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Er war der ideale Präsident

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Von: Wolfgang Blieffert

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Seit 1953 verheiratet: Richard von Weizsäcker und Ehefrau Marianne (geb. Kretschmann). Beide haben drei Kinder. Ein viertes, ein Sohn, ist 2008 gestorben. © Fotos: dpa, ap

Richard von Weizsäcker ist tot. Der ehemalige Bundespräsident starb gestern im Alter von 94 Jahren. Ein Porträt von HNA-Redakteur Wolfgang Blieffert.

Dieser Artikel stammt vom 15. April 2010 und entstand anlässlich des 90. Geburtstags von Weizsäckers. Bliefferts Einschätzung des Menschen und Politikers ist aber auch heute noch gültig. Zum Tode von Richard von Weizsäcker lesen Sie bitte diesen Artikel.

Artikel vom 15. April 2010:

Leipziger Buchmesse vor wenigen Wochen: Als der alte Herr die Lesung aus dem Buch „Der Weg zur Einheit“ beendet hat, erhebt sich das zahlreich erschienene Publikum und spendet stehend Applaus.

Kein Zweifel: Auch 16 Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit ist Richard von Weizsäcker ein beliebter, ja verehrter Mann. Und für viele bleibt er die Idealbesetzung eines Bundespräsidenten.

DER FREIHERR

Natürlich hatte das stets zu tun mit dem vornehmen Auftreten des Freiherren, seinem eleganten Redestil, dem manchmal monarchisch anmutendem Gestus des Präsidenten, dem Verzicht auf billige Polemik und Kumpelhaftigkeit. Das Amt des ersten Mannes im Staate war Richard Karl Freiherr von Weizsäcker - so sein vollständiger Name -- auf den Leib geschneidert.

DIE AUTORITÄT

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„Ich setz’ mich mal neben Ritchie“: Der (1989 gestorbene) Kabarettist Wolfgang Neuss 1983 in einer Talkshow mit Berlins Regierendem Bürgermeister.

Vor allem aber mochten und mögen die Bürger wohl das Authentische in der Persönlichkeit Weizsäckers, seine Glaubwürdigkeit. Vor allem wenn es um die Nazi- und Kriegszeit ging. „Wir jungen Soldaten verstanden das wenigste und glaubten das meiste“, hat er einmal gesagt, und gerade die ältere Generation konnte sich darin wiederfinden. Weil er aber zugleich darauf beharrte, dass die Politik der jungen Bundesrepublik Konsequenzen aus der Nazi-Barbarei zu ziehen habe, wuchsen ihm Autorität und moralische Stärke zu.

DIE REDE

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Die Rede: Weizsäckers Bekenntnis, der 8. Mai 1945 sei für die Deutschen ein Tag der Befreiung gewesen, findet große Beachtung.

Aus dieser Haltung heraus konnte er 1985 eine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes halten, die im In- und Ausland höchste Beachtung fand. Zwar hatten andere Bundespräsidenten ähnliche Gedanken schon früher (Theodor Heuss) und vielleicht sogar schärfer (Gustav Heinemann) formuliert, aber Weizsäcker gab der Ansprache eine stark persönliche Note und verlieh der Rede so eine selten gekannte emotionale Wucht. Der 8. Mai 1945 sei für die Deutschen kein Tag der Niederlage, sondern ein „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ gewesen, sagte der Bundespräsident. Der 8. Mai und seine Folgen seien zudem untrennbar auf den Beginn der NS-Diktatur 1933 zurückzuführen. Heute, ein Vierteljahrhundert nach der Rede, mögen uns diese Sätze als selbstverständlich erscheinen, damals trafen sie ins Herz einer tief verunsicherten Nation.

DER ERSATZKANZLER

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Distanziertes Verhältnis: Helmut Kohl holte Richard von Weizsäcker in die Politik. Als Kanzler sah sich Kohl später scharfer Kritik des Bundespräsidenten ausgesetzt.

Ihre große Wirkung entfaltete die Rede auch vor dem Hintergrund einer in Teilen unglücklichen Politik seines zeitweiligen Förderers Helmut Kohl. Zum 40. Jahrestag überredete der Kanzler US-Präsident Ronald Reagan zum Besuch eines Soldatenfriedhofes in Bitburg. Dass dort auch Waffen-SS-Männer ihre letzte Ruhe gefunden hatten, löste eine kleinlich-peinliche Kontroverse aus. Wie wohltuend dagegen die große Rede Weizsäckers und der daraus folgende ernsthafte Diskurs.

Das Verhältnis ging spätestens da in die Brüche. Dabei war es Kohl, der Weizsäcker für die Politik gewonnen und sich für ein Bundestagsmandat des Quereinsteigers stark gemacht hatte. Aber der liberale Konservative und höchst eigenständige Denker Weizsäcker gewann im Bundestag schnell Profil und emanzipierte sich von seinem einstigen Mentor. Und in gewisser Weise stieg Weizsäcker sogar zu einem moralischen Ersatzkanzler auf.

DER PARTEIENKRITIKER

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Hilfsverteidiger bei den Nürnberger Prozessen: Richard von Weizsäcker und sein angeklagter Vater Ernst, einst Staatssekretär in Hitlers Außenministerium.

Das wurde nach der deutschen Einheit noch deutlicher. Weizsäcker trat - in deutlichem Gegensatz zum Kanzler - für ein behutsameres Zusammenwachsen von Ost und West ein. Zum offenen Streit kam es, als er 1992 die deutschen Parteien rügte, die vor der Wahl machtversessen und nach der Wahl machtvergessen seien. Das zielte vor allem auf den Machtmenschen Helmut Kohl.

Für diese Kritik ist Weizsäcker aus der Politik gerügt worden, weil er selbst sein Amt genau diesen Parteien verdankte. Die Bürger mit ihrer immer stärker empfundenen Parteienverdrossenheit fühlten sich dagegen gut vertreten. Bis heute. Denn Weizsäcker zeigte stets, dass Macht und Moral keine Gegensätze sein müssen.

Lebenslauf

Von Wolfgang Blieffert

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