate und die sich erschöpfenden Ressourcen“ zusammenrechnet, dann „ist eigentlich gar kein anderer Verlauf denkbar als eine russische Niederlage.“ Auf die Frage nach dem Einsatz von Atomwaffen reagierte er überzeugt, dass diese dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nur als psychologische Waffe dienen, die Angst schüren soll - er werde sie aber nicht einsetzen.
Militärökonom prophezeit: China wird keine Rolle im Ukraine-Krieg spielen
Und auch China werde keine große Rolle im Ukraine-Krieg spielen, so Keupp. Schließlich sei der Transport von Waffen nach Russland „logistisch sehr schwierig“, außerdem würden westliche Staaten „diese Züge auch sofort auf den Satellitenfotos sehen und dann sekundäre Sanktionen gegen China verhängen.“ Zuletzt gab es immer wieder Spekulationen, China könnte womöglich Russland militärisch unterstützen. Die chinesische Regierung hat das dementiert.
Was Keupp nicht ausschließen könne, sei, dass private Armeen wie die Wagner-Gruppe den Krieg auch ohne Putin weiterführen würden. In diesem Zusammenhang sagte er auch, es sei „kein Zufall, dass zurzeit in Moskau überall Luftverteidigungssysteme installiert werden. Das ist die Vorbereitung auf interne Auseinandersetzungen.“ Dabei dachte Keupp offenbar daran, dass die Betreiber der Privatarmeen, russische Oligarchen oder Militärs in einem solchen Fall versuchen könnten, Putin zu stürzen.
Russische Propaganda auch in Europa? Militäranalyst kritisiert Deutschland
Auch Europa und Deutschland kritisierte der Militärökonom in dem Interview. Auch dort sei die russische Propaganda „eingesickert“ und überall würden russische Agenten herumlaufen. Wäre der Krieg erst in zehn Jahren ausgebrochen, hätte Deutschland die Ukraine wahrscheinlich nicht mehr unterstützt - zu abhängig wäre man bis dahin von russischem Geld, von russischer Energie gewesen, so die Ansicht Keupps. „Es klingt zynisch, aber zum Glück findet dieser Krieg jetzt statt“, äußerte er sich.
Auf die Frage, ob seine Vorhersage für den weiteren Kriegsverlauf nicht eher Wunschdenken sei, antwortete der Analyst, er habe seine „Einschätzung laufend dem Lagebild angepasst.“ Obwohl es - auch in der Schweiz - riskant sei, sich dem russischen Regime entgegenzustellen, habe er nicht still bleiben können.
Prognosen für eine russische Niederlage im Ukraine-Krieg: Experten-Meinungen gehen auseinander
Mit solchen riskanten Prognosen riskiert Keupp auch seinen Ruf als Wissenschaftler. Was sagen andere Experten zu einem Ende der Kampfhandlungen und dem weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine? Die Meinungen gehen auseinander: Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass kein baldiges Ende des Kriegs in Sicht ist, da der Rückhalt für Putin aus Teilen der russischen Gesellschaft noch zu groß ist - und weil Russlands Präsident die herben Verluste seiner Soldaten einfach hinnimmt. Diese Ansicht vertritt unter anderem der bulgarische Philosoph und Politologe Ivan Krastev, wie in einem Stern-Interview vom Februar zu lesen ist. „Dieser Krieg verschafft vielen Leuten innerhalb des Landes neue Karrierechancen“, sagte er.
Und mit Blick auf die Unterzeichnung eines Friedensvertrags nahm er an: „Über einen Waffenstillstand kommen Konfliktparteien kaum noch hinaus. Das halte ich für das wahrscheinlichste Szenario.“ Das wäre dann „kein richtiger Frieden, sondern eine Pattsituation“.
Andere Experten hingegen teilen die Meinung Keupps und zweifeln nicht daran, dass Putin den Ukraine-Krieg verlieren wird. Der bekannte US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama zum Beispiel ist der Auffassung, dass „Putins Niederlage höchstens eine Frage der Zeit“ ist. Die Kampfmoral der ukrainischen Streitkräfte sei viel höher als die der russischen Soldaten, außerdem sei die Lieferung von westlichen Kampfpanzern an die Ukraine ein entscheidender Faktor, wie Fukuyama in einem Interview mit t-online berichtete. „Ich halte es nicht für unwahrscheinlich“, führte er weiter aus, „dass die ukrainische Armee bis zum Sommer zumindest den südlichen Teil des Landes komplett befreien kann.“
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow selbst hat Anfang März verkündet, er sehe eine reelle Chance für sein Land, den Krieg noch dieses Jahr zu gewinnen. „Ich bin ein Optimist, ich sehe die Situation auf dem Schlachtfeld, ich sehe die Entwicklung der Unterstützung und ich sehe wirklich, dass es eine Chance gibt, diesen Krieg in diesem Jahr mit unserem Sieg zu beenden“, sagte er damals. (ale)