Bäckereien gehen insolvent? Habeck redet sich bei „Maischberger“ in einen Shitstorm

Robert Habeck erklärt bei „Maischberger“ die Folgen der Energiekrise - und gerät mächtig ins Trudeln. „Ich versteh‘s nicht“, sagt die Moderatorin.
Berlin – „Es wird ein harter Winter, es wird ohne Frage politisch anspruchsvoll werden. Es wird Zumutungen geben - mindestens preisliche - für die deutsche Bevölkerung“, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck. Der Grüne spart im ARD-Talk „Maischberger“ nicht mit unangenehmen Wahrheiten. Überschattet werden seine Botschaften aber von einer überaus unsouverän wirkenden Passage – die tags darauf sogar Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) bei der Generaldebatte im Bundestag Munition liefert.
Seit dem letzten Besuch des Ministers in der Sendung hat sich die Welt dramatisch verändert. Vor sechs Monaten, am Vorabend des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine, saß der Minister zum Interview in der Polit-Talkshow. Nun erinnert er sich an selber Stelle „an den Kloß im Hals“, den er damals verspürt habe: Er sei wenige Stunden zuvor bereits von US-amerikanischen Sicherheitsdiensten über die kommende Invasion informiert worden, ein „historischer Moment“, so Habeck.
„Maischberger“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Robert Habeck (Grüne) - Wirtschaftsminister, Vize-Kanzler
- Christian Wulff (CDU) - ehemaliger Bundespräsident
Als Experten:
- Petra Gerster - ehemalige „heute“-Moderatorin, sitzt im Beirat der E.ON-Stiftung
- Melanie Amann - Leiterin des Hauptstadtbüro des Spiegel
- Wolfram Weimer - Publizist, Gründer der Weimer Media Group
Habeck trägt - wie damals - schwarze Krawatte. Inzwischen sind die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in Deutschland angekommen. Habeck sitzt nun in der Sendung, um seine Politik in der schwersten Energiekrise in der Geschichte der Bundesrepublik zu rechtfertigen. Leicht macht es ihm die Moderatorin nicht. Doch je hartnäckiger Maischberger nachhakt, desto selbstbewusster will Habeck seinen Kurs verteidigen und spart dabei auch nicht mit Kritik - ohne Namen zu nennen - am bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und an Koalitionspartner Christian Lindner (FDP), vor allem in Sachen Atomkraft.
Robert Habeck kündigt eine Energiereform zur neuen Preisberechnung an
Auch Experte und Herausgeber Wolfram Weimer spricht sich in der Expertenrunde für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke aus, mit der zehn Millionen Haushalte weiter versorgt werden könnten. Doch Habeck macht klar, wer im Streit um mögliche Laufzeitverlängerung die Hosen anhat und am längeren Hebel sitzt: „Ich bin verantwortlich für die Energiesicherheit in Deutschland!“ Er mahnt: „Es sind Atomkraftwerke, das ist kein Spielzeug“, sondern eine „Hochrisiko-Technologie“. Stattdessen kündigt er den Ausbau risikoloser Energieformen an.

In diesem Zusammenhang verteidigt der Minister seine geplante Energiereform, die zum Ziel habe, die Preisberechnung des Energiemarktes in Europa neu zu veranschlagen, damit die „Preissignale auch bei den Endkunden“ ankämen.
Habeck droht dem liberalen Ampelpartner indirekt: Wenn es keine Mehrheit für seinen Plan innerhalb der Koalition gebe, „dann wird das Gesetz nicht geändert und dann endet der Laufzeitbetrieb Ende des Jahres“. Maischberger übersetzt das noch mal für die Zuschauer: „Das heißt: Sie sagen Herrn Lindner: ‚Entweder stimmst du mir zu, dann darfst du noch ein bisschen weiter laufen, vielleicht im Notbetrieb - ansonsten wird abgeschaltet.’“ Habeck verhehlt seine Strategie nicht: Die von Lindner angestoßene Debatte zur Preisregulierung durch Atomkraft sei die falsche, befindet er. Die Atomkraft spiele bei der Preisgestaltung eine „minimale Rolle“. Viele wichtiger sei es, den Energiemarkt grundsätzlich zu reformieren, dies solle europaweit erfolgen.
Habeck bei „Maischberger“: Insolvenzen, Bäckereien - und eine ratlose Moderatorin
Auch für Markus Söder, der bei Maischberger am Mittwoch zum Gespräch geladen ist, hat Habeck eine Nachricht im Gepäck. Bayern, so Habeck, sei im Gegensatz zu seinem Heimatland Schleswig-Holstein ein Land, das den Netzausbau blockiert habe: „Und das rächt sich jetzt!“ Im Norden würden die Leute nun sagen: „Wieso bauen wir eigentlich Strom-Leitungen für den Süden? Behalten wir das Zeug doch hier!“, plaudert Habeck daher. Und weiter: „Dann kommen die ganzen Fabriken zu uns und wir sind das Baden-Württemberg oder das Bayern der Zukunft!“
„Erwarten Sie eine Insolvenzwelle am Ende des Winters?“, will Maischberger wissen. Der Minister kommt ins Trudeln, verneint zunächst, sagt dann: „Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren.“ Als Beispiel für seine These nennt Habeck Blumenläden, Bioläden und Bäckereien, weil diese Läden „darauf angewiesen sind, dass die Menschen Geld ausgeben“. Solche Betriebe hätten dann wirkliche Probleme, weil es eine Kaufzurückhaltung gebe. „Dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.“
Wirtschaftsminister irrlichtert durch Insolvenzdebatte: Pleite aber nicht am Ende? Maischberger hakt nach
Maischberger blinzelt und fragt irritiert nach. „Wenn ich aufhöre zu verkaufen, dann verdiene ich kein Geld mehr, dann muss ich die Insolvenz anmelden...“. „Man würde dann insolvent werden, wenn man mit der Arbeit immer größeres Minus macht“, erklärt Habeck. „Ja, aber wie wollen Sie denn kein größeres Minus machen, wenn Sie Leute bezahlen, aber nichts mehr verkaufen? Also, wie soll man... Ich hab‘s nicht verstanden“, gibt Maischberger dem Wirtschaftsminister die Gelegenheit zu einem neuen Anlauf.
Doch besser wird es für den Grünen nicht. „Ich weise darauf hin, dass es nicht automatisch eine Insolvenzwelle geben muss, aber es kann sein, dass sich bestimmte Geschäfte nicht mehr rentieren und eingestellt werden“, sagt Habeck. Eventuell würden sie dann später aber wieder aufgenommen werden. Auf diese Gefahrenlage müsse die Politik reagieren.
Nicht nur bei Maischberger bleiben Fragezeichen: „Also die sind dann pleite, weil sie nicht mehr arbeiten können, aber melden nicht Insolvenz an? Also ich glaube, diesen Punkt muss man sich tatsächlich nochmal überlegen...“, meint die Moderatorin noch vergleichsweise milde. Beruhigungspillen verteilt Habeck indes auch nicht: Anders als bei Corona, als die Politik entschieden habe, alle Kosten zu tragen, sei diese Entscheidung „noch nicht gefällt“, fasst er zusammen und merkt noch an: „Das war enorm teuer…“
Christian Wulff: Das Jahr 2022 wird in die Geschichtsbücher eingehen
Den Stand der Gasspeicher beziffert der Wirtschaftsminister derzeit mit rund 86 Prozent. Wenn es gelinge, den deutschen Gasverbrauch in diesem Winter um 20 Prozent zu senken, „könnte es unter dieser Voraussetzung klappen, mit Anspannung, aber nicht mit Verzweiflung in den Winter zu gehen.“ Auch für Energielieferungen an Frankreich sei dann genug Gas vorhanden.
Im nächsten Winter werde die Situation dann schon entspannter, äußert sich Habeck überraschend zuversichtlich und entgegen der Einschätzung anderer Experten, darunter auch Bundesnetzagentur-Chef Müller. Habeck sagt: „Wenn wir diesen Winter überstehen, wird es danach leichter werden“. Er prognostiziert, dass man durch die „Ausweitung des Stromnetzes“, das „Hochlaufen von erneuerbaren Energien“ und die „neuen Terminals“ bereits die Hälfte bis zwei Viertel der verlorenen Energie durch Alternativen ersetzen könne.
Ex-Bundespräsident Christian Wulff sitzt unterdessen entspannt im Sessel und gibt im Plauderton Denkanstöße: „Ich wäre heute ein anderer Bundespräsident“, erklärt er. Wulff sieht in dem laufenden Jahr ein historisches: „Das Jahr 22 wird später in den Geschichtsbüchern eine zentrale Bedeutung haben, wie die Welt darauf regiert, wo sie nachgibt und wo sie steht.“ Er ruft zu einer uneingeschränkten Solidarität der westlichen Welt mit der Ukraine auf, „mit allen unseren Möglichkeiten“. Außerdem müsse die EU gemeinsam mit US-Präsident Biden und weiteren westlichen Staatschefs sowie Chinas Staatschef Xi Jinping, die Konfliktparteien zu diplomatischen Verhandlungen zusammenbringen. Damit „man alle Dinge auf den Tisch bringt, die den einen oder anderen beschweren, um zu Lösungen zu kommen“.
„Wir brauchen ja eine friedliche Koexistenz“, so Wulff, „denn wenn Putin mit seiner Strategie Erfolg hat“, werde das „Infragestellen von Grenzen“ und einer „regelbasierten Ordnung“ zu „Krieg in der ganzen Welt“ führen.
Fazit des „Maischberger. Die Woche“-Talks
Robert Habeck gab ungeschminkt Einblicke in die Problematik, aber auch in die Möglichkeiten, die die Krise als Chance zum Wandel mit sich bringt. Die Mahnungen und Erklärungen von Christian Wulff wirkten erhellend. (Verena Schulemann/fn)