„Muss ein bisschen mehr Zug rein“: Michael Allendorf vor letztem Heimspiel für die MT Melsungen im Interview

Sein letztes Heimspiel in seiner Karriere bestreitet Michael Allendorf heute für den Handball-Bundesligisten MT Melsungen. Gegner ist sein früherer Klub HSG Wetzlar. Wir hatten Allendorf zum Redaktionsgespräch zu Gast.
Kassel - Das letzte Saison-Heimspiel des Handball-Bundesligisten MT Melsungen heute ab 19.05 Uhr (Livestream bei Hessenschau.de und bei Sky) gegen die HSG Wetzlar ist zugleich das letzte Heimspiel in der Karriere von Linksaußen Michael Allendorf. Der 35-Jährige beendet nach dieser Serie seine Karriere und übernimmt bei der MT eine Aufgabe im Management. Wir hatten Allendorf zum Redaktionsgespräch zu Gast.
Haben Sie heute schon die neue MT-Hymne gehört?
Heute noch nicht, aber in letzter Zeit schon einige Male. Sie geht ins Ohr und ist auf jeden Fall gelungen.
Ist der Song das Beste, was von der MT Melsungen in dieser Saison kam?
Nein, das Beste war die Verpflichtung von Roberto Garcia Parrondo als neuen Trainer. Er ist ein moderner Trainer, der das Handball-Spiel verstanden hat, der genau weiß, worauf er zu achten hat und worauf die Spieler achten müssen. Er hat einen guten Charakter, ist ein großer Motivator und besitzt zudem ein umfangreiches taktisches Wissen. Diese Kombination findest du nicht oft.

Inwiefern haben Sie sich in dieser Serie mehr mit dem Spanier ausgetauscht als die Teamkollegen?
Ich habe ihm geholfen, hier anzukommen. Wir hatten schon mehr Berührungspunkte.
Wie viel Frust schleppen Sie zurzeit mit sich herum?
Schon viel angesichts der Niederlagenserie. Die Leistungen sind frustrierend, egal, welche Begleitumstände es gibt, und wie sich die Verletztensituation darstellt.
So haben Sie sich Ihre letzte Saison sicher nicht vorgestellt. Wie oft denken Sie schon daran, dass nach dieser Woche die aktive Karriere beendet ist?
Eine ganze Zeit war es nicht so. Jetzt ist es allerdings schon im Kopf angekommen. Ich habe mir natürlich erhofft, dass ich meine Laufbahn mit Siegen, einer guten Stimmung, einer guten Platzierung beende. Danach sieht es nicht aus.
Seit 17, 18 Jahren sind Sie in der Bundesliga tätig. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Es gibt sicher das eine oder andere, was ich mir noch gewünscht hätte. Ein großes Ziel war immer, ein großes Turnier mit der Nationalmannschaft zu spielen. Aber DHB-Auswahl und Michael Allendorf, das hat nicht so richtig gepasst. Ich kann aber auf eine schöne Karriere zurückblicken.
Was waren die Höhepunkte während Ihrer Melsunger Zeit als Spieler?
Über allem steht meine lange Zeit bei der MT. Es ist nicht selbstverständlich, solange bei einem so ambitionierten Verein unter Vertrag zu stehen. Als ich nach Melsungen kam, spielten wir um den Klassenerhalt, vor wenigen Zuschauern und praktisch ohne eigene Jugendabteilung. Die Entwicklung des Vereins in all den Jahren ging bis zu Platz vier in der Bundesliga, Europapokalteilnahme und Deutsche Meisterschaft in der Jugend. Und ich durfte ein Teil davon sein. Das macht mich am meisten stolz.
Das war die Zeit, als Sie mit Johannes Sellin eine starke Flügelzange gebildet haben.
Daran erinnere ich mich gern zurück. Das fing damals schon in der Vorbereitung an. Da hatten wir einen Wettstreit, wer als Erster an der Mittellinie ist und den Gegenstoß-Pass bekommt. Ich hatte nach der Saison 2015 214 Tore und er etwa 150.
Die größte Enttäuschung?
Ich hätte mit der MT sehr gern einen Titel gewonnen. 2021 in Hamburg waren wir so nah dran wie noch nie. Dass es nicht geklappt hat, war sehr bitter.
Und die letzten Jahre?
Es ist kein Geheimnis, dass ich ein vertrauensvolles Verhältnis zu Michael Roth hatte. Ansonsten waren wir 2016 Vierter, haben es dann aber nicht geschafft, uns da zu etablieren. Es ging gefühlt eher einen Schritt zurück als nach vorn.
Hintergrund: Buntes Programm zum letzten Heimspiel
Handball-Bundesligist MT Melsungen wird nach dem Spiel heute gegen die HSG Wetzlar insgesamt acht Spieler verabschieden: neben den Profis Michael Allendorf, Yves Kunkel, Silvio Heinevetter, Marino Maric, Alexander Petersson und Tobias Reichmann noch die Talente David Kuntscher und Rohat Sahin. Traditionell werden die MT-Aufsichtsratsvorsitzende Barbara Braun-Lüdicke und Vorstand Axel Geerken die Verabschiedungen vornehmen. Dazu erwarten die Spieler einige Überraschungen.
Die Fans können sich zudem auf ein buntes Programm freuen – mit Gewinnspielen. Getränke gibt es nach der Partie zum halben Preis.
Sie sind am längsten dabei. Weshalb schafft es der Klub seit Jahren nicht, sich zu einer Topmannschaft zu entwickeln?
Das ist schwierig zu beantworten. Dazu gehören mehrere Faktoren. Mit Heiko Grimm als Trainer hat es nicht funktioniert, dann kam Gudmundur Gudmundsson, ein Mann mit einem großen Namen – aber auch das hat nicht so geklappt. Zudem hat Corona dazu beigetragen, dass wir uns nicht in die richtige Richtung entwickelt haben.
Andere Klubs haben es besser hinbekommen.
Die Teams, die erfolgreich sind, haben Kontinuität auf der Trainerposition. Da gibt es ein Spielsystem, an dem sich die Mannschaft orientieren kann. Und neue Spieler haben genau reingepasst. Mit drei Trainerwechseln in vier Jahren kannst du nichts etablieren und die Spieler können sich nicht entwickeln. Heiko wollte etwas, Gudmi wollte etwas – und Roberto hat nun auch eigene Vorstellungen. Da ist es schwer für einen Handballer, ein System anzunehmen.

Welche Ziele verfolgen Sie künftig?
Erst einmal bin ich dankbar, dass ich die Gelegenheit bekomme, auch nach der aktiven Karriere hier tätig zu sein. Als ich nach Melsungen gekommen bin, hätte ich nie gedacht, dass ich so lange bleiben würde. Ich wollte mich verbessern und habe die MT zunächst als Sprungbrett betrachtet. Je länger ich aber hier gespielt habe, desto mehr haben sich meine Prioritäten verschoben. Die Interessen der MT sind mir wichtiger geworden als meine eigenen. Ich freue mich, dass ich die Zukunft des Klubs in anderer Rolle mitgestalten kann.
Werden Sie auch weiter mittrainieren?
Es gibt schon eine Anfrage aus der MT II. Und da mir der Gesamtverein am Herzen liegt und es ein netter Nebeneffekt sein könnte, dass ich nicht zu viele Kilos zunehme, bin ich gern bereit dazu.
Was können Sie dazu beitragen, dass die Grundstimmung besser wird?
Ein ganz wichtiger Baustein ist Roberto als Coach. Zurzeit ist die Situation extrem. Du hast Spieler, die gehen müssen – und die sind natürlich unzufrieden. Dazu kommen die schlechten Ergebnisse. Im Sommer kommen dann einige Neue, die bringen eine Extraportion Motivation mit. Wichtig wird es sein, diese Motivation zu konservieren und bestenfalls auf die verbliebenen Akteure zu übertragen. Es muss ein bisschen mehr Zug reinkommen. Da sind aber Trainer und Mannschaft gefragt.
Brief an... Michael Allendorf
Lieber Michi,
jetzt hörst Du also auf und wechselst die Seiten. Wie Du weißt, habe ich diesen Schritt schon hinter mir. Bei mir war alles recht kurzfristig. Ich wünsche Dir, dass Du ein tolles Laufbahnende hast, dass Du einen guten Übergang schaffst – und nicht noch mal zum Standby-Profi wirst.
Gern denke ich an unsere gemeinsame Zeit bei der MT Melsungen zurück. Erinnerst Du Dich auch manchmal an die tollen Trainingslager auf Fuerteventura? Du bist für meinen Bruder Michael und mich in den Jahren ein sehr guter Freund geworden. Wenn wir zurückschauen, dann können wir schon sagen, dass wir sehr viel zusammen erlebt haben. Man fährt ja nicht mit jedem Kumpel auch in den Urlaub. Sehr besonders war unser Stammtisch in der Ule, wenn wir uns einmal pro Woche mit Mikael Appelgren und Patrik Fahlgren getroffen haben.
Eines müssen Dir die Müllers aber auch mal sagen: Du meinst ja, Du wärst ein guter Fußballer. Nein, bist Du nicht. Die Meinung hast Du exklusiv. Und beim Beachvolleyball bist Du mit Deinen kurzen Dinosauerierärmchen auch kein Ass.
Für Deinen künftigen Job im Management der MT brauchst Du sehr gutes Sitzfleisch. Mein Bruder und ich wünschen Dir viel Durchhaltevermögen, die nötige Ruhe und auch ein bisschen Spaß. Was Dir zugutekommen wird: Du kennst schon viele Sponsoren und bist bei vielen Menschen ein gern gesehener Gast. Du wirst die Aufgabe meistern – da sind sich die Müllers sicher. Michi, ich hoffe, dass unser Kontakt für immer bestehen bleibt.
Dein Philipp
(Philipp Müller)
2023 gibt es auch personelle Veränderungen.
Weniger als nach dieser Saison. Vielleicht braucht es einfach mal so einen großen Umbruch. Man sieht aber auch, dass es andere Klubs besser hinbekommen, wenn ein Handballer gehen muss – das ist etwas ganz Normales, und der Spieler gibt weiterhin alles, um sich für seinen nächsten Verein zu empfehlen. Deswegen noch einmal: Trainer und Mannschaft sind gefordert. Wenn Einigkeit im Team über die Richtung herrscht, dann kann zwar auch einmal einer ausscheren, der wird aber dann wieder eingefangen.
Wann sehen die Fans den rot-weißen Stern funkeln?
Ich hoffe, in naher Zukunft. Wenn ich es schon nicht als Spieler geschafft habe, mit der MT einen Titel zu holen, möchte ich es doch als Verantwortlicher hinbekommen. (Björn Mahr und Maximilian Bülau)
Zur Person: Michael Allendorf
Michael Allendorf (35) trägt seit 2010 das Trikot des Handball-Bundesligisten MT Melsungen. Der Linksaußen spielte zuvor bei der SG Wallau-Massenheim und der HSG Wetzlar. 17 Spiele absolvierte der gebürtige Heppenheimer für die deutsche Nationalmannschaft. Nach dem Karriereende im Sommer wechselt er ins MT-Management. Allendorf ist verheirat und Vater einer Tochter.