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Putin hinter Gittern: So kann er wegen des Ukraine-Kriegs bestraft werden

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Wladimir Putin ist ein Verbrecher. Das zu beweisen, ist aber nicht einfach. Wir klären für Sie die wichtigsten Fragen zu einer möglichen Strafverfolgung.

Marburg/Köln – Wladimir Putin ist schuldig. Dem Satz dürften die meisten Menschen nach einem Jahr russischer Invasion in der Ukraine zustimmen. Doch um das auch nachzuweisen, bedarf es einer lupenreinen juristischen Aufarbeitung. Seit Kriegsausbruch werden Beweise für eine Strafverfolgung gesammelt und Szenarien durchgespielt, wie der russische Machthaber zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Einfach ist das nicht, eine mögliche Verurteilung könnte sogar rechtliches Neuland sein.

Doch wofür könnte Wladmir Putin überhaupt angeklagt werden? Am vielversprechendsten ist momentan eine Anklage auf Grundlage des Aggressionsverbrechens, auch bekannt als das Verbrechen des Angriffskrieges. Es ist eine Verletzung der Charta der Vereinten Nationen und automatisch ein Leadership-Crime, ein typisches Verbrechen der Staatsspitze. Es könne somit nur von der zentralen politischen und militärischen Führung begangen werden, sagt Professorin Stefanie Bock vom Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA.

„Das nachzuweisen ist viel einfacher und offensichtlicher als Putin wegen Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu bringen“, sagt Bock. Hinzu kommt: „Das Aggressionsverbrechen ist in diesem Fall Wurzel allen Übels. Alle Kriegsverbrechen, alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die wir in der Ukraine sehen, sind darauf zurückzuführen, dass es überhaupt zu dieser Aggression gekommen ist“, konstatiert die Völkerrechtlerin.

Ukraine-Krieg: Wie kann Wladimir Putin angeklagt werden? Mehrere Vorschläge kursieren

Kurzum, die UN-Charta sieht vor, dass kein Land das andere zu überfallen hat. Angriffskriege sind verboten und daher kann der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht nur wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch wegen des Aggressionsverbrechens tätig werden. Bereits heute hätte man aller Wahrscheinlichkeit nach ausreichend Beweislast, um den Kreml-Chef wegen dieses Verbrechens vor Gericht stellen zu können, meint Bock.

Warum macht man es also nicht? Der Internationale Strafgerichtshof ist in seiner Kompetenz in diesem Fall sehr stark eingeschränkt. Denn er kann das Verbrechen der Aggression nur verfolgen, wenn der Staat, von dem die Aggression ausgeht, das Statut des internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert hat. Russland hat das nicht. Umgangen werden könnte das, indem der UN-Sicherheitsrat den internationalen Strafgerichtshof damit beauftragt. Was Russland als ständiges Mitglied jedoch mit seinem Vetorecht sehr wahrscheinlich blockieren würde.

Womit man bei der Frage ist: Wer könnte überhaupt wegen des Ukraine-Kriegs Anklage gegen Putin erheben? Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), selbst Expertin für Völkerrecht, schickte Anfang des Jahres gleich zwei Vorschläge ins Rennen. Der erste ist die Bildung eines internationalen Sondertribunals, basierend auf ukrainischem Recht und ergänzt durch internationale Elemente. Also ein extra Strafgericht, um die russische Aggression anklagen zu können. Auch Kiew arbeitet seit Monaten an der Bildung eines internationalen Sondertribunals nach dem Vorbild der Nürnberger-Prozesse. Die zweite, und unwahrscheinlichere, Möglichkeit ist die mittelfristige Reformierung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, wie Baerbock es ebenfalls vorschlug. Wie realistisch dieser Umbau tatsächlich ist, ist jedoch fraglich.

Menschen gehen in Barcelona an einem Werk des italienischen Straßenkünstlers TvBoy vorbei, das den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Gefängnis zeigt.
Menschen gehen in Barcelona an einem Werk des italienischen Straßenkünstlers TvBoy vorbei, das den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Gefängnis zeigt. © JOSEP LAGO/AFP

Sondertribunal für russische Führungsriege: UN-Resolution wäre völkerrechtliches Neuland

Denn dafür müsste der Internationale Strafgerichtshof so verändert werden, dass das Aggressionsverbrechen besser geahndet werden können. Das sieht Expertin Bock kritisch. Nur wenige Staaten hätten die Vorschriften zur Aggression überhaupt ratifiziert. „Ein Sondergerichtshof ist auf den ersten Blick völkerrechtlich der einfachere Weg. Die Ukraine hat unbestreitbar das Recht, den Angriffskrieg strafrechtlich zu ahnden, der gegen sie als Land geführt wird“, sagt Bock. Jedoch gebe es an der hybriden Variante Baerbocks mehrere Schwachstellen. Zum einen die Frage, ob der angegriffene Staat objektiv und neutral richten kann. Hinzu kommen die Immunitäten. Nach dem Troika-Prinzip können Staatschef:innen, Regierungschef:innen und Außenminister:innen, die absolute Immunitäten genießen, nicht vor nationalen Gerichten angeklagt werden. Jedoch vor internationalen Gerichten, wie dem Internationalen Strafgerichtshof. Ein Sondertribunal müsste also so international konzipiert werden, dass es sich über absolute Immunitäten hinwegsetzen kann.

Das ist schwierig. Denn zwar gab es Fälle, bei denen der UN-Sicherheitsrat die Immunitäten aufhob, so geschehen bei den von ihm eingesetzten Tribunale zu Jugoslawien und Ruanda. Das geht bei Russland aber nicht, weil der UN-Sicherheitsrat durch das Russland-Veto nicht handlungsfähig ist. Möglicherweise könnte dies durch eine Resolution der UN-Generalversammlung gelöst werden – aber das wäre völkerrechtliches Neuland, meint Bock. Aber auch wenn das „Wie“ noch viele Fragen offen lässt, soll bereits jetzt eine Art Sonderermittler Beweise für das Aggressionsverbrechen sammeln. So kündigte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Einsetzung eines „internationalen Zentrums für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression in der Ukraine“ in Den Haag an.

Russlands Krieg gegen Ukraine: Expertin hält internationalisiertes Tribunal für wahrscheinlichsten Weg

Trotz aller Hürden ist für Expertin Stefanie Bock ein internationalisiertes Tribunal für die Strafverfolgung des Aggressionsverbrechens am wahrscheinlichsten. Auch, wenn kaum jemand sich aktuell tatsächlich vorstellen kann, Putin auf einer Anklagebank zu sehen, ist Stefanie Bock überzeugt: „Wir haben so viel Unrealistisches im Völkerstrafrecht erlebt. Als die ersten völkerstrafrechtlichen Bemühungen im Zweiten Weltkrieg begannen, hat niemand damit gerechnet, dass wir eines Tages in Nürnberg landen würden. Wir haben vor zehn Jahren nicht erwartet, Mitglieder des Assad-Regimes in Koblenz auf der Anklagebank zu sehen oder dass deutsche Gerichte Verantwortliche für den Völkermord an den Jesiden zur Verantwortung ziehen werden.“

Unwahrscheinlich ist eben nicht unmöglich, besonders im Völkerstrafrecht. Allein solche Überlegungen, um die Schuld Wladimir Putins zu beweisen, sind eine Anerkennung des Unrechts, das er der Ukraine antut. So festgehalten in Kapitel eins, Artikel 2.4 der Vereinten Nationen: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Das bislang bedeutendste Zeichen sendete der Internationale Strafgerichtshof jedoch am Freitag (17. März): Er erließ Haftbefehl gegen den russischen Machthaber wegen seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Ukraine. Gegen Putin sei wegen der „unrechtmäßigen Deportation“ ukrainischer Kinder nach Russland Haftbefehl ergangen, erklärte das Gericht. Offenbar gelang es dem IStGH also, die Befehlskette bis zu Putin nachzuweisen – im Falle von anderen Verbrechen war dies bislang nicht möglich. Alle 123 Mitgliedsstaaten sind damit verpflichtet, Folge zu leisten und ihn nach Den Haag auszuliefern, sollte Putin ihr Land betreten. Der Bewegungsradius von Wladimir Putin ist um einiges enger geworden.

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