Weniger Tests, mehr Sünder? Corona könnte Dopern helfen

Kassel – Von Kurzarbeit betroffen sind derzeit nicht nur größere Wirtschaftsunternehmen. Das Doping-Kontrolllabor in Köln hat seine Arbeit nahezu einstellen müssen.
„Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Probenzahl auf ein Minimum zurückgegangen. Derzeit testen wir circa 95 Prozent weniger Dopingkontrollproben als zuvor“, sagte der Leiter des Labors, Prof. Dr. Mario Thevis, in der vergangenen Woche in einem Interview für die Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Was das für den Anti-Doping-Kampf bedeuten könnte, erscheint naheliegend, wie der ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt im Gespräch mit dieser Zeitung sagt: „In der Tat kann der Wegfall klassischer Tests als Schlupfloch genutzt werden. Allerdings darf man nicht aus den Augen verlieren, dass Doping nur den leistungsfördernden Effekt hat, wenn auch ein Training stattfindet, was vielerorts im Moment nicht möglich ist. Dopingmittel sind keine Zaubernüsse, die ohne Trainingsarbeit ihre Wirkung entfalten“, meint der 57-Jährige.
Seppelt, der in der Vergangenheit immer wieder mit seinen Investigativ-Reportagen für Unruhe in der Doping-Szene gesorgt hatte, landete 2018 vor der Fußball-Weltmeisterschaft auf der russischen Visa-Sperrliste, weil er Doping-Praktiken des WM-Gastgebers öffentlich gemacht hatte.
In der aktuellen Situation erscheint Seppelt ein Anstieg der Doping-Vergehen durchaus naheliegend: „Vor allem die Kraftsportler könnten profitieren. Kraftfördernde Anabolika haben oft beträchtliche Langzeitwirkungen, die über Monate hinwegreichen. Dopingunterstützte Leistungen könnten also auch dann noch erzielt werden, wenn die Stoffe im Körper schon lange nicht mehr nachweisbar sind. Profitieren können zudem Läufer, die außerhalb geschlossener Stadien trainieren können.“
Eher zurückhaltend äußert sich auf Anfrage dieser Zeitung die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) in Bonn: „Pauschale Dopingverdächtigungen hält die Nada für falsch. Vereinzelt kann es vielleicht zur Versuchung kommen, in dieser Zeit zu manipulieren. Die überwiegende Mehrzahl der Athleten will aber einen sauberen und fairen Sport. Die Nada schöpft zudem derzeit alle ihre Möglichkeiten aus, um auch den Zeitraum ohne klassische Dopingkontrollen genau zu untersuchen. Die Analytik bietet hier verschiedene Möglichkeiten, unter anderem im Rahmen der biologischen Athletenpässe, die Wochen ohne klassische Dopingkontrollen nachzuverfolgen, aber auch die intensive Re-Analyse langzeitgelagerter Proben“, sagt die Nada-Vorstandsvorsitzende Dr. Andrea Gotzmann.
Derweil habe die Nada Konzepte mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zur Infektionsverhütung mit dem Coronavirus entwickelt. Sofern Tests bei Wiederaufnahme von Wettkämpfen wieder möglich seien, würden diese Konzepte greifen.
Was dennoch in diesem Herbst im internationalen Leistungssport geschehen könnte, hat der frühere Zehnkämpfer Frank Busemann schon mal als reine Vermutung in einem Interview mit der Westdeutschen Zeitung geäußert. So wäre es für den in Dortmund lebenden Busemann denkbar, dass schon „dieses Jahr Rekorde purzeln“, weil Anti-Doping-Kontrollen gefehlt haben.
Ganz andere Sorgen macht sich derweil Hajo Seppelt: „Fakt ist, dass in Russland vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie Stimmen laut werden, den Dopingskandal formal zu beenden. Das ist natürlich eine billige Strategie. Zuletzt hatte auch der internationale Eishockey-Verband signalisiert, den Russen entgegenzukommen. Aktuell steht noch ein Urteil des Sportgerichtshofes CAS aus, das über den Status Russlands für die nächsten vier Jahren eine finale Aussage treffen muss. Russen müssten im Extremfall sogar bei Olympia 2024 als neutrale Athleten starten, wenn die Wada-Strafen gegen Russland vom CAS bestätigt werden.“