Der Spielbegleiter: Schiedsrichter Thorsten Reuter ist nun zu alt für die Gruppenliga

Nicht nur Fußballspieler können absteigen, auch Schiedsrichter. Eine Mannschaft wird aus einer Liga geworfen, weil ihre Leistung schlecht war, ein Schiedsrichter muss eine Liga wegen seines Alters verlassen.
Mengeringhausen – Weil Thorsten Reuter seit einem halben Jahrhundert auf der Welt ist, muss er nach dieser Saison aus der Gruppenliga absteigen, obwohl er dort gute Leistungen zeigt und fit ist. „Vor zwei Wochen bin ich in Berlin noch einen Halbmarathon gelaufen“, erzählt der Mengeringhäuser, der morgen in Wolfhagen seine letzte Gruppenligpartie leitet.
Er zeigt eigentlich nur kurz Unverständnis über diese Entscheidung – „Leistung und Fitness sollten auch belohnt werden“ – dann schiebt er seine Gefühle zu diesem Thema schnell beiseite und wechselt auf die rationale Seite: „So sind die Regeln und die akzeptiere ich natürlich.“
Was soll der zweifache Familienvater jetzt auch anderes sagen, schließlich hat er diese Einstellung 25 Jahre lang auch von den Fußballern verlangt, die nach seiner Pfeife tanzen mussten. Diese Formulierung würde der 50-jährige vermutlich gern streichen, denn er sieht seine Rolle auf dem Fußballfeld nicht als Oberbefehlshaber an, nicht einmal als Spielleiter, sondern eher als Spielbegleiter.
Jedes Spiel beginnt an der langen Leine
„Die Fußballer sollten immer die wichtigsten Personen auf dem Spielfeld sein, nicht der Schiedsrichter.“ Für ihn beginnt daher jedes Spiel damit, dass er die Kicker an der langen Leine hält, ob diese dann im Verlauf der 90 Minuten immer kürzer wird, liegt an ihnen selbst.
Wenn Reuter morgen in Wolfhagen abpfeift, wird er sein 1398 Fußballspiel als Schieds- und Linienrichter beenden. Er hat in den 25 Jahren, die er als Schiri auftritt, vieles mitgeschrieben. So zückte er 52 Mal die Rote Karte , 94 Mal Gelb-Rot und 2078 Mal Gelb. „Statistik macht mir Spaß“, sagt Reuter zu so viel Liebe zum Detail.
Und die Zahlenreihe kann er ja weiterführen, denn der Maschinenbaukonstrukteur pfeift ja weiter, halt nur auf den Waldecker Sportplätzen. „Ich freue mich darauf, denn dort treffe ich viele Bekannte wieder“, erzählt er, aber eigentlich ist sein Ehrgeiz für einen Rückzug noch viel zu groß. Er bereut, dass er damals nicht früher zur Pfeife gegriffen hat. „Für die Hessenliga war ich ja dann schon zu alt.“ Er hat als Jugendlicher lieber selbst Fußball gespielt, statt eine Schiri-Karriere anzustreben.
Beim Schiedsrichtern auch viel fürs Leben gelernt
Das Pfeifen auf Sportplätzen habe ihm auch allgemein fürs Leben einige Eigenschaften gelehrt. „Den Gerechtigkeitssinn sollte jeder schon in sich tragen, aber durch das Schiedsrichtern habe ich sicheres Auftreten gelernt, sich behaupten können, sich an Regeln zu halten und sich selbst zu organisieren.“ Ja sogar für seine politische Arbeit als FWG-Fraktionschef im Arolser Stadtparlament hilft ihm die Referee-Rolle. „Ich setze mich gern für die Schwächeren ein und ein Spieler, der gefoult wird ist nichts anderes.“
Kein Freund vom Larifari-Sonntagskick
Für Reuter ist schiedsrichtern mehr als nur Pfeifen. „Ich freue mich tierisch, über ein gutes Fußballspiel oder über schönes Tor.“ Er erinnert sich an die Partie vor einigen Tage in Wabern. „Als ein Spieler einen Eckball direkt verwandelt hatte, hätte ich ihm am liebsten applaudiert, aber ich muss ja unparteiisch bleiben.“ Dennoch findet Reuter einen Weg, auch dieses Gefühl auf dem Platz auszuleben. „Ich bin an ihm vorbeigelaufen und habe ihm für diesen Sonntagsschuss gratuliert.“
Während der Mengeringhäuser das Gefühl hat, die Spieler begegneten ihm heute freundlicher als noch vor 20 Jahren, - „vielleicht liegt das aber auch an meinem Alter“ - seien Zuschauer eher respektloser geworden. „Ich denke bei uns im Waldecker Raum Kreis geht es noch recht ruhig zu.“ Vereinzelt gebe es aber jene Typen, die meinten sie zahlten hier drei Euro Eintritt und könnten schreien was sie wollten, aber niemand habe einen Freibrief darauf.
Reuter durfte sich sein letztes Gruppenligaspiel aussuchen. Er wählte die Partie SV Wolfhagen gegen SG Calden, weil die Wolfhager an diesem Tag hätten aufsteigen können, aber sie haben diese Chance nun verspielt. Es geht hier um nichts. „Ich liebe Spiele, in denen es um was geht, so ein Larifari-Sonntagskick kann dazu führen, dass man als Schiedsrichter auch schlechter pfeift, weil man sich quasi dem Spielniveau anpasst.“
Wenn der 50-Jährige in der kommenden Saison nur noch im Kreis unterwegs sein wird, verliert er auch seine Assistenten an der Seitenlinie. Ist sein Job dann nicht schwieriger, vor allem bei Abseitsentscheidungen? Reuter stimmt dem zu. „Ich muss in der nächsten Saison wohl den einen oder anderen Meter mehr laufen.“
Dass der Schiedsrichtermangel in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird, bereitet Reuter Sorgen. Er selbst arbeitet dagegen an, indem er seiner Zunft die Treue hält. Aber wie weit geht die? Will er auch noch mit 70 Jahren auf dem Platz stehen? – „Ja, warum denn nicht!“ rsm