„Der Kühlschrank siegt über den Fernseher“: Unterstützung für Putin lässt wohl nach

Über Sanktionen kommt der Ukraine-Krieg immer mehr im Alltag der russischen Bevölkerung an. Die Zustimmung für Putin und die Invasion könnte schwinden.
Moskau – Je stärker die russische Bevölkerung den finanziellen Druck durch die Sanktionen spürt, desto geringer der Glaube an die Kreml-Propaganda über den Ukraine-Krieg – das ergibt eine Umfrage einer unabhängigen Moskauer Forschungsgruppe. Obwohl restriktive Gesetze die Kritik an der Regierung sowie der „militärischen Spezialoperation“ im Nachbarland unter Strafe stellen und die öffentliche Unzufriedenheit nach wie vor unterdrücken.
Dennoch betonte das russische Forschungsprojekt Chronicles, seine Umfrage unter 1600 Personen sei repräsentativ und gebe ein wahrheitsgetreues Stimmungsbild wieder. Um die Befragten nicht zu verängstigen, sei nach einer allgemeinen Unterstützung gefragt wurden – die Bedeutung von „Unterstützung“ habe man dabei vage formuliert und auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern überlassen.
In Russland stehen die Menschen immer weniger hinter dem Ukraine-Krieg
Dem zugehörigen Bericht zufolge wurden die Russinnen und Russen unter anderem gefragt, ob sie der Meinung sind, dass öffentliche Gelder eher für die Armee anstelle für Soziales ausgegeben werden sollten. Weiter sei nachgehakt worden, ob man einen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine zur Aufnahme von Friedensgesprächen unterstützt würde – selbst wenn Moskau dann nicht die erklärten militärischen Ziele erreichen würde.
Die Umfrage, die zwischen dem 2. und 9. Februar durchgeführt wurde, ergab, dass etwas mehr als ein Fünftel der Befragten (22 Prozent) „Kernbefürworter“ des Krieges sind. Etwas weniger (20 Prozent) fielen in die Kategorie „zentrale Kriegsgegner“. Die Fehlermarge lag bei 3 Prozent.
Bei der Frage, ob sie aufgrund des Krieges mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert waren, verringerte sich die Zahl der erklärten „Befürworter“ um etwa 8 Prozent. Bereits im vergangenen Dezember zeigte eine Analyse der Moscow Times eine schwindende Zustimung für die russische Invasion.
Kritik am Ukraine-Krieg: Oppositioneller rief Forschungsprojekt ins Leben
„Wir sehen, dass die Menschen immer ärmer werden und dass das Einfluss darauf hat, wie sie den Krieg sehen“, sagte der russische Oppositionspolitiker Aleksej Miniailo im Gespräch mit Newsweek. Gemeinsam mit einem Team von Soziologinnen und Soziologen rief Miniailo das Projekt Chronicles ins Leben. Es sei nun endlich die Zeit gekommen, „in der der Kühlschrank über den Fernseher siegt“ – eine in Russland gebräuchliche Redewendung, die den Lebensstandard mit der staatlichen Propaganda in Relation setzt.
„Sie denken kritisch, wenn sie sehen, dass das Fernsehen mehr lügt als sonst, und das macht die Menschen kritisch gegenüber anderen Dingen. Sie sind also weniger zufrieden mit dem, was passiert“, sagte Miniailo. Die russische Bevölkerung fange an, die Politik Wladimir Putins „zu hinterfragen.“
Trotz der strengen Sanktionen des Westens zeigt sich die russische Wirtschaft infolge verschiedener Maßnahmen augenscheinlich einigermaßen widerstandsfähig. Analystinnen und Analysten erwarten allerdings, dass die Folgen immer stärker zu spüren sein werden. Erst ein Ende des Ukraine-Kriegs könnte dem wirtschaftlichen Druck – wenn auch sehr langsam – nach und nach ein Ende setzen. (nak)