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„Noch nirgendwo so wohlgefühlt wie hier“ - Tobias Reichmann spricht über seinen Abschied von der MT Melsungen

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Von: Björn Mahr

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Keiner fliegt so schön wie er: Melsungens Tobias Reichmann.
Keiner fliegt so schön wie er: Melsungens Tobias Reichmann. © Dieter SCHACHTSCHNEIDER

Am Samstag spielt Handball-Bundesligist MT Melsungen beim Bergischen HC. Wir haben mit dem scheidende nMelsunger Profi Tobias Reichmann über seine MT-Zeit und seine Pläne nach dieser Saison gesprochen.

Kassel – Er war einer der spektakulärsten Neuzugänge in der Geschichte des Handball-Bundesligisten MT Melsungen. Als dreimaliger Champions-League-Gewinner kam Tobias Reichmann im Sommer 2017 zu den Nordhessen. Nun, fünf Jahre später, plant die MT ohne den Rechtsaußen – trotz des Langzeitverletzten Timo Kastening. Vor dem Spiel der Melsungen am Samstag ab 16.30 Uhr beim Bergischen HC haben wir mit Reichmann über seine Zeit bei der MT und seine weiteren Pläne gesprochen.

Haben Sie mal überlegt, ein Buch zu schreiben?

Nein, das habe ich bisher nicht vor. Sollte ich denn?

Diese Saison würde genug Stoff liefern: die wechselhafte Zeit bei der MT, der Aufenthalt fernab des Olympischen Dorfes in Tokio, die Nachnominierung für die EM im Januar, der Auftritt bei der RTL-Show Ninja Warrior und nun der Abschied von der MT.

Es war tatsächlich abwechslungsreich, es gab allerdings mehr Tiefs als Hochs – vor allem, wenn man die vergangenen Wochen betrachtet.

Inwieweit werden Sie diese Saison erst mal verarbeiten müssen?

Ob es Tokio war oder die EM – diese Themen sind durch. Vielmehr stellt sich mir jetzt die Frage nach meiner persönlichen Zukunft.

Welche Pläne verfolgen Sie denn?

Ich bin für alles offen: Es kann sein, dass ich weiter spielen werde. Es gibt aber auch die Überlegung, mich vom Handball komplett zu verabschieden. Ich würde mich dann selbstständig machen, dazu bräuchte ich allerdings ein, zwei Jahre Vorbereitungszeit. Was ich dann aber genau machen möchte, kann ich noch nicht sagen. Handball-technisch sieht es momentan mau aus. Für 2023 hätte ich einige sichere Optionen. Fest steht, dass wir hier wohnen bleiben werden. Wenn ich ein gutes Angebot bekommen sollte, dann würde ich allein weggehen.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die vergangenen fünf Jahre bei der MT?

Sportlich war es sehr durchwachsen. Wir haben in keiner Saison annähernd unsere Ziele erreicht. Die Entwicklung, die sich der Klub gewünscht hat, hat nicht stattgefunden.

Hatten Sie schon mal eine Phase in Ihrer Karriere, in der Sie auch so viele verschiedene Trainer in kürzester Zeit erlebt haben?

Das war überhaupt mein erster Klub, bei dem ich einen Trainerwechsel mitbekommen habe. Und dann waren es auch noch direkt mehrere.

Welchen Stellenwert hat die Zeit in Melsungen in Ihrer Laufbahn?

Sportlich war es nicht das, was ich erreichen wollte. Aber ich möchte die Zeit auch nicht missen. Ich habe in der MT und außerhalb des Klubs viele Freunde gefunden. Ich habe mich mit meiner Familie noch nirgendwo so wohlgefühlt wie hier. Die Region um Kassel ist zu einer Heimat geworden. Wir haben auch so viele Kontakte außerhalb des Handballs geknüpft, dass wir immer genug Unterstützung haben, wenn wir mal Hilfe benötigen.

Woran erinnern Sie sich besonders gern?

Wir haben hier den einen oder anderen Großen geschlagen – Kiel zum Beispiel. Auch bei den Rhein-Neckar Löwen und in Berlin sind uns tolle Siege gelungen. Dennoch überwiegen die nicht so schönen Erfahrungen, wie etwa das Pokal-Finale in Hamburg gegen Lemgo.

Wie groß ist die Enttäuschung, dass Sie nun keinen Vertrag mehr erhalten?

Die Enttäuschung war schon groß, weil ich nicht damit gerechnet hatte. Aber so ist das Geschäft. Der Verein will eine andere Richtung einschlagen und sich verjüngen.

Inwiefern haben Sie die Region um Kassel bei Ihren Radtouren besonders schätzen gelernt?

Meistens fahre ich ja immer dieselben Strecken, zum Training nach Kassel oder Melsungen. Jetzt war ich aber auch zwei-, dreimal mit einem Kumpel im Bergpark Wilhelmshöhe unterwegs. Es gibt hier super asphaltierte Radstrecken, auch ideal für Ausflüge mit der Familie. Und ich muss sagen: Die Region ist schon sehr grün.

Halten Sie dabei auch mal an einem Maisfeld an?

(lacht) So weit geht die Liebe für Mais nicht. Nur nach der EM 2016, als das Thema richtig aufkam, hatte ich für die Bild-Zeitung einen Termin inmitten eines Maisfeldes.

Konnten Sie Kollegen bei der MT von Ihrer Vorliebe für Mais überzeugen?

(schmunzelt) Nein, das wollen sie auch nicht. Ich esse schon mehr Mais als andere Menschen. Alle zwei, drei Tage gibt es ein Gericht, in dem Mais zu finden ist. Wenn wir in ein Hotel kommen, wo es keinen Mais gibt, dann sage ich im Spaß gern zu den Kollegen: Das ist aber ein schlechtes Hotel. In Tokio gab es zum Beispiel keinen Mais.

Wie prägend war die Zeit mit Silvio Heinevetter in einem beengten Hotelzimmer in Tokio?

So etwas hatten wir beide noch nie erlebt. Wir waren irgendwie dabei – und doch nicht. Wir waren komplett auf uns gestellt, mussten uns selbst unser Essen und die Fahrten von A nach B organisieren. Aus dem Hotel durften wir nur raus, wenn wir zum Training wollten. Das waren zwei intensive Wochen.

Wissen Sie schon, was Sie zum Abschied sagen werden? So etwas wie Tschausen Ihr Banausen?

Mich beschäftigt es schon seit einiger Zeit, weil das Verhältnis angespannt war. Inzwischen haben wir uns aber ausgesprochen, die Wogen sind geglättet. Also auf keinen Fall: Tschausen Ihr Banausen!

Ihr Instagram-Post nach Ihrer Nicht-Berücksichtigung für die Heim-Weltmeisterschaft 2019 wurde zum geflügelten Wort.

Das wurde damals von den Medien aufgebauscht. Für mich war das überhaupt nichts Negatives. Wer mich kennt, der weiß, dass ich eine lockere Zunge habe und viel Humor besitze. Ich will nie jemandem etwas Schlechtes. Deswegen darf man so einen Spruch auch nicht für bare Münze nehmen.

Zur Person: Tobias Reichmann

Tobias Reichmann (33) trägt seit Sommer 2017 das Trikot der MT Melsungen. Weitere Stationen des gebürtigen Ost-Berliners: LHC Cottbus, SC Magdeburg, THW Kiel, HSG Wetzlar, Vive Kielce/Polen. Insbesondere mit dem THW feierte er große Erfolge. Insgesamt dreimal gewann er die Champions League: zweimal mit Kiel, einmal mit dem polnischen Topklub Kielce. 2016 holte der National-Rechtsaußen mit dem deutschen Team EM-Gold und Olympia-Bronze. Reichmann ist verheiratet. Mit Frau Sarina hat er zwei Kinder. Die Familie lebt in Guxhagen. 

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