Novum in der Geschichte der Republik
AfD ermöglicht politisches Beben in Thüringen - Ministerpräsident Ramelow verpasst Wiederwahl
Es ist eine Entwicklung, deren Schockwellen weit über Thüringen hinaus zu spüren sein werden: Gut dreieinhalb Monate nach der Landtagswahl ist der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden.
- Die Wahl zum Ministerpräsident von Thüringen endet mit einer Überraschung.
- Bodo Ramelow verliert sein Amt - Nachfolger wird Thomas Kemmerich von der FDP.
- Der Sieg des Freien Liberalen wurde durch Stimmen von CDU und AfD möglich.
Erfurt - Politisches Beben in Thüringen: Bei der Wahl zum Ministerpräsidenten ist der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Regierungschef gewählt worden. Er setzte sich bei der Abstimmung am Mittwoch im Landtag in Erfurt im entscheidenden dritten Wahlgang auch mit Stimmen von CDU und der AfD von Parteichef Björn Höcke gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch.
Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme (unser Ticker mit allen Entwicklungen).
Thüringens neuer Ministerpräsident: Entscheidung im dritten Wahlgang
Die Entscheidung zwischen Kemmerich und Ramelow fiel denkbar knapp aus. Auf den bisherigen Regierungschef entfielen 44 Stimmen, Kemmerich erhielt eine Stimme mehr. Es gab eine Enthaltung. Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sagte im Anschluss im MDR: „Das ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wurde.“
Thomas Kemmerich (Portrait von Merkur.de*) ist erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik. Der liberale Politiker Reinhold Maier war von 1945 bis 1952 Ministerpräsident von Württemberg-Baden und dann von April 1952 bis September 1953 Regierungschef des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg. Zu Kemmerichs Wahl äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel jedoch mit ungewohnt drastischen Worten*. Sie stellt nun eine deutliche Forderung.
Dabei hatte die Thüringer FDP den Einzug ins Parlament bei der Landtagswahl 2019 nur äußerst knapp geschafft und die Fünf-Prozent-Hürde um gerade mal 73 Stimmen übersprungen. Bodo Ramelows angepeiltes Bündnis von Linke, SPD und Grünen* verfügte nach dem Urnengang nur noch über 42 von 90 Mandaten im Landtag. Christdemokraten und Liberale hatten kategorisch ausgeschlossen, mit der von Fraktionschef Björn Höcke geführten AfD zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kommen die drei Fraktionen auf 48 Sitze.
Thüringen-Wahl: Thomas Kemmerich (FDP) erst ab Runde drei dabei
Bodo Ramelow hatte eigentlich eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung* in Thüringen unter seiner Führung angepeilt. Wegen der fehlenden Mehrheit hatte auch die AfD mit dem parteilosen Kindervater einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. Nachdem Ramelow in den beiden ersten Wahlgängen die absolute Mehrheit verfehlt hatte, warf Kemmerich gemäß den Regularien im dritten Wahlgang ebenfalls seinen Hut in den Ring - ein bereits im Vorfeld denkbares Szenario*, das schließlich Realität werden sollte.
Im Netz kursieren zahlreiche Postings, welche die „Zusammenarbeit“ zwischen FDP und AfD spitzfindig aufs Korn nehmen. Beispielsweise ein Vorschlag, das Logo der FDP ein wenig umzumodeln:
Schon über ein Rebranding nachgedacht, @fdp? #Thüringen pic.twitter.com/zoYhZP3KNO
— ZDF heute-show (@heuteshow) February 5, 2020
Viel drastischer beurteilen andere User die jüngste Entwicklung in Thüringen. Politiker wählen kritische Worte angesichts der Tatsache, dass sich der Freie Liberale Kemmerich mit Hilfe der AfD ins Amt des Ministerpräsidenten gehievt hat:
Ich schätze Thomas #Kemmerich persönlich. Ich verstehe seinen Wunsch, #Ministerpräsident zu werden. Sich aber von jemandem wie #Höcke wählen zu lassen, ist unter Demokraten inakzeptabel & unerträglich. Es ist daher ein schlechter Tag für mich als Liberale. #Thüringen #Thueringen
— Marie-Agnes Strack-Zimmermann (@MAStrackZi) February 5, 2020
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen:
— Jens Clasen (@jenshealthde) February 5, 2020
Die Partei, die in #Thueringen bei der Wahl 2019 die 5-Prozent-Hürde um nur 73 Stimmen überwunden hat, stellt nun den Ministerpräsidenten.
Das ist doch Bürgern nicht mehr als Demokratie zu vermitteln.
Landesregierung Thüringen: Vertrag von Linke, SPD und Grüne hinfällig
Naturgemäß wird auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner von der Kritik nicht ausgenommen:
Denken wir neu. #Thüringen pic.twitter.com/mTn283L1jp
— Oğuz Yılmaz (@oguz) February 5, 2020
Nach der perfiden Wahl zum Ministerpräsidenten hagelt es auch aus dem politischen Spektrum Kritik aus der ganzen Republik. Der neue Amtsinhaber wird von einer Linken-Politikerin mit einer Geste diskreditiert.
Ramelow war seit 2014 Regierungschef des Freistaats und der erste Ministerpräsident der Linken in Deutschland. Doch obwohl seine Partei mit 31 Prozent die Wahl im Herbst 2019 klar gewonnen hatte, ging die Mehrheit der bisherigen Regierung von Linke, SPD und Grünen verloren. Am Dienstag hatten die drei Parteien bereits einen neuen Regierungsvertrag unterschrieben.
PF/dpa
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