Böhmermann veröffentlicht NSU-Akten - CDU sieht keine Relevanz für Opfer
Böhmermann veröffentlicht die NSU-Akten. Diese belasten den Verfassungsschutz. Die CDU sieht die Pressefreiheit überschritten.
Update vom Sonntag, 30. Oktober, 09.10 Uhr: Das Team um Böhmermann sorgte mit der Veröffentlichung der NSU-Akten für einigen Wirbel in der deutschen Politiklandschaft. Die Partei Die Linke, hatte kurz nach Bekanntwerden der Veröffentlichung, die Echtheit der Dokumente bestätigt. Mit der Landesregierung, die in Hessen aus Grünen und CDU besteht, gingen sie zu dem hart ins Gericht: „Es ist beschämend für die schwarzgrüne Landesregierung, dass sie nicht der Petition von über 130.000 Menschen auf Aktenfreigabe gefolgt ist“, so der Landtagsabgeordnete Felstehausen am Samstag (29. Oktober).
„Die Glaubwürdigkeit der beteiligten Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern hängt maßgeblich davon ab, ob sie nach all den Jahren und nach den Aufklärungsbemühungen zahlreicher Untersuchungsausschüsse endlich die Gesamtzusammenhänge erklären können“, reagierte die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Irene Mihalic, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) auf die Veröffentlichung. Sie kündigte zudem an, das Versprechen nach einer „rückhaltlosen Aufklärung“ nun einlösen zu können.
NSU-Akten: In Hessen sieht die CDU die Pressefreiheit überschritten und sieht keine Relevanz für die Opfer
SPD, FDP und AfD äußerten sich bisher nicht öffentlich zu den Akten, wie die Hessenschau berichtet. Sehr wohl hat sich allerdings die hessische CDU in Form von Holger Bellino geäußert. Der hessische CDU-Frontmann bewertet die Veröffentlichung demnach wie folgt: „Auch die Pressefreiheit hat ihre Grenzen und diese hat Jan Böhmermann meines Erachtens überschritten.“

Für Bellino hätten die Akten keine Relevant für die Hinterbliebenen der NSU-Morde. Nach der Entscheidung, dass die Akten 30 Jahre unter Verschluss bleiben sollen, hatten Hinterbliebene eben diese Freigabe gefordert. „Warum Jan Böhmermann diese Grenze überschritten hat, erschließt sich mir nicht“, so Bellino in einer Stellungnahme. Inhaltlich ging er weder darauf ein, dass die Böhmermannredaktion schützenswerte Namen und anderes von sich aus geschwärzt hat, noch äußerte sich der CDU-Mann zum eigentlichen Inhalt der Akten.
Böhmermann veröffentlicht NSU-Akten: Verfassungsschutz nimmt Sendung „zur Kenntnis“
+++ 15.30 Uhr: Nachdem Leak der NSU-Akten durch Jan Böhmermanns Politshow „ZDF Magazin Royale“, ist auch der hessische Verfassungsschutz auf den Sachverhalt aufmerksam geworden, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schreibt. Die Behörde habe die Sendung „zur Kenntnis genommen“, äußerte sich aber nicht zum Inhalt der veröffentlichten Akten.
Die veröffentlichten Dateien würden aktuell vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz geprüft werden, heißt es weiter.
Update vom Samstag, 29. Oktober, 11.50 Uhr: „Ja, die Akten sind echt“, sagte der Landtagsabgeordnete Thorsten Felstehausen auf Anfrage der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. „Die Akten wurden offensichtlich wörtlich abgeschrieben und inhaltsgleich veröffentlicht. Die Schwärzungen wurden offensichtlich von der Redaktion vorgenommen“, so der innenpolitische Sprecher der Partei Die Linke weiter.
Dass die Freigabe nicht durch die Landesregierung, sondern dass es „mal wieder Leaks durch Investigativ-Journalist:innen braucht“, findet Felstehausen „beschämend“. „Endlich kann die Öffentlichkeit sich ein eigenes Bild davon machen, wie der sogenannte ‚Verfassungsschutz‘ über Jahre mit Hinweisen auf rechten Terror umgegangen ist.“
Erstmeldung vom Samstag, 29. Oktober: Wiesbaden – Zwischen den Jahren 2000 und 2007 tötete der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) neun Menschen in Deutschland. Die Ermittlungsakten des hessischen Verfassungsschutzes sollten in Form der NSU-Akten eigentlich 120 Jahre unter Verschluss bleiben. Nach öffentlichem Druck wurde die Frist dann auf 30 Jahre verkürzt, wie das ZDF schreibt.
In der Politshow „ZDF-Magazin Royal“ wurden am Freitag (28. Oktober) nun die vermeintlichen NSU-Akten aus Hessen veröffentlicht. Gemeinsam mit der Organisation „Frag den Staat“ hat Jan Böhmermann und sein Team eine Website eingerichtet, auf der die Akten einsehbar sein sollen.
NSU-Akten: Jan Böhmermann setzt um, was über 130.000 forderten
Auf dem Deckblatt der von Jan Böhmermann veröffentlichten Unterlagen heißt es, dass dies der „Abschlussbericht zur Aktenprüfung im LfV Hessen Im Jahre 2012“ sein soll. Im Briefkopf der vermeintlichen NSU-Akten steht das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen.
Wir glauben, die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, was genau in jenen Dokumenten steht, die ursprünglich für mehr als ein Jahrhundert geheim bleiben sollten
In einer Petition hatten zuletzt über 130.000 Menschen die Freigabe der NSU-Akten gefordert. Die langen Verschlusszeiten der Akten werden im Petitionsschreiben als „zutiefst fragwürdiges und undemokratisches Instrument“ bezeichnet. Eine Veröffentlichung lehnte das Land Hessen jedoch ab, indem es die Petition abwies.
Verfassungsschutz in der Kritik: Jan Böhmermann veröffentlicht NSU-Akten
Die Arbeit des Verfassungsschutzes stand in der Vergangenheit mehrfach in der Kritik. Nicht nur im Fall des NSU, sondern auch in Verbindung mit dem Mord an Walter Lübcke. Der Mörder des Regierungspräsidenten aus Kassel, war vom Verfassungsschutz bereits seit 2015 nicht mehr überprüft worden, wie es auf der Website der veröffentlichten Akten heißt.
Wozu braucht es ein „Frühwarnsystem”, wenn es nicht mitbekommt, dass Neonazis jahrelang unerkannt Menschen erschießen und Bombenanschläge verüben?
Die Entscheidung, die NSU-Akten unter Verschluss zu halten, wurde noch im Mai 2021 von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) verteidigt, so das ZDF. Eine Veröffentlichung könnte die weitere Arbeit des Verfassungsschutzes gefährden, hieß es damals von dem CDU-Mann.
Waffen und Neonazis: Was wusste der Verfassungsschutz?
Doch was steht nun in den scheinbar brisanten Akten? Das Recherchenetzwerk Exif – Recherche und Analyse hat die 173 Seiten des von Jan Böhmermann veröffentlichten Dokuments in Augenschein genommen. In der Zusammenfassung des Netzwerks heißt es: „Etwa 40 % des Inhalts bezieht sich auf Waffen- und Sprengstoffbesitz von Neonazis.“ Der Verfassungsschutz selbst schreibt in den Akten: „Es überwogen eindeutig Hinweise auf einen möglichen Waffen- oder Sprengstoffbesitz von Rechtsextremisten.“
In erster Linie würde der Bericht die Fehler in der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes nahelegen, heißt es weiter. Die Behörde soll über eine Reihe von Informationen über schwerbewaffnete Rechtsextreme in Hessen verfügt haben, ohne aktiv einzugreifen, so die erste Analyse von Exif. (Lucas Maier)