Abschied von der Stimme des Auestadions

Diese Stimme wird Kassel fehlen. Im vergangenen September war sie das letzte Mal im Auestadion zu hören, nun ist sie endgültig verstummt. Mit Charly Wimmer, der am 4. Mai im Alter von 78 Jahren gestorben ist, verliert nicht nur der KSV Hessen, sondern auch die Stadt ein echtes Urgestein. Eine Ikone.
Die Sprecherkabine war zuletzt mehr als 30 Jahre sein zweites Wohnzimmer gewesen. Dort hat er Zuschauer über das Mikrofon sachlich und kenntnisreich informiert, dort hat er auch abseits der Lautsprecher mal geschimpft und nicht selten seine Meinung gesagt. Doch vor allem wegen seiner menschlichen und humorvollen Art wird er den Löwen-Anhängern in Erinnerung bleiben.
Es gibt so viele Geschichten mit und um Charly Wimmer, die man erzählen muss. Zum Beispiel die, wie er zu seinem Vornamen kam. „Als ich in der zweiten Klasse war, starb der bekannte Sportreporter Charly Wimmer vom Bayerischen Rundfunk. Seitdem benannte mich mein Lehrer nach ihm – der Spitzname war perfekt“, sagte Wimmer vor drei Jahren im HNA-Interview anlässlich seines 75. Geburtstages.
Denn eigentlich wurde er als Helmut Wimmer kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges geboren. In Wilhelmshöhe zu Hause, entwickelte sich bereits 1951 seine Liebe zum Fußball. Und seine Liebe zum KSV. Zunächst jubelte er als Fan dem 1954er-Weltmeister „Gala“ Metzner zu, um dann in der Jugend selbst für seinen Klub alle Stationen zu durchlaufen. Mehr als 1000 Einsätze wurden es am Ende für seine Löwen, doch eine Partie blieb besonders in Erinnerung. „Das war 1966, als es in Köln um die Deutsche Amateurmeisterschaft ging. Wir haben 4:1 geführt, dann kam ein Gewitter, und am Ende ging es 4:4 aus. Das Rückspiel verloren wir dann leider mit 0:2“, erinnerte sich Wimmer im Interview 2020.
Und es gibt eben die Geschichte, die seine aktive Karriere bestens abrundete. Damals sagte er: „Das ist natürlich echt schon ein Ding gewesen, dass ich in meinem letzten Spiel für den KSV mit 53 Jahren noch einmal getroffen habe.“ 1998 war das, als der Verein gerade wieder frisch gegründet wurde und Wimmer beim 4:1-Pokalsieg gegen den ESV Jahn Kassel das erste Tor der Löwen nach dem Neustart beisteuerte. Das ist nun fast genau 25 Jahre her. Damals half er ein letztes Mal aus, weil kaum einer zur Verfügung stand. Nach einem Anruf von Holger Brück sagte er zu.
Charly Wimmer, der verheiratet war sowie einen Sohn und zwei Enkelkinder hinterlässt, hatte eine Lehre als Bankkaufmann absolviert und war später dann beim Arbeitsamt in Kassel tätig. Aber der Fußball blieb immer seine Leidenschaft. So war er nicht nur Jugend- und Amateurtrainer, sondern auch sieben Jahre Abteilungsleiter beim einstigen KSV, der 1993 in Konkurs ging. Aber auch von solchen Rückschlägen ließ er sich nicht stoppen und agierte als Vizepräsident beim neu gegründeten FC Hessen.
Den meisten Anhängern wird Charly Wimmer dann aber doch als Herr über die Aufstellungen im Gedächtnis bleiben. Tausende von Namen musste er fehlerfrei über die Lippen bekommen. „Am schönsten fand ich es aber, einen Zuschauer auszurufen, der gerade Vater geworden ist. Gut erinnern kann ich mich auch noch daran, dass ich mich nach einem Spiel für die miserable Leistung der Mannschaft über mein Mikrofon entschuldigt habe. Das war zu Zeiten des FC Hessen und nach einer heftigen Niederlage gegen den SV Lohhof“, sagte Wimmer anlässlich der Neueröffnung des Auestadions 2010.
Zum letzten Mal waren seine Worte im weiten Rund beim Hessenderby gegen Kickers Offenbach zu hören. In der Halbzeit wurde er verabschiedet, fortan übernahm Klaus Bachmann die Moderation. Dann ist es ruhiger geworden um den Mann, der als Inbegriff eines nordhessischen Originals galt. Ganz leise wurde es nun am 4. Mai 2023, als Charly Wimmers markante Stimme für immer verstummte.