Anti-Putin-Partisanen attackieren Russland - darunter wohl gefürchteter Neonazi, der in Deutschland aufwuchs
Russische Partisanen kämpfen offenbar im Westen Russlands gegen das Putin-Regime. Einer ihrer Anführer soll ein führender Kopf der europäischen Neonazi-Szene sein.
Belgorod - Ein „Spionage- und Sabotagetrupp“ ist am Montag (22. März) von der Ukraine aus in russisches Gebiet eingedrungen. Es brachen Kämpfe mit Artillerie und Mörsergranaten aus, die bis jetzt anhalten. Acht Menschen wurden laut Behördenangaben verletzt, die meisten Bewohner flohen offenbar oder wurden evakuiert.
Für sich reklamiert haben die Angriffe im äußersten Westen Russlands zwei russische Freiwilligenkorps, die im Ukraine-Krieg auf der Seite Kiews kämpfen. Ziel sei, eine demilitarisierte Zone entlang der Grenze zu schaffen, um den ständigen Beschuss ukrainischen Territoriums zu verhindern, hieß es von ihnen. Die ukrainische Regierung dementierte eine direkte Beteiligung.
Konkret stecken hinter den Angriffen auf russisches Grenzgebiet laut einem Bericht des russischen Nachrichtenportal Meduza zwei russische Organisationen, die von der Ukraine aus operieren: die Legion „Freiheit für Russland“ und der „Russische Freiwilligenkorps“ an. Was steckt hinter diesen Gruppen?
Legion „Freiheit für Russland“: Russische Überläufer kämpfen auf Seite der Ukraine
Die Legion „Freiheit für Russland“ wurde laut einem Bericht von Radio Free Europe im März 2022 gegründet, kurz nach Wladimir Putins Invasion in die Ukraine. Sie soll aus russischen Soldaten bestehen, die nicht für die Ziele des Kreml in der Ukraine kämpfen wollten und deshalb auf die Seite der Ukrainer überliefen. Laut ihrem Manifest sehen sie sich als „freie Bürger“, die für ein „neues Russland“ ohne Putin kämpfen wollen.
Mittlerweile soll die Legion aus bis zu vier Bataillonen mit bis zu 4000 russischen Kämpfern bestehen. Sie soll vor allem in der Artillerie kämpfen und ist offenbar auch in der seit Monaten umkämpften Stadt Bachmut im Einsatz.
Der politische Repräsentant der Legion, Ilja Wladimirowitsch Ponomarjow, erklärte nach den Attacken in Belgorod, es sei die Aufgabe der Russen, diesen Krieg zu beenden, indem sie Putins Regime beenden. „Es ist nicht fair, wenn Ukrainer für unsere Freiheit ihr Blut vergießen.“
„Russische Freiwilligenkorps“: Sammelbecken für in die Ukraine geflohene Neonazis
Das „Russische Freiwilligenkorps“, das ebenfalls für die Angriffe auf russisches Gebiet verantwortlich sein soll, ist ebenfalls als Reaktion auf Putins Angriff auf die Ukraine entstanden, und zwar im August 2022, etwa ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn. Anders als in die Legion „Freiheit für Russland“ besteht die Gruppe aber offenbar aus ultrarechten russischen Nationalisten und Neonazis.
Laut dem Russland-Experten und Journalisten Michael Colborne flohen einige extrem rechte Putin-Gegner bereits vor rund zehn Jahren von Russland in die Ukraine. In dieser Zeit habe der Kreml damit begonnen, hart gegen die rechten Extremisten vorzugehen, weil er diese immer mehr als Bedrohung wahrnahm.
Details über die rechtsextreme Einheit schilderte Colborne im Podcast des Nachrichtenmagazins Meduza. Demnach handelt es sich bei ihrem Anführer um den russischen Neonazi Denis Kapustin, der sich auch Denis Nikitin nennt. Mit dem „Russischen Freiwilligenkorps“ wollte Kapustin offenbar nach Kriegsbeginn ein Sammelbecken für ultrarechte Russen gründen, die gegen die Ukraine-Invasion und gegen Putin kämpfen wollen.
Russischer Neonazi Denis Kapustin wuchs in Köln auf
Kapustin ist laut Colborne in Moskau aufgewachsen, wo er sich in der rechten Fußball-Hooligan-Szene radikalisierte. Anfang der 2000er Jahre ging er mit seiner Familie nach Köln - wohl ausgerechnet im Rahmen eines Visa-Programms für Menschen mit jüdischem Hintergrund.
In Deutschland war Kapustin dann offenbar unter gewaltbereiten Hooligans des 1. FC Köln aktiv und lernte bald, neben Englisch auch fließend Deutsch zu sprechen. Bald vernetzte er sich international und avancierte er zu einem der führenden Köpfe der europäischen Neonazi-Szene. Er gründete 2018 das bekannte Neonazi-Bekleidungslabel „White Rex“. Außerdem organisierte Kampf-Veranstaltungen und Nazi-Festivals, unter anderem den „Kampf der Nibelungen“ vor etwa 600 rechten Anhängern im sächsischen Ostritz.
Kapustin glaubt an weiße Vorherrschaft
Wegen seiner Aktivitäten wies Deutschland Kapustin im Jahr 2019 aus, auch den Schengen-Raum darf er seither nicht mehr betreten, schreibt der Nachrichtensender ntv in einem Bericht. Schon seit 2017 soll er jedoch in der Ukraine gelebt haben.
Nach Putins Invasion in die Ukraine positionierte er sich wegen seines Hasses gegen das Putin-Regime schnell auf die Seite der Ukraine, so Colborne gegenüber Meduza. Ideologisch sei Kapustin ein Anhänger der Idee der weißen Vorherrschaft und hat sich laut Colborne wiederholt abwertend gegenüber russischen Minderheiten geäußert.
Wie viele Exilrussen in der Ukraine sich seinem Freiwilligenkorps angeschlossen haben, ist unklar, es sind jedoch wohl einige Dutzend. Auch, ob sie unter dem Kommando der ukrainischen Armee kämpfen, ist nicht eindeutig. Die Ukraine bekennt sich nicht zum „Russischen Freiwilligenkorps“, profitiert jedoch auch von ihren Aktionen, da sie helfen, das Putin-Regime zu verunsichern und könnte sie daher zumindest dulden.
Kapustin war schon im März 2023 in einem Video aufgetaucht, als das „Russische Freiwilligenkorps“ offenbar in die russische Grenzregion bei Bryansk eingedrungen war und dort eine Schießerei startete.
Auch bekannter russischer Nationalist offenbar bei Angriffen in Belgorod dabei
Bei den jüngsten Angriffen soll auch der bekannte russische Nationalist Alexei Levkin dabei sein, der ebenfalls dem russischen Freiwilligenkorps angehören soll. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass erschien er in einem Video, das das Korps am 22. Mai veröffentlichte und das angeblich auf einem Feld in Belgorod gedreht wurde.
Levkin steht laut Meduza auf der Fahndungsliste Russlands. 2018 wurde er in Abwesenheit wegen „Gründung einer extremistischen Gruppe“ und „Anstiftung zu Hass oder Feindschaft“ angeklagt.
Reaktionen aus Russland auf Attacken in Belgorod
Das russische staatliche Ermittlungskomitee hat wegen der Kämpfe in der westlichen Grenzregion mittlerweile ein Strafverfahren wegen Terrorismus eingeleitet. Ermittelt werde derzeit wegen Terrorismus, versuchten Mordes sowie versuchter Tötung von Sicherheitsbeamten, der mutwilligen Zerstörung von Eigentum und illegalen Waffen- und Sprengstoffbesitzes, heißt es in einer Pressemitteilung der Behörde. Schuld an den Angriffen seien „Vertreter ukrainischer Militärverbände“.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte vor Journalisten, die Angriffe seien „Anlass zu großer Sorge“, da „ukrainische Kämpfer“ ihre „Aktivitäten gegen unser Land“ fortsetzten. (smu mit Material von dpa)