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Hilfe für sieben Löwinnen: KSV Hessen Kassel unterstützt ukrainische Turnerinnen

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Von: Frank Ziemke, Maximilian Bülau

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Die Mädchen des Aelita-Teams.
Die Mädchen des Aelita-Teams. © privat/nh

Sieben ukrainische Turn-Mädchen haben einen Traum: Ende März an am Weltcup im bulgarischen Sofia teilzunehmen. Der KSV Hessen unterstützt sie dabei.

Die Bitte um Hilfe kommt per Telefon. Thomas Althoff meldet sich in der Redaktion. Der 58-jährige Kasseler erzählt eine Geschichte aus dem Krieg in der Ukraine. Sie handelt von sieben jungen Mädchen aus Kiew, denen das Turnen Halt gibt.

Von Training in unbeleuchteten Hallen und U-Bahn-Stationen. Vom Traum einer Reise zum Weltcup in die bulgarische Hauptstadt Sofia Ende März. Von der Suche nach Unterstützung. Die Folge dieses Gespräches: Löwen helfen nun kleinen Löwinnen.

Die Löwen spenden 2500 Euro

„Es geht mir vor allem darum, den Kindern zu helfen. Die Blicke auf das Leid dieser Kinder zu lenken“, sagt Althoff. Der Diplom-Ingenieur kennt die Geschichte der Turnerinnen durch eine langjährige Bekannte in der Ukraine. Svitlana Tkachenko heißt sie, ist Managerin der Mädchen-Riege, die in der Sportart Ästhetische Gruppengymnastik Vizemeisterin der Ukraine wurde und sich damit für den Weltcup qualifizierte. „Sämtliche Strukturen sind zerbrochen. Es ist kein Geld da. Selbst eine vergleichsweise kleine Summe kommt nicht zusammen“, sagt Althoff.

Eines der Mädchen, das im Dunkeln mit ein paar Kerzen in einer unbeheizten Sporthalle trainiert.
Eines der Mädchen, das im Dunkeln mit ein paar Kerzen in einer unbeheizten Sporthalle trainiert. © privat/nh

Unsere Zeitung nimmt Kontakt mit Svitlana Tkachenko in Kiew auf. Und wir wenden uns an den Fußball-Regionalligisten KSV Hessen Kassel, der im vergangenen Jahr bereits eine Trikotversteigerung für die Ukrainehilfe organisiert hatte und mit einem Mitarbeiter an die Grenze gefahren ist.

Dessen Vorstandsmitglied Jens Rose sagt: „In solch fürchterlichen Zeiten hat der Sport eine andere Bedeutung. Er kann Ablenkung und etwas Lebensfreude schenken.“ 2500 Euro spenden die Löwen nun, um sieben Mädchen ihre Reise zu ermöglichen. Die Kosten für die Fahrt nach Sofia sowie für dringend benötigte Ausrüstung sollen bezahlt werden.

Die Mädchen trainieren nun härter als je zuvor

Als wir Svitlana Tkachenko per Telefon erreichen, gibt es nur eine kurze Begrüßung. Dann unterbricht sie das Gespräch und möchte erst einmal etwas loswerden. „Seit die Mädchen wissen, dass sie einen Sponsor für die Reise bekommen, trainieren sie härter als jemals zuvor. Ihre Augen leuchten. Danke!“

Die 47-Jährige hatte uns bei der Terminabsprache gesagt, sie sei immer erreichbar. 24 Stunden, sieben Tage in der Woche. Ob sie genug Schlaf bekommt in dieser schweren Zeit? „Ja, klar“, antwortet sie lachend. „Aber ich liebe es, aktiv zu sein.“

Svitlana Tkachenko Managerin
Svitlana Tkachenko Managerin © Privat

Die jungen Turnerinnen trainieren ohne Heizung und Strom

Tkachenko ist jemand, dem man allein nach einem kurzen Telefonat wohl das Prädikat „Sonniges Gemüt“ verleihen würde. Was insofern bemerkenswert ist, als dass es derzeit in der Ukraine schwerfallen wird, positiv zu bleiben. „Wir erinnern uns gut an den Anfang des Kriegs“, sagt sie. Tkachenko lebt in Kiew.

„Als die russischen Soldaten der Stadt in den ersten Tagen des Kriegs nahegekommen sind, wussten wir nicht, ob wir den nächsten Morgen erleben“, berichtet sie. Es war die Zeit, in der auch rund um die Hauptstadt viel zerstört wurde. Seitdem haben die sieben Mädchen, die Ende März mit Zug und Bus nach Sofia fahren werden, in dunklen, kalten Sporthallen trainiert. Keine Heizung, kein Strom. Ein paar Kerzen vertrieben die völlige Schwärze.

„Bis vor etwa einem Monat ging das so. Aber es wird besser. Wir haben viel Hilfe aus Europa erhalten, Generatoren bekommen“, erzählt Tkachenko.

Seit einem Jahr träumt jede ukrainische Familie, wenn sie zu Bett geht davon, unversehrt aufzuwachen. Die ukrainischen Kinder haben gelernt, einen Tag nach dem anderen zu leben und ihre Träume nicht auf Eis zu legen. Diese Kinder haben den Glauben an das Gute nicht verloren.

Svitlana Tkachenko

„Manche Väter sind an der Front, andere in Kiew“

Trainiert haben Oleksandra, Sofiia, Karyna, Kateryna, Veronika, Olha sowie Oleksandra mit ihrer Trainerin Anna Bezrodna dennoch, teilweise drei, vier Stunden am Tag. „Wenn der Wettkampf nun näher rückt, wird es noch mehr“, berichtet Tkachenko. „In diesem Sport sind Wiederholungen enorm wichtig. Alles muss synchron sein, sie müssen eins werden“, erklärt die Managerin, die selbst Mutter eines der Mädchen ist.

Während des Krieges wurden schon jetzt mehr als 200 ukrainische Sportler und Trainer getötet, mehr als 250 Sportstätten im ganzen Land zerstört. Die Mädchen aus Kiew hatten noch Glück, ihre Sportschule wurde nur beschädigt. Ein Elternteil verloren haben die 13- bis 16-Jährigen bislang nicht. „Manche Väter sind an der Front, andere in Kiew. Alle arbeiten für die Armee. Auch ich und die Mädchen. Wir knüpfen zum Beispiel Netze für die Soldaten“, sagt Tkachenko. Ihr eigener Mann ist Soldat auf Abruf. Jeden Tag könnte der Anruf kommen, der ihn an die Front zwingt.

Anna Bezrodna Trainerin
Anna Bezrodna Trainerin © Privat

Die Reise nach Sofia als kurze Zeit des Durchatmens

Es ist beinahe ein Wunder, wie positiv Tkachenko, die in einer Kommunikations-Agentur arbeitet, bei all dem Leid bleibt. „Wir hoffen, dass der Krieg in diesem Jahr endet. Es ist kein Krieg gegen Russland, sondern gegen eine Person, Putin. Wir warten auf den Sieg“, sagt sie. Die Reise nach Sofia, die sie nun Ende März antreten können, wird für alle eine kurze Zeit des Durchatmens sein, auch Tkachenko kommt mit. Sie fährt mit einer Gruppe von Freunden, wie sie sagt, die sich aber auch mal streiten. „Es sind alles Mädchen in einem gewissen Alter“, erzählt sie lachend. „Aber sie sind stark. Es sind alles Löwinnen.“ Die nun Hilfe von den Löwen aus Kassel erhalten.

PS: Am Tag, an dem dieser Artikel entsteht, hagelt es russische Bomben auf Kiew. Svitlana Tkachenko schickt ein Video von brennenden Autos. Und sie schreibt: „Bomben in der Nacht. Aber die Mädchen gehen zum Training.“ (Frank Ziemke und Maximilian Bülau)

Die Sportart

Die sieben Mädchen des Aelita-Teams aus der Ukraine betreiben Ästhetische Gruppengymnastik. Die Sportart ist relativ jung, es gibt sie seit etwa 25 Jahren, eine Weltmeisterschaft fand erstmals 2000 statt. Olympisch ist sie nicht. Ästhetische Gruppengymnastik hat sich aus der finnischen Frauengymnastik entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Tanzen, Gymnastik, und Ästhetik. Beweglichkeit, Balance, Koordination und Rhythmusgefühl sind wichtig. Besonders populär ist die Sportart in Finnland, Estland und Bulgarien. Die Athleten führen in flüssiger Folge Bewegungen – harmonisch, rhythmisch und dynamisch – aus. Es soll so wirken, als würde jede neue Bewegung aus der zuvor heraus entstehen. Eine Gruppe besteht aus sechs bis zehn Wettkämpferinnen.

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